Bern ... aus einer anderen Sicht. Peter Baumgartner
Читать онлайн книгу.Sankt Peter
Philippe erzählte Deborah von seinem Besuch in Frankfurt und wie er Isidor Habersack kennengelernt und wahrgenommen habe. Er erwähnte natürlich auch St. Peter, und auch die Möglichkeit, die ihm geboten worden sei, dort schreiben zu können. Er zeigte Deborah die Bilder vom Haus und der Gegend, welche er mit nach Hause genommen hatte, und Deborah war ganz begeistert. «Dann wirst du das wohl machen, so wie ich dich kenne, oder?» «Ja, ich denke schon, wenn es für dich stimmt.» «Kein Problem. Und wann willst du fahren?» «Vielleicht Anfang nächster Woche. Möchtest du mitkommen?» «Nein danke. Ich denke, dass ich mit Enrico hierbleiben werde. Aber das ist für mich kein Problem. Nutz die Gelegenheit. Ich mag sie dir gönnen!»
Philippe war dankbar für diese Reaktion und er freute sich auf die Reise und seinen Aufenthalt in den Bergen. Er wollte genügend warme Kleider und etwas Proviant mitnehmen; den Rest konnte er sicher vor Ort beschaffen, dachte er. Für den Weg dorthin musste er mit dem Auto rund drei Stunden Fahrtzeit einberechnen. Die Strassen waren zurzeit unproblematisch. Also nahm Philippe den Weg unter die Räder.
Die Reise verlief absolut problemlos, und Philippe traf kurz nach dem Mittagessen in Sankt Peter ein. Dort konnte er den Schlüssel für das Häuschen behändigen, und der nette, ältere Herr gab ihm auch noch die Bett- und Frottierwäsche mit auf den Weg. Das Haus war schnell gefunden, befand sich allerdings doch so abgelegen, dass man ohne Fahrzeug nur schwerlich dorthin kam. Über den Wiesen und Feldern lag leichter Schnee und die Temperaturen lagen um den Gefrierpunkt.
Philippe öffnete die Haustür, und ein muffiger Geruch drang ihm entgegen. Das Ganze erinnerte ihn an Höhlengeruch und ganz offensichtlich war schon lange niemand mehr in diesem Haus gewesen. Türen und Fenster waren fest verschlossen und liessen sich nur schwer öffnen. Auch aus dem Wasserhahn kam nur kaltes Wasser, der Boiler war offensichtlich vom Strom getrennt. Immerhin konnte er im Haus Licht machen, jedoch musste er sich zuerst einmal einigermassen zurechtfinden. Vor allem war es saukalt!
Philippe wollte als erstes für etwas Wärme sorgen und er erkannte schnell, dass dies nur über den Schwedenofen machbar war. Aber wo war das Holz? Das Haus verfügte über zwei Stockwerke: im oberen Stock waren eine Küche, ein Schlafzimmer, ein Wohnzimmer und eine Toilette; im untern Stock, welcher relativ neu renoviert war, befand sich ein grösseres Zimmer mit integrierter Kochnische und ein Bad, allerdings ohne Toilette! Auf seinem Rundgang durch das Haus fand er nirgendwo Holz. Erst nachdem er sich nach draussen begeben hatte, erblickte er einen Holzstoss, welcher sich allerdings kalt und feucht anfühlte. Das dürfte eine Herausforderung werden, dachte er, und er nahm so viel Holz auf die Arme wie er tragen konnte und stieg die schmale Treppe zum Untergeschoss hinunter. Mit einer aufgesetzten Pfanne Wasser auf dem Gasherd versuchte er etwas Wärme zu «produzieren», jedoch war das Ganze hoffnungslos.
Also gab es nichts anderes, als den Ofen in Betrieb zu nehmen. Philippe gönnte sich dazu ein kleines Bier, welches er noch von zuhause mitgenommen hatte und er versuchte den Ofen durch Pusten und Blasen und mit viel gutem Zureden seinem Zweck zuzuführen. Die ersten Versuche scheiterten kläglich und erst nach gut einer Stunde und dem Verbrauch von unzähligen Streichhölzern und noch mehr Zeitungspapier zeigte sich langsam ein zartes Flämmchen im Ofen. Jetzt nur noch die Luftzufuhr richtig einstellen, dachte Philippe, dann sollte das schon werden … Und noch bevor Philippe seinen Gedanken zu Ende führen konnte, war es um die kostbare Flamme geschehen. Schei… ging es Philippe durch den Kopf.
In der Zwischenzeit hatte es angefangen zu schneien und dies mit einer Heftigkeit, wie Philippe es schon lange nicht mehr gesehen hatte. Flocken von riesiger Grösse reihten sich bunt auf- und nebeneinander und bäumten sich derart auf, dass schon bald weder die nahe gelegene Strasse noch sein Auto zu erkennen waren. Auch dunkelte es langsam ein, und Philippe hatte immer noch kein Feuer. Der Hunger machte sich bei ihm bemerkbar und so entschloss er sich, die mitgebrachten Spaghetti zu kochen. Als Beilage sollte es Tomatensauce aus dem Glas geben. Das war’s. Zum Glück hatte er noch daran gedacht ein paar Teebeutel und etwas Zucker mitzunehmen. Dies sollte sein Nachtessen sein.
Der Abend gestaltete sich alles andere als zufriedenstellend. Der Ofen liess sich nach wie vor nicht in Gang setzen und die Temperaturen im Haus waren so, dass man den Hauch sah; an eine wohltuende Dusche war schon gar nicht zu denken, brauchte der Boiler doch seine Zeit, um das Wasser zu erwärmen – immerhin hatte er den Schalter gefunden, um ihn in Betrieb nehmen zu können. Was Philippe jedoch ebenfalls zu denken gab, war die Tatsache, dass seine Essensvorräte schon aufgebraucht waren. Das kann ja heiter werden, dachte er und er schickte Deborah eine kurze SMS mit dem Inhalt, dass er gut angekommen sei und sich noch etwas zurechtfinden müsse. Er wünsche ihr eine gute Nacht und grüsse Enrico ebenfalls ganz herzlich. Auf die Details wollte Philippe im Moment nicht eingehen.
Die Nacht verbrachte er im Schlafsack. Diesen hatte er in weiser Voraussicht von zuhause mitgenommen und er konnte seiner Eingebung nicht genügend dankbar sein. In Militärmanier steckte er seine Kleider ebenfalls in den Sack und versuchte so etwas Schlaf zu finden.
Deborah ihrerseits hatte es sich in der Stube gemütlich gemacht und war daran, einen wohlriechenden Tee zu trinken. Enrico lag zu ihrer Seite und er genoss die Streicheleinheiten, die er ab und zu von seinem Frauchen in Empfang nehmen durfte. Deborah selber studierte ihrem erhaltenen Angebot nach, in der nahen gelegenen Gärtnerei mitwirken zu können, und sie war je länger je mehr davon überzeugt, dass sie dies tun wollte.
Die Nacht verlief für Philippe alles andere als erholsam. Andauernd erwachte er und es fröstelte ihn trotz des Schlafsackes. Auch der moderige Gestank im Haus war nicht seine Sache; er musste unbedingt den Ofen in Gang bringen, ansonsten er dem Häuschen wohl schon bald wieder den Rücken zuwenden würde. – Aber auch das wäre im Moment wahrscheinlich nicht ganz einfach, soviel Schnee wie auf den Strassen lag.
Die ganze Nacht hindurch hatte es geschneit und es lagen sicher gut und gern 50 Zentimeter Neuschnee, und es schneite noch immer. So konnte es im Bündnerland sein, jedoch hatte Philippe sich dies zu wenig überlegt. In Bern und Umgebung schneite es selten, und so ging er von diesen Wetterverhältnissen aus. Im Tessin und eben auch in Graubünden trafen jedoch oftmals ein Tiefdruckgebiet von Genua herkommend mit einem Kaltluftpfropfen zusammen und gemeinsam sorgten sie dann für das entsprechende Wetter.
Nach einer kurzen Dusche, die nun angenehm warm war, zog sich Philippe so gut wie möglich und dem Wetter entsprechend an und er wollte im Dorfladen «Nachschub» für seine Verpflegung holen. Er hoffte vor allem, dass der Laden offen hatte und dass er sich seinen Wünschen entsprechend mit Lebensmittel eindecken konnte. Der Weg dorthin würde eine halbe Stunde in Anspruch nehmen; der Rückweg mit Sicherheit eine Stunde. Vorgängig wagte er nochmals einen Versuch, den Ofen in Betrieb zu nehmen. Und siehe da: bereits beim zweiten Anlauf nahm das Holz Farbe an, und Philippe konnte schon bald weitere Scheiten nachlegen. Er wartete noch einen kurzen Moment bis er sicher war, dass der Schwedenofen seinem Namen gerecht wurde; sodann wollte er den Weg unter die Füsse nehmen. Ein aufgefundener Rucksack im Foyer des Hauses sollte ihm dienen, die Esswaren nach Hause zu tragen.
Nach mühsamem Stampfen durch den hohen Schnee, kam er endlich im Dorfladen an, und dieser hatte Gott sei Dank geöffnet. Einige andere Kunden, vor allem Einheimische, waren ebenfalls anwesend und alle unterhielten sich über das Wetter. Philippe nahm das, was in «gluschtete» in den Einkaufskorb und er gönnte sich auch noch zwei Flaschen Rotwein aus der Gegend. Der «Malanser», ein «Herrschäftler» aus dem «Heidiland», am Rhein zwischen Fläsch und Malans gelegen, ist wirklich vorzüglich und er würde Philippe für einiges entschädigen, auf was er bislang verzichten musste.
Nach elendiglich langen Minuten, um nicht zu sagen Stunden, war Philippe wieder zurück in seinem Häuschen. Die Temperaturen waren langsam so, dass man sich wohlfühlen konnte, und auch der muffige Gestank im Haus hatte sich zum grössten Teil verflüchtigt. Philippe versuchte nun seinen Laptop in Gang zu setzen und zu seinem Erstaunen funktionierte die WLAN-Verbindung auf Anhieb. Er gönnte sich ein Glas Malanser und fing an zu schreiben. Der Titel sollte wie folgt lauten:
Dabei könnte alles so einfach sein …
So um