DIE KIRCHE – Völlig am Ende. Martin Becker
Читать онлайн книгу.zwar von Deiner eigenen Erfahrung berichten, und ein kluger Mensch hört Dir vielleicht auch zu, aber jeder Mensch muss seine Erfahrungen selbst machen.
Das Leben im Zwang
Wir werden in diesem Buch mehrfach auf dieses Thema zu sprechen kommen: Dem Zwang.
Leider ist die deutsche Sprache nicht vielfältig genug, um die unterschiedlichen Schattierungen des Begriffs für Zwanghaftigkeit zu beschreiben. Schade.
- Es gibt den krankhaften Zwang einer immer wiederkehrenden Handlung: Waschzwang, Hygienezwang, Perfektionismus. Innerer Druck.
- Es gibt den überwachenden Zwang: Kontrollzwang, Eifersucht, Stalking, Helikopter-Eltern, Polizeistaat, Zuchthaus.
- Es gibt den gewalttätigen Zwang: Terror, Gewalt, Folter, Diktatur.
- Und es gibt noch viele weitere Formen, darunter den Willenszwang:
Willenszwang sagt: „Ich will.“ Nötigung, Bedingungen, Forcieren, äußerer Druck. Diesen Zwang meine ich.
Es gibt so viele Arten von Zwang, alle heißen gleich. Diejenige Art, die ich aber meine, ist der Willenszwang. Der Zwang, seinen Willen durchzusetzen.
„Ich will.“
Du erlebst diesen Zwang tagtäglich. Vielleicht kennst Du einen Willenszwinger oder vielleicht bist Du selbst einer.
Der Willenszwinger wird auf keinen Fall akzeptieren, was andere sagen. Er will das haben, was er will. Punkt.
Und genau hier stehen wir an der Wurzel des gesamten, menschlichen Leidens.
Nimm jede mögliche Form von Gewalt, egal welche, Kriege, Mord, Hass, Rassismus, Patriotismus, und suche davon einen gemeinsamen Nenner.
Nimm davon die Wurzel, den Anfang, die Quintessenz. Du wirst automatisch auf den Willenszwang kommen.
Du kennst sie, die Willenszwinger. Du kennst ihre Methoden, ihre Raffinessen, ihre Gnadenlosigkeit.
Und leider: Du kennst ihre Gewaltbereitschaft.
Erkenne es und erkenne auch Deinen eigenen Willenszwang. Vielleicht bist Du selbst ein Willenszwinger.
Das Problem ist die Unfähigkeit, andere Willen anzunehmen, zu akzeptieren. Die Unfähigkeit, Kompromisse einzugehen. Die Unfähigkeit, hinzuhören, zuzuhören. Erkenne bei Deinen Mitmenschen den Unterschied und erkenne den Zwang bei Dir selbst. Werde zum Willensversteher.
Jesus, wäre in der Lage gewesen, ein Willensversteher zu sein. Doch der zwanghafte Ewigkeits- und Himmelswahn, die Abhängigkeit zum Vater im Himmel, das hat ihn selbst zum Willenszwinger gemacht. Wir kommen noch darauf zu sprechen.
Gott ist ein klassischer Willenszwinger. Mit seinem Sündenwahn und mit der Strafsucht, ist er um keinen Deut besser als ein Inquisitor im Mittelalter.
Im Prinzip hätte Gott sich alle 10 Gebote sparen können. Sie sind sowieso bereits zu 40 Prozent unsinnig. (Die Gebote 1 bis 4) Und letztlich kommen alle auf einen einzigen Punkt zusammen.
Ein einziges Gebot würde komplett ausreichen, um sämtliche Sünden der Welt zusammenfassend zu beschreiben:
„Übe keinen Zwang aus.“
Das reicht. Fertig. Mehr braucht es nicht.
Ach, wie gerne hätte ich Lust dazu, eine eigene Religion zu gründen. Klar mit einer Bibel und mit allem, was so eine Kirche braucht. Und natürlich mit einem Kirchenchor. Ist doch logisch.
Und die Bibel hat goldene Lettern:
DIE BIBEL – Amen.
Und wenn Du sie aufschlägst, findest Du ein darin einziges Blatt, mit einem einzigen Satz. Und darauf steht das erste Gebot:
„1. Übe keinen Zwang aus.“
Vielleicht gibt es für diese Religion noch ein Untergebot, für die Unverbesserlichen:
„1.a. Sei nicht blöd.“
Dieses Gebot steckt aber bereits in Nummer 1 und wäre daher nicht mehr notwendig …
Die eigene Wahrheit
Auf der Suche nach Lösungen nach mehr Klarheit im christlichen Konzept, muss ich zuerst einige besondere, psychologische Aspekte ansprechen.
Die Psyche des Menschen ist ungeahnt vielschichtig. Als Resümee lässt sich sagen: Du trägst die ganze Zeit immer Deine Vergangenheit mit Dir herum.
Eines der größten Eigenschaften des Menschen ist der Umgang mit der eigenen Wahrheit. Du wirst niemals erleben, dass Menschen alle eine gemeinsame Wahrheit auch als solche verstehen.
Jede Wahrheit ist unterschiedlich.
Das, was wir sehen, hängt davon ab, wie wir es betrachten (… wollen).
Völlig egal, was Du siehst. Alles, alles, alles wird von Dir zuerst in Deinem Geist bewertet und beurteilt, bevor Du es in Dich aufnimmst.
Du bringst alle Deine Erfahrungen in jede Betrachtung mit hinein, Deine Kindheit, Deine Traumata, Deine Träume, Deine Stimmungen, Deine Intelligenz und Dein Lebens- Umfeld.
Jedes Sonnenlicht, jeder Windhauch, jeder Regentropfen auf Deiner Haut wird von Dir so empfunden, wie Du bist.
Das, was Du bisher erfahren hast, das ist Deine jetzige Empfindung, und das ist Deine jetzige Wahrheit.
Du bringst Deine Freude mit, Deinen Streit, Deine Konflikte, Deine Sorgen. Wenn Du etwas ansiehst, wenn ein Mensch zu Dir spricht, wenn ein Vogel am Himmel zwitschert – alles, was Du siehst, egal was:
Du schaust zuerst in Deinen eigenen Spiegel.
Zuerst siehst Du Dich selbst an, und dann siehst Du das, was Du sehen willst. Und erst dann proklamierst Du Deine eigene Wahrheit.
Deine Wahrheit bist immer Du selbst.
Jede Wahrheit, die Du für richtig hältst, ist der Blick in Deinen eigenen Spiegel.
Ich nenne Dir ein Beispiel:
Fünf Personen sehen eine Wolke:
Nummer 1 sagt: “ Oh, wie ist das wunderschön!“
Nummer 2 sagt: “ Lass uns reingehen, gleich regnet es.“
Nummer 3 sagt: “ Ich habe Angst, ein Gewitter kommt.“
Nummer 4 sagt: “ Das alles hat Gott gemacht.“
Nummer 5 sagt: “ Interessant, wie sich Kondensat in solch einer Höhe halten kann.“
Dieses Beispiel lässt sich beliebig fortführen, und es zeigt, dass jede Lebenssituation bei den Menschen stets unterschiedliche Reaktionen hervorruft.
Wenn Du dieses Beispiel fortführen würdest, könntest Du feststellen, dass kein Bereich des Lebens ausgenommen werden kann, der nicht von den Menschen unterschiedlich betrachtet, interpretiert und mit unterschiedlichen Gefühlen behaftet wird.
Ich nehme als Mensch Dinge anders wahr als ein anderer, und für mich ist das die richtige und wahre Ansicht. Meine Art zu denken ist gesteuert. Sie wird geleitet durch Erfahrungen und Muster.
Mein Bewusstsein spielt sich im Kopf ab.
Ich bin geprägt. Meine Kindheit, meine Jugend, meine Familie, meine Erfahrungen, meine Welt. All das prägt mich und leitet meine Gedanken und meine Gefühle.
Diese Prägung aus früher Kindheit geht bis ins hohe Alter hinein. Du kannst Dich nicht dagegen wehren.
Ich bilde meine Erfahrungen aus meiner Erlebniswelt.
Immer bin ich es selbst, als Mensch, der die Situation bewertet, und dazu nehme ich meine eigenen Muster als Grundlage.