Johann Wolfgang von Goethe: Gesammelte Dramen. Johann Wolfgang von Goethe
Читать онлайн книгу.Ich gehe hinauf; es wird immer ärger; die Stimmen werden unvernehmlicher und hohler, je näher ich komme; nur meine Frau höre ich schreien und rufen, als wenn sie unsinnig geworden wäre. Ganz verwundert tret ich in den Saal. Ich finde ihn finster wie eine Höhle, ganz zur Hölle dekoriert, und mein Weib fährt mir in ungeheurer Leidenschaft und mit entsetzlichem Fluchen auf den Hals, traktiert mich als Pluto, als Scheusal und flieht endlich vor mir, daß ich eben wie versteint dastehe und kein Wort hervorzubringen weiß.
MANA. Aber um Gottes willen, was war ihr denn?
ANDRASON. Wie ich's beim Licht besah, war's ein Monodrama!
MELA. Das muß doch ganz kurios sein.
ANDRASON. Nun muß ich euch noch eine Neuigkeit sagen: sie ist mit hier.
MANA. Mit hier?
SORA. O laßt uns gleich zu ihr gehen! Wir haben sie doch alle recht lieb.
MANA. Wie kommt's denn aber, daß Ihr sie mit hierherbringt, da Ihr wißt, der Prinz wird wieder durchkommen?
ANDRASON. Ihr kennt ja, lieben Kinder, meine alte Gutmütigkeit. Wie sie sich aus ihrer poetisch-theatralischen Wut ein bißchen erholt hatte, war sie wieder gefällig und gut gegen mich. Ich erzählte ihr allerlei, um sie zu zerstreuen, erzählte ihr allerhand von euch und meiner Schwester; sie sagte, sie hätte längst gewünscht, euch wieder einmal zu sehn; ich sagte ihr, daß eine Reise ihr sehr gut sein würde, und weil die schnellsten Entschlüsse die besten seien, sollte sie sich gleich in den Wagen setzen. Sie nahm's an, und erst hinterdrein fiel mir ein, daß ich einen dummen Streich gemacht hatte, sie, ehe es nötig war, mit dem Prinzen wieder zusammenzubringen. Doch war's gleich mein Trost, wie gewöhnlich, daß ich dachte, es entsteht vielleicht etwas Gutes daraus. Und wie ihr seht, gelegner hätten wir nicht kommen können.
Mandandane, Feria kommen.
MANA. Sei uns willkommen, Mandandane!
MANDANDANE. Willkommen, meine Freundinnen!
FERIA. Das war eine recht unvermutete Freude! – Was macht ihr in des Prinzen Zimmer?
MANDANDANE. Ist das sein Zimmer?
FERIA. Was gibt's denn da? Was ist das?
MANDANDANE. Wie? Meine Gestalt? Meine Kleider?
ANDRASON für sich. Wie wird das ausgehn?
MANA. Wir haben diese ausgestopfte Puppe in der Laube gefunden, die der Prinz mit sich herumschleppt.
SORA. Dies ist die Göttin, die seine vollkommene Anbetung hat.
MANDANDANE. Es ist Verleumdung! Der Mann, dessen Liebe ganz in geistigen Empfindungen schwebt, sollte sich mit so einem schalen Puppenwerk abgeben? Ich weiß, daß er mich liebt; aber es ist meine Gesellschaft, die Unterhaltung, die er für seinen Geist bei mir findet. – Ihn mit so einem kindischen Spiel im Verdacht haben, heißt ihn und mich beleidigen!
SORA. Man könnte sagen, daß er Euer Andenken so werthält und Euer Bild überall mit sich herumträgt, um sich mit ihm wie mit Euch selbst zu unterhalten.
ANDRASON leise zu ihr. Halte dein verwünschtes Maul!
FERIA. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.
MANDANDANE. Nein! Sollte sein Andenken so eine erlogene, abgeschmackte Nahrung brauchen, so müßte seine Liebe selbst von dieser kindischen Art sein; er würde nicht mich, sondern eine Wolke lieben, die er nur nach meiner Gestalt zu modeln Belieben trüge.
ANDRASON. Wenn du wüßtest, womit sie ausgestopft ist.
MANDANDANE. Es ist nicht wahr!
MANA. Wir beteuern's. Wo sollten wir denn die Puppe hernehmen? Sieh hier noch den Platz, wo sie gesteckt hat.
ANDRASON. Wenn du es nicht glauben willst, so ist das beste Mittel: wenn wir merken, daß der Prinz wiederkommt, nimm die Maske vor, setze dich selbst in die Laube, tue, als seist du mit Häckerling ausgestopft, und sieh alsdann zu, ob wir wahr reden.
Die Mädchen setzen indes die Puppe wieder in die Laube.
MANDANDANE. Das ist ein seltsamer Vorschlag.
FERIA. Laßt uns gehen, eh der Tag und jemand von seinen Leuten uns überrascht.
Alle ab bis auf Andrason, der Sora zurückhält.
ANDRASON. Sora!
SORA. Herr!
ANDRASON. Ich bin in der größten Verlegenheit.
SORA. Wie?
ANDRASON. Der fünfte Akt geht zu Ende, und wir sind erst recht verwickelt!
SORA. So laßt den sechsten spielen!
ANDRASON. Das ist außer aller Art.
SORA. Ihr seid ein Deutscher, und auf dem deutschen Theater geht alles an.
ANDRASON. Das Publikum dauert mich nur; es weiß noch kein Mensch, woran er ist.
SORA. Das geschieht ihnen oft.
ANDRASON. Sie könnten denken, wir wollten sie zum besten haben.
SORA. Würden sie sich sehr irren?
ANDRASON. Freilich! denn eigentlich spielen wir uns selber.
SORA. Ich habe so etwas gemerkt.
ANDRASON. Mut gefaßt! – O ihr Götter! Seht, wie ihr euerm Orakel Erfüllung, dem Zuschauer Geduld und diesem Stück eine Entwicklung gebt! denn ohne ein Wunder weiß ich nicht, wie wir auf gute Art auseinanderkommen sollen.
Sechster Akt
Wald und Laube.
Prinz und Merkulo.
Prinz auf dem Rasen liegend.
MERKULO für sich. Der Besuch beim Orakel ist meinem Prinzen nicht wohl bekommen. War er vorher betrübt, so ist er jetzt außer sich. Könnt ich seinen Schmerz nur zu Worten bringen! Zum Prinzen. Teuerster Herr! Hat die kurze Abwesenheit Ihr Herz so gegen mich zugeschlossen, daß Sie mich nicht würdigen, der Vertraute Ihres Schmerzes zu sein, da ich so oft der Vertraute Ihres Entzückens gewesen bin?
PRINZ. Ich verstehe nicht, was sie sagen – und doch ist mir's, als wenn die Götter etwas Großes über mich verhängten. Mein Gemüt ist von unbekannten Empfindungen durchdrungen.
MERKULO. Wie lautet der Ausspruch des Orakels?
PRINZ. Seine Worte sind zweideutig, und was mich am meisten verdrießt, ihnen fehlt der Stempel der Ehrfurcht, den meine Fragen und mein Zustand selbst den Göttern einflößen sollten. Ich bat sie mit gerührtem Herzen, mir zu entwickeln: wann denn diese stürmische Bewegung meines Herzens endlich aufhören, wann dieses tantalische Streben nach ewig fliehendem Genuß endlich ersättiget werden würde? wann ich, für meine Mühseligkeiten und Leiden endlich belohnt, die Entzückungen mit der Ruhe und diese holde Traurigkeit mit einem bestätigten Herzen würde verbinden können? Und was gaben sie mir für eine Antwort! Ich mag sie meinem Gedächtnis nicht wieder zurückrufen! Nimm und lies! Er gibt ihm eine Rolle.
MERKULO liest.
»Wird nicht ein kindisches Spiel vom ernsten Spiele vertrieben,
Wird dir lieb nicht und wert, was du besitzend nicht hast,
Gibst entschlossen dafür, was du nicht habend besitzest:
Schwebt in ewigem Traum, Armer, dein Leben dahin.«
Ein witziges Orakel! ein antithetisches Orakel! Er liest weiter.
»Was du töricht geraubt, gib du dem Eigener wieder;
Eigen werde dir dann, was du so ängstlich erborgst.
Oder fürchte den Zorn der überschwebenden Götter!
Hier und über dem Fluß fürchte des Tantalus Los.«
Merkulo kann nach Belieben den Orakelspruch