WIE SIE IHR ERSTES BUCH SCHREIBEN. Martin Selle
Читать онлайн книгу.haften geblieben ist?
Machen Sie das Gleiche nun mit einem Film, der Sie stark aufgewühlt hat. Erinnern Sie sich an eine Person oder an die Handlung?
In beiden Fällen wird es die Figur sein, an die Sie sich vordergründig erinnern, der Held, der Protagonist. Uns bleiben fast immer die Personen stärker im Gedächtnis als die Handlung, die Geschichte, weil es die Figuren sind, welche durch ihr Handeln die Story machen. Figuren sind, was sie tun. Charakter drückt sich durch Aktion aus, nicht durch Behaupten. Wenn Sie Ihre Figuren mit Leben erfüllen, entsteht aus dem, was sie tun, die Handlung Ihrer Story. Halten wir also fest:
Der Leser interessiert sich zuerst für die Hauptpersonen. Sie sind es, woran er sich in erster Linie erinnert.
Sie erahnen also, wie wichtig es ist, großes Augenmerk auf die Figuren zu legen. So weit, so gut. Ehe wir uns nun den Erfolgs-Formeln der Weltbestseller-Autoren zuwenden und ich Ihnen zusätzlich ein paar geheime Profi-Tricks nenne, um unsterbliche Helden zu kreieren, müssen wir jedoch zum klaren Verständnis der Figurenmaterie ein paar Begriffe klären.
Figuren-Typen und deren spezifische Tragweite
Im wirklichen Leben werden wir alle von Selbstzweifeln geplagt. Deshalb wünschen wir uns auch in der Literatur Figuren, die sich irren, die Fehler begehen und sich ab und zu schwach fühlen. Wir hören immer wieder von Hauptfiguren und Nebenfiguren und dergleichen. Sind mit Figuren nur Menschen gemeint? Derartige Fragen sollten klar beantwortet werden, ehe Sie mit dem Erschaffen Ihrer Helden beginnen. Sehen wir uns deshalb die verschiedenen Typen von Figuren an, mit denen Sie als Schriftsteller arbeiten:
1. Die Figur als Oberbegriff
Mit Figur bezeichnen wir in erster Linie Personen in einem literarischen Werk, aber auch andere handelnde Helden wie Tiere und Gegenstände. Denken Sie nur an Kindergeschichten.
2. Die Hauptfigur (auch Held, Protagonist genannt)
Die Hauptfigur ist jene Figur, die entscheidet, was getan wird. Der Held hat das letzte Wort, er steht im Mittelpunkt des Geschehens, ist aktiv, er überrascht und ist glaubwürdig. Ihr Held darf niemals vorhersehbar reagieren, dann ist er für den Leser langweilig. Wir sind es gewöhnt, die Welt um uns herum aus einem ganz bestimmten Blickwinkel (unserem ›Ich‹) heraus zu betrachten. In einer Geschichte benötigen wir eine Figur, die uns mit der Welt der Story verbindet – die Hauptfigur. Die Hauptfigur unterscheidet sich von allen anderen Figuren in zwei wesentlichen Punkten:
1: Wir erzählen die Geschichte aus Sicht der Hauptfigur, sehen die Story durch ihre Augen.
2: Die Hauptfigur ist jene Figur, durch deren Tun die Handlung entsteht. Zum Beispiel ›Raumschiff Enterprise‹: Es gibt mehrere wichtige Figuren – Mr. Spock, den Ingenieur Scotty, den Arzt ›Pille‹ McCoy – aber die Hauptfigur ist eindeutig Captain James T. Kirk. Er entscheidet letztendlich, was getan wird. Oder betrachten wir die Personenstruktur im Thriller ›Die Wahrheit über Derek Foster‹: Dereks Freundin Saskia ist zweifellos eine präsente, eingenständig handelnde Figur. Ebenso Dereks Gegenspieler Kenneth Kowalski. Und doch ist es Derek, der die Handlung durch seine Entscheidungen vorantreibt. Er entscheidet aktiv, alle anderen reagieren auf seine Entscheidungen. Derek ist klar die Hauptfigur.
Der Held ist der Motor Ihrer Geschichte. Durch sein Handeln passiert, was passiert. Keine Figur hat stärkeren Einfluss auf die Geschichte als die Hauptfigur, der Held.
Der Held handelt. Er ist aktiv.
Achten Sie penibel darauf, dass Ihr Held immer agiert und nicht wie ein Spielball auf das Tun und Sagen der Nebenfiguren reagiert. Dann hätten Sie einen farblosen Helden, den der Leser als schwach empfindet und mit dem er sich nicht identifiziert.
Es kann mehrere ›wichtige‹ Figuren geben (siehe Beispiel ›Raumschiff Enterprise‹, ›Die Wahrheit über Derek Foster‹), aber nur eine Hauptfigur. Auf einen Begriff werden Sie beim Schreiben immer wieder stoßen: der Protagonist (griech. protagonistes = Wortführer, im altgriechischen Theater, erster Schauspieler). Der Protagonist ist schlicht Ihr Held, der aktiv handelt. Werden Sie sich klar darüber, wessen Geschichte Sie erzählen. Manchmal drängen sich mehrere Figuren auf, die sich als Held anbieten. Immer aber eignet sich nur eine ganz bestimmte Figur am besten als Held – jene, die im direkten Gegensatz, im Wettstreit zum Gegner steht.
Insider-Trick: Wenn Sie sich nicht sicher sind, welche Figur die Hauptfigur ist, dann schreiben Sie für jede infrage kommende Figur eine Zusammenfassung der Geschichte - nur zwei oder drei Seiten lang. Das hilft Ihnen zu erkennen, welche der Figuren im Vordergrund steht, wer sich als Hauptfigur am besten eignet. Es wird jene Figur sein, welche die Handlung am stärksten vorantreibt und beeinflusst.
Es ist äußerst wichtig, dass der Leser von Beginn an deutlich erkennt, wer der Held, die Schlüsselfigur, ist. Nur so ist eine klare Identifikation des Lesers mit dem Helden möglich, nur so kann sich der Leser auf die Seite des Helden schlagen, sich mit ihm emotional verbünden und an seiner Seite mitstreiten. Der Leser muss den Charakter, das einzigartige Wesen, des Helden möglichst genau kennenlernen, um an seinem Schicksal emotional Anteil zu nehmen. Dazu sind ein klares Ziel und eine starke Motivation nötig. Bestimmen und zeigen Sie dem Leser so früh wie möglich, wer die Hauptfigur ist. So ermöglichen Sie dem Leser schnelle Identifikation.
Wie machen Sie das?
Indem Sie die Geschichte vor allem zu Beginn vom Standpunkt des Helden aus schildern. Der Leser sieht, was der Held sieht, beide erhalten dieselben Informationen. Hat sich der Leser mit dem Helden identifiziert, kann er Dinge erfahren, von denen die Hauptfigur nichts weiß.
Insider-Tipp: Sie erleichtern dem Leser die Identifikation, indem Sie den Helden, wenn er zum ersten Mal auftritt, in einer Situation zeigen, die dazu einlädt, sich mit ihm zu verbünden. Zum Beispiel könnte der Held an einen Tatort zu Hilfe eilen und von der Polizei unverschuldet als verdächtiger Mörder festgenommen werden. Es ist das Wechselbad der Gefühle, das Leser und Helden zu einem unzertrennlichen ›Team‹ verschmelzen lässt. Sehen wir uns ein Beispiel an:
Ich beging meinen Geburtstag mit einer kleinen, sehr exklusiven, sehr festlichen und fröhlichen Party in der Fifth Street, genauso, wie ich es haben wollte.
Als besondere Überraschung war Damon aus dem Internat in Massachusetts nach Hause gekommen. Nana hatte die Verantwortung für die Feierlichkeiten übernommen und war allgegenwärtig, genau wie meine beiden Babys Jannie und Ali. Sampson und seine Familie waren da und natürlich auch Bree …
… Ich hielt sogar eine kleine Rede, die ich zum größten Teil sofort wieder vergessen habe, abgesehen von den einleitenden Worten. »Ich, Alex Cross«, fing ich an, …
… Das Telefon im Flur klingelte. Das war der Festnetzanschluss. Bei der Arbeit wussten alle, dass sie mich nur auf dem Handy anrufen sollten. Außerdem hatte ich noch einen Pager auf die Kommode gelegt, wo ich ihn auf jeden Fall hören konnte. Also konnte ich ohne allzu großes Risiko den Hörer abnehmen. Vielleicht war es ja sogar eine wohlmeinende Seele, die mir alles Gute zum Geburtstag wünschen wollte, oder im schlimmsten Fall irgendjemand, der mir eine Satellitenschüssel andrehen wollte.
Ob ich es jemals begreifen werde? In diesem Leben wahrscheinlich nicht mehr.
»Alex, hier Davies. Tut mir leid, dass ich Sie zu Hause belästigen muss.« Ramon Davies war Superintendant bei der Metropolitan Police und gleichzeitig mein Chef.
›Heute ist mein Geburtstag. Wer ist denn das Todesopfer?‹, sagte ich. Ich war verärgert, hauptsächlich über mich selbst, weil ich überhaupt ans Telefon gegangen war.
»Caroline Cross«, sagte er, und mir wäre beinahe das Herz stehen geblieben. …
Insider-Tipp: Schreiben Sie eine Geschichte, in welcher