Schön und ermordet: Zwei Kriminalromane. Alfred Bekker

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Schön und ermordet: Zwei Kriminalromane - Alfred Bekker


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ab, aber er wählte noch nicht.

      Makowski öffnete die Tür. Er wusste genau, dass der Hai jetzt allein sein wollte.

      »Wenn Valeria kommt, schick sie sofort rein!«, rief Heinen ihm nach. Seine Stimme verriet den Ärger. Nachher würde sie ihm erzählen, dass sie sich unbedingt in irgendeiner Boutique hatte neu einkleiden müssen, für ihn. Aber auch Valeria musste wissen, dass es ihm nach acht Monaten verdammt egal war, ob ihr weißer Hintern in schwarzer oder roter Wäsche steckte.

      Mit heftigen Bewegungen begann er zu wählen. Die Nummer hatte er im Kopf. Sie gehörte zu einem Büro im Polizeipräsidium ...

      III

      Roth zögerte einen Moment, bevor er die Tür zu seinem angestammten Büro im Betrugsdezernat aufstieß. Er wusste nicht mehr, wann er zuletzt hier gewesen war. Seit er der Soko Heinen zugeteilt worden war, hatte er sich meistens in der Fahndungsabteilung oder der Kriminalbereitschaft aufgehalten, wenn er nicht draußen gewesen war. Auf der Straße, in den Kneipen, Hotels, Bordellen, Bistros, die von Heinen oder seinen Strohmännern kontrolliert wurden. Immer in der Hoffnung, einen Tipp zu bekommen, einen Hinweis, der das Blatt wenden konnte.

      Der letzte Hinweis hatte eine Katastrophe ausgelöst.

      Roth trat über die Schwelle. Alles war genau so, wie es immer gewesen war. Der zerkratzte Schreibtisch mit den übervollen Ablagekörben stand aus einem unerfindlichen Grund in der dunkelsten Ecke des Raumes. Hinter seinem Drehsessel mit dem zerschlissenen Bezugsstoff breitete sich der Trichterfarn aus. Nachdem Helga, seine Frau, ihn verlassen hatte, war er zu Hause nicht mehr dazu gekommen, den Farn, der seine Lieblingspflanze war, regelmäßig zu wässern. Deshalb hatte er die Pflanze mit ins Büro genommen. Doch obwohl er auch hier nicht dazu kam, sich um sie zu kümmern, entfaltete sie sich hier wie in einem Gewächshaus und drohte, seinen Platz zu überwuchern.

      Das Telefon auf seinem Schreibtisch begann zu rasseln. Er ignorierte das Geräusch und riss das Fenster auf, um die stickige Luft hinauszulassen.

      Die Verbindungstür zum Nebenhaus wurde aufgerissen. Bettina Seifert, die Abteilungssekretärin, stieß einen erschreckten Laut aus, als sie ihn am Fenster bemerkte. Wie angewurzelt blieb sie im Rahmen stehen.

      »Ich gehe schon ran«, sagte Roth. Doch als er die Hand nach dem Hörer ausstreckte, riss das Läuten ab. Roth hob die Schultern und versuchte ein Lächeln. »Hallo, Bettina«, sagte er.

      »Oh, Tag, Jürgen, ich wusste gar nicht, dass du ... Wie geht's denn?« Sie wartete seine Antwort nicht ab. Sie deutete hinter sich. »Du, ich muss mich kümmern. Bis nachher, ja?«

      Hastig zog sie sich in das Schreibzimmer zurück und schloss die Verbindungstür.

      Roth setzte sich in den knarrenden Drehstuhl und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Er wusste nicht, wie lange er so gesessen hatte, als er die Tür hörte. Er wandte erst den Kopf, als er Gräfes Stimme erkannte.

      »War's schlimm?«, fragte Gräfe.

      Gräfe zog einen Stuhl heran und setzte sich an die Schmalseite des Schreibtisches und stützte sein Kinn in die Hand.

      »Peikert ist ganz vernünftig.«

      »Er kann einen nur fallen lassen oder zu einem stehen. Dazwischen gibt es nichts. Mich hat er ganz schön durch die Mangel gedreht.« Gräfe steckte eine Zigarette zwischen seine Lippen und zündete sie an. »Seit gestern rauche ich wieder«, erklärte er achselzuckend. »Komm heute Abend mit zu uns. Monika freut sich.«

      Roth schüttelte den Kopf.

      »Jürgen, du darfst dich jetzt nicht hängen lassen! Natürlich schüttelt man so etwas nicht einfach ab. Aber es war doch nicht deine Schuld! Jeder hätte in der Situation geschossen!«

      »Er war vierundzwanzig ...«

      »Ein gottverdammter Unfall, Jürgen! Der Portier steckt nicht mit drin, das steht fest. Nelles muss das Zimmer von sich aus mit dem Sailor getauscht haben, ohne dem Portier Bescheid gesagt zu haben. Aus seiner Sicht ein toller Trick. Hörst du mir überhaupt zu, Mann?«

      »Ein armer Teufel, den seine Reederei in diesem Schuppen untergebracht hat, weil sein Schiff auseinanderfiel und ins Trockendock musste. Und wird von einem deutschen Bullen abgeknallt, der seine fünf Sinne nicht beieinander hatte.«

      »Was redest du da?«, fragte Gräfe flach.

      Roth schwang auf seinem Stuhl herum, bis sein Gesicht im Schatten lag.

      »Seit Helga weg ist, bin ich nicht mehr bei der Sache. Mit mir ist nichts mehr los, verstehst du das denn nicht? Ich hätte keinen Außendienst machen dürfen. Das ist es. Ich hätte meine Versetzung verlangen müssen.«

      »Weißt du, was du da sagst? Denk mal nach! Dann wäre es meine Schuld! Ich bin dein Partner. Ich hätte doch etwas merken müssen! Du warst voll da, Jürgen! Ich weiß es! Verdammt, sieh mich an!«

      Gräfe streckte ein Bein und stieß mit dem Fuß gegen Roths Stuhl. Der Stuhl fuhr gegen den Farn und drohte zu kippen. Roth klammerte sich an der Schreibtischplatte fest.

      »Lass mich in Ruhe!«, fauchte Roth. »Ich habe abgedrückt, ich! Weil ich Angst hatte, verdammt, ich hatte Schiss!«

      Gräfe verzog die Lippen zu einem Grinsen. »Na also! So einfach ist es. Du hattest Schiss. Hätte ich auch gehabt.« Gräfe drückte die Zigarette aus. »Heinen ist wieder draußen, wusstest du das?«

      »Interessiert mich nicht mehr«, sagte Roth dumpf. »Lass mich allein.«

      »Haftverschonung!«, sagte Gräfe, als hätte er Roths Aufforderung nicht gehört. »Damit räumt die Anklagebehörde ein, dass sie nicht mehr viel in der Hand hat. Allenfalls Steuerhinterziehung. Aber jetzt ist auch Adolphi tot, und da kann Heinen alle Schuld an eventuellen Unregelmäßigkeiten auf ihn schieben. Er zahlt die Steuer nach und steht mit blütenweißer Weste da. Besser als vor acht Monaten.«

      »Wir gehören nicht mehr dazu«, sagte Roth.

      »Ist dir eigentlich klar, dass er auch Nelles nicht mehr braucht? Der Kiez liegt ihm jetzt auch ohne offenen Terror zu Füßen. Wenn einem ganze Häuserzeilen gehören, fast alle Hotels, die großen Puffs, dann kann er machen was er will. Und er verdient immer noch an jeder Nummer, die für Geld auf dem Kiez geschoben wird. Über die Mieten. Wenn er einen Pächter ruiniert hat, schmeißt er ihn raus. Dafür kann er auch noch die Hilfe der Gerichte in Anspruch nehmen. Und der nächste Zuhälter wartet schon, um seine Hühner in die Bude zu setzen!«

      »Hör auf!«

      »Das Rauschgiftgeschäft betreibt er schon lange nicht mehr selbst, das hat er in Lizenz vergeben. Und hier im Präsidium hält einer die Hand über ihn.«

      »Deine fixe Idee ...«

      Roth unterbrach sich, weil die Tür geöffnet wurde und Tondorf seinen Kopf hereinschob.

      Im Präsidium war man sich nicht einig, ob Kriminalhauptkommissar Rüdiger Tondorf der richtige Mann war, um gegen den König vom Kiez zu ermitteln.

      Weil die Staatsanwaltschaft darauf bestanden hatte, die Leitung der Sonderkommission »Organisierte Kriminalität« nur einem Fachmann anzuvertrauen, war die Wahl auf Tondorf gefallen. Denn Tondorf verfügte über ein abgeschlossenes Studium der Wirtschaftswissenschaften. Mord, Raub, Diebstahl, Betrug, Rauschgifthandel und -konsum waren Symptome, nicht Ursachen der für die Stadt typischen Kriminalität. Und wenn es gelingen sollte, die Kriminalität wirksam zu bekämpfen oder wenigstens einzudämmen, so musste dies mit anderen Mitteln als der bisher geübten Praxis geschehen.

      Doch in den eineinhalb Jahren ihres Bestehens hatten sich die Erwartungen, die in die Sonderkommission gesetzt worden waren, nicht erfüllt. Die meisten Kritiker waren der Ansicht, dass ein Fachmann für Wirtschaftsstrafsachen nicht über genügend Erfahrung verfügte, um einen Mann wie Heinen, um den es von Anfang an gegangen war, zur Strecke zu bringen.

      Mit vorgeschobenem Kopf, als ob er jeden Moment mit einem Angriff rechnete, ging Tondorf auf


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