Schön und ermordet: Zwei Kriminalromane. Alfred Bekker

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Schön und ermordet: Zwei Kriminalromane - Alfred Bekker


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sagte er munter. »Abgeschlafft? Keine Lust mehr?«

      Niemand ging auf Tondorfs munteren Ton ein. Roths Verhältnis zu ihm war ohnehin stets reserviert gewesen, weil er Tondorfs Versuche, seinen Leuten so etwas wie ein kameradschaftliches Verhältnis aufzudrängen, für Anbiederung als Folge mangelnder Autorität hielt.

      Tondorf warf die Mappe auf Roths Tisch. »Ist noch ein Stuhl frei?«, fragte er.

      Gräfe stand widerwillig auf. Tondorf schüttelte den Kopf und drückte Gräfe wieder auf seinen Platz.

      »Bleiben Sie sitzen, bleiben Sie sitzen!« Er sah Roth an. »Wir wollen doch den Kopf nicht hängen lassen! Heinen hat nur Haftverschonung. Die Arbeit der Soko geht weiter.«

      »Wir gehören nicht mehr dazu«, brummte Gräfe. »Mich hat Peikert abgeschoben, in die Geschäftsstelle ...«

      »Das tut mir leid, Herr Gräfe, wirklich, ich habe alles versucht, Sie bei mir zu halten.«

      »Hoffentlich haben Sie sich nicht übernommen, Herr Tondorf.«

      Das Lächeln blieb wie vergessen in dem glatten Gesicht stehen, während in den Augen ein nichtssagender Ausdruck erschien. Roth warf seinem Freund einen warnenden Blick zu, den der jedoch ignorierte. Roth wusste, dass Gräfe kaum aufzuhalten war, wenn er in eine aufsässige Stimmung geriet.

      Tondorf sah Roth an und deutete auf die Mappe. »Auf der Fahndungsliste der Soko stehen immer noch über dreißig Namen! Zeugen, Verdächtige, Beschuldigte, deren Aussagen uns weiterhelfen können. Aus Zeit- und Personalmangel haben wir die Suche nach diesen Personen zu sehr der polizeilichen Routine überlassen müssen. Bis Sie in Urlaub gehen, koordinieren Sie die Fahndung. Heinen soll wissen, dass wir an ihm dranbleiben!«

      Roth schüttelte den Kopf. »Peikert hat mich abgezogen ...«

      »Ich habe mit Herrn Peikert gesprochen. Er hat Sie zum Innendienst verdonnert. Bis Sie Ihren Urlaub antreten, stehen Sie mir noch zur Verfügung. Danach hat er wohl eine andere Verwendung für Sie vorgesehen. Er sähe Sie gern als Sachverständigen im Erkennungsdienst. Das ist eine große Chance für Sie, Herr Roth. Die haben Sie allerdings auch verdient.«

      Roth wich Gräfes überraschtem Blick aus, indem er die Mappe zu sich heranzog.

      Gräfe wandte sich an Tondorf. »Was soll das bringen, wenn Sie einen Kellner in die Mangel nehmen, der Heinen mal geholfen hat, bei der Sektsteuer zu schummeln?«

      »Dieser Kellner, um bei Ihrem Beispiel zu bleiben, hat Beihilfe zur Steuerverkürzung in erheblichem Umfang geleistet. Jetzt betreibt er vielleicht ein kleines Geschäft auf Mallorca, und weil er das nicht verlieren will, ist er möglicherweise bereit, uns zu helfen.«

      »Und was ist mit der ehemaligen Nutte, die jetzt vielleicht als biedere Hausfrau in Passau lebt? Was kann die Ihnen schon weiterhelfen!«

      »Die Bewertung eventueller Aussagen überlassen Sie ruhig mir und dem Staatsanwalt, Herr Gräfe«, antwortete Tondorf. »Bei dieser Gelegenheit möchte ich Ihnen noch etwas sagen. Ich weiß, dass Sie nicht viel von mir halten. Sie streiten mir die Fähigkeit und Kompetenz ab, gegen das alltägliche Verbrechen auf dem von Ihnen und Ihresgleichen so mystifizierten Kiez anzugehen. Weil Sie ein Praktiker sind, der sich nicht vorstellen kann, dass es jemanden geben muss, der die Dinge vom Schreibtisch aus, von mir aus auch am Computer, in der Hand behält. Gut, Herr Gräfe, Sie haben ein Recht auf eigene Meinung. Aber lassen Sie sich eins gesagt sein - ich lasse mich nicht zum Narren halten. Und von Ihnen ganz bestimmt nicht.«

      Einen Augenblick starrte Tondorf Gräfe böse an, dann strich er mit einer Hand über sein trockenes braunes Haar.

      »Was macht Ihnen Kummer, Herr Hauptkommissar?«, fragte Gräfe. Der ironische Unterton trieb Tondorf die Röte ins Gesicht.

      »Das wissen Sie ganz genau, Herr Gräfe! Sie hätten mich von Ihrer Absicht, Nelles festzunehmen, um jeden Preis informieren müssen! Und kommen Sie jetzt nicht mit der dummen Ausrede, es sei Gefahr im Verzug gewesen und Sie hätten keine Zeit mehr gehabt, mich anzurufen!«

      Ein dünner Schweißfilm bedeckte Tondorfs Oberlippe, als Gräfe keine Anstalten machte, auf den Vorwurf einzugehen.

      »Bilden Sie sich etwa ein, ich wüsste nichts von Ihrem Gerede über Korruption im Polizeiapparat?«, fragte er laut.

      »Und? Wie stehen Sie dazu?«

      »Ich halte mich an nachprüfbare Fakten, statt mich um Kopf und Kragen zu reden«, antwortete Tondorf abweisend.

      Gräfe nickte höhnisch. »Deshalb werden Roth und ich getrennt. Roth wird hochgelobt, ich werde abgeschoben.«

      Tondorf stand auf. »Darauf hatte ich nicht den geringsten Einfluss«, erklärte er steif. »Sie haben mich nicht informiert, als sie in das Hotel stürmten, und man hat mich nicht gefragt, als man personelle Konsequenzen zog. Das wundert Sie doch nicht, Herr Gräfe, oder?« Bevor er den Raum verließ, wandte er sich noch einmal an Roth. »Kümmern Sie sich um die Fahndungen, Herr Roth. Und sonst nichts. Das ist ein kollegialer Rat.«

      »Du bist verrückt, ihn derart anzuscheißen!«, sagte Roth, als die Tür hinter Tondorf zufiel. »Warum tust du das?«

      »Weil er eine Pflaume ist«, antwortete Gräfe mürrisch.

      »Deine fixe Idee ... Glaubst du etwa, dass er etwas mit Heinen zu tun hat?«

      Gräfe lachte trocken auf. »Du denkst zu klein, Jürgen. Du bist eben nur ein Kriminalhauptmeister, genau wie ich, und für uns ist sowieso nichts drin im großen Schmiergeldtopf. Für uns schmeißen sie vielleicht mal 'ne Runde Weiber, wenn wir drauf anspringen. Und Heinen schmiert auch keinen Kommissar, der fängt viel höher an. Und deshalb kommen wir alle nicht an ihn ran, da können wir rumrennen, wie wir wollen. Wir haben's ja getan ...«

      »Dann verbrenn dir auch nicht den Mund«, sagte Roth.

      Er sah Gräfe unvermittelt an. »Und hör auf, hinter jeder Maßnahme gleich ein Komplott zu wittern.«

      »Ich war nur überrascht. Überrascht, es aus Tondorfs Mund zu hören ...«

      »Und nicht aus meinem? Ich war noch nicht dazu gekommen, es dir zu sagen. Außerdem hat Peikert nur beiläufig darüber gesprochen, dass ich nicht im Betrugsdezernat bleiben soll. Erkennungsdienst, Aus- oder Fortbildung, oder Logistik. Ich soll darüber nachdenken.«

      »Mann, du bist wirklich naiv, Jürgen. Hat er dir auch gesagt, dass du mit mir besser keinen privaten oder dienstlichen Umgang mehr pflegen sollst? Nein? Dann wird das sicher noch kommen. Irgendeinen Preis musst du bezahlen.«

      »Jetzt flippst du bald ganz aus«, stellte Roth fest. »Sei vernünftig, Volker!«

      »Ich soll vernünftig sein?« Gräfe sprang auf. »Ich werde vielleicht vernünftig, wenn du endlich wach wirst!«

      Wütend stürmte er hinaus, und wütend schmetterte er die Tür ins Schloss.

      Im Grunde wusste er, dass er Peikert und Tondorf dankbar sein musste, weil sie ihn mit einer sinnvollen Aufgabe betrauten. Er fürchtete sich vor dem Abend, dem kommenden Wochenende, und besonders vor dem Urlaub, den er gar nicht nehmen wollte.

      Er begann das Material zu sichten, das Tondorf ihm gebracht hatte, aber er konnte sich nicht auf die Arbeit konzentrieren. Der sinnlose Streit mit Volker Gräfe beschäftigte ihn nachhaltiger, als er sich eingestehen wollte.

      Stimmte es, dass man sie auseinanderbringen wollte?

      Aber wer?

      Und warum?

      In einem hatte Gräfe jedenfalls recht. Was auch immer gegen Heinen unternommen wurde, ging schief. Wie zuletzt die Festnahme des Dieter Nelles, obwohl der kaltblütige Mörder einfach Glück gehabt hatte. Dieses Mal noch. Nelles würde der Polizei früher oder später ins Netz gehen, das stand fest.

      Was Tondorf ihm aufgepackt hatte, waren nicht die wichtigsten, mit Sicherheit aber die schwierigeren Fälle, die immer wieder zurückgestellt wurden und so etwas wie den Bodensatz der Ermittlungsarbeit bildeten.

      Auf


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