HIPPIE TRAIL - BAND 2. Wolfgang Bendick
Читать онлайн книгу.um die Insel zu trampen. Überall kreischt und zirpt es im Geäst. Doch selten bekomme ich einen Vogel zu Gesicht. Dann komme ich an die Straße. Die Insel hat einen Umfang von 40 Kilometern. Notfalls könnte ich immer noch zu Fuß zurück. Denn so sehr George Town, der Hauptort der Insel, vor Menschen und Autos wimmelt, so verlassener scheint das Land zu sein. Bis zum ersten Tempel gehe ich zu Fuß. Es ist der Schlangentempel, ein buddhistischer Tempel in chinesischen Stil. An beiden Enden hochgezogene Dächer, mit Ziegeln gedeckt, fast alles Holz ist rot gestrichen. Im Innenhof sind allerlei Büsche gepflanzt, vor allem in Keramikgefäße. Ich lasse meine Schuhe neben dem Tempeleingang, setze mich eine Weile vor den Hauptbuddha. Nirgendwo eine Schlange zu sehen. Und die Fischer hatten gesagt, es seien hunderte davon da! Ein Mönch nähert sich. Ich frage ihn nach den Schlangen. Er zeigt stumm auf einen im Tempel stehenden Busch, nicht weit von da, wo ich sitze. „Ja und?“ Ich stehe auf und trete ganz nahe. Und da sehe ich es: das, was ich für einen Pflanzenstil mit Blütenknospe gehalten hatte, ist eine kleine, grüne Schlange. Und sie ist nicht alleine! Der halbe Busch ist lebendig und schaut mich mit züngelnden Mäulern an! Ich schrecke zurück. „Not poisonous?“ frage ich. „They are. But they don’t bite in Tempel!“ Der hat Humor! Warum sollten die im Tempel nicht beißen? Wünscht er mir eine Abkürzung ins Nirwana? Er führt mich etwas herum und zeigt mir die verschiedenen Schlangentypen in ihren entsprechenden Büschen. Es erinnert mich etwas an ein Suchbild. Hat man die erste entdeckt, findet man die anderen schneller. Selbst in hölzernen Gestellen, gleich Garderoben, räkeln sie sich. Warum solche Tempel? Zeigen sie die große Liebe und Mitgefühl Buddhas zu allen Lebewesen? Soll auch den Tieren der Weg zur Erleuchtung gezeigt werden?
Das Trampen geht auch trotz des wenigen Verkehrs. Meist nur von einem Ort zum andern. Und das gibt mir die Gelegenheit, fast alle Tempel zu besuchen. Der nächste ist der des liegenden Buddhas. Über dreißig Meter lang liegt er da, ganz in Gold und lächelt mir zu. Eine enorme Halle überspannt ihn. Der Tempel der 1000 Buddhas ist zugleich ein Kloster. In seinem hohen Turm sollen sich in den Nischen tausend Buddhastatuen befinden. Der ganze Komplex ist in den Hang gebaut und gleicht einem riesigen Park. Das nächste Auto setzt mich am Fuß der Seilbahn ab, vor dem Fahrkartenhäuschen. Ich leiste mir den Luxus und steige in die stufenartig gebaute Gondel. Diese fährt auf Schienen und ist mit einer anderen verbunden, die im Augenblick oben steht. Rumpelnd setzt sie sich in Bewegung. Auf halbem Weg, an einer Ausweichstelle, begegnen sich die beiden Kabinen. Dann bin ich auf über 800 Meter über dem Meer. In der Ferne sehe ich das Festland. Schiffe liegen in der Meeresenge vor Anker. Hinter mir erheben sich ein paar dicht beurwaldete Bergketten. Hier oben tummelt sich auch ein Affenklan.
Am nächsten Tag kommen die Studenten wieder vorbei. Seit ich hier draußen wohne, wird der Streifen Strand immer schmäler. Der Professor erklärt mir, dass in drei Tagen Springflut sei, also der höchste Wasserstand, und dass da der Strand ganz verschwindet. Es bliebe mir da nur, direkt im Urwaldrand zu schlafen. Der Professor hat eine Idee: Wenn ich wolle, könnte ich unterm Dach der Fischerkneipe schlafen. Der Wirt sei ein Bekannter von ihm und bestimmt einverstanden. Also sammle ich am Nachmittag meine Siebensachen und mache mich auf den Weg zur ‚Spielhalle‘. Der Wirt will nichts für die Behausung. Also kaufe ich einen fritierten Fisch bei ihm, damit ich wenigstens Kunde bin. Und wie bin ich in der kommenden Nacht froh, umgezogen zu sein! Es geht ein so starkes, nicht enden wollendes Tropengewitter nieder, dass ich Angst habe, der Blitz trifft die Bude oder der Sturm bläst sie ins Meer.
Am nächsten Morgen sehe ich eine große Menschenansammlung am Strand. Ein Boot, wie das, welches die Pfosten geholt hatte, kommt rückwärts an den Strand gerudert. Im Heck liegt ein Netz, dessen Anfang an Land gereicht wird. Dort wird es verankert, während das Boot hinausrudert und dabei langsam das Netz aussteckt. Das Netz ist so 1 Meter 50 hoch und besitzt oben Korkschimmer, die in der Trageleine eingearbeitet sind. Unten scheint es leicht beschwert zu sein. Das Boot beschreibt einen Halbkreis, während ein Fischer fortlaufend das Netz aussteckt. Als es ganz draußen ist, rudern sie mit dem Ende zum Strand. Hier nehmen es die Männer und Frauen in Empfang. Nun werden beide Enden gleichzeitig auf den Strand gezogen. Das Netz hängt wie ein Vorhang im Wasser und zwingt die Fische, die sich im oberen Bereich befinden, zum Strand zu schwimmen. Hier sind schon die Kinder bis zum Bauch im Wasser und versuchen mit Keschern die ersten zu erwischen. Je kleiner der vom Netz umgebene Raum wird, um so mehr quirlt das Wasser vor Fischen, die sich manchmal bis auf den Strand flüchten. Jetzt geht die große Ernte los. Meist mit bloßen Händen werden die Fische ergriffen und, damit es schnell geht, weit auf den Strand geworfen, wo sie leicht eingesammelt werden können, da ihr glitschiger Schleim voller Sand ist. Ich fühle mich wie auf einem Volksfest, so ausgelassen ist die Stimmung. Und alles wird am Ende geteilt.
Die Fischer fragen mich, ob ich mal mit hinaus auf Fang fahren will. So ein dreißig Stunden Törn. Und ob ich will! Morgen gegen Mittag soll es losgehen, und am nächsten Nachmittag oder Abend zurück. Ich schaue mir das Boot an. Vielleicht 9 Meter lang, 3 Meter breit. Und damit hinaus aufs weite Meer? Ja, und was mach ich mit meinem Geld, dem Ticket und den Papieren, falls wir absaufen? Oder falls das Piraten sind und keine Fischer? In der Früh gehe ich gleich zum Touristenbüro und deponiere meine Travellerschecks und das Schiffsticket in ihrem Safe. Meinen Pass vertraue ich den zwei deutschen Freunden an. Ich halte sie für korrekt. Meinen Rucksack lasse ich in der Kneipe. Nur in Badelatschen, Turnhose und Hemd gehe ich an Bord, der offiziellen Arbeitskleidung der Fischer von Penang. Doch ehe es losgehen kann, muss noch Diesel getankt werden. Das geschieht mit einem Fass, das über den Steg bis zum Boot gerollt wird. Dann angesaugt, und die Schwerkraft macht den Rest. Ein LKW hat Eis angeliefert. Jede Bootsbesatzung schnappt sich so einen Block, etwa 1 Meter x 0,5 x 0,25 groß, und schiebt ihn über den Steg zu ihrem Boot. Dort wird eine Rolle an einem der Pfosten befestigt, darüber ein Seil mit einer Zange an einem Ende. Damit gelangt der Klotz an Deck. Damit er nicht durch die Schiffsbewegung ins Rutschen kommt, legt man ihn auf eine Matte aus Kokosfasern. Sogleich wird ein Teil davon mit einem Beil klein gehackt, in Sacktuch gefüllt, damit es nicht zu schnell schmilzt, und in zwei kleinen Luken verstaut. Ebenfalls der nun leichtere Rest des Blockes. Von da wird es dann später über die einzelnen Kisten und Körbe mit Fang gestreut. Der Steg erstreckt sich gut 50 Meter in die Bucht hinaus. Er ist so gebaut, dass auch bei Niedrigwasser noch Boote am äußeren Ende anlegen können. Jetzt liegt gerade ein gutes Dutzend Fischerboote am Steg. Manchmal zwei oder drei nebeneinander. Es herrscht emsiges Treiben. Die Mannschaften bereiten alles für die baldige Ausfahrt vor, die Kinder hüpfen dazwischen herum, angesteckt von der Aufregung der Ausfahrt. Warum fahren alle zugleich auf Fang aus? Ist gerade ein günstiger Zeitpunkt zum Fischen, oder braucht ein Großhändler dringend Fische? Laufen die Boote nur bei hohem Wasserstand ein und aus? Aber es spricht keiner Englisch, und man wird ja sehen...
Der Kapitän, der auch Maschinist ist, und je nach Bedarf in alle Rollen schlüpft, macht sich am Motor zu schaffen. Der ist das Herz und die Muskeln des Schiffes. Er sieht ziemlich alt aus. Etwas öliges Bilgenwasser bewegt sich im Rhythmus der See unter seiner Befestigung und zwischen den Spanten. Der Motor liegt gleich hinter dem Ruderhaus in einem kleinen Abteil, erreichbar vom Ruderhaus oder durch eine Luke im Deck. Hier riecht es nach Diesel, während sonst überall der Geruch von Fisch dominiert. Das Boot ist bereit. Die Netze und deren Schleppleinen liegen an Deck, fertig zum Ausstecken. Es ist wenig Raum auf dem Kahn. Das Ruderhaus nimmt einen Teil des hinteren Drittels ein. Vor diesem steht ein kleiner Mast mit einem Ladebaum, der die Funktion eines Kranes übernehmen kann. Vor dem Mast geht eine drehbare Welle querschiffs fast über die ganze Breite, mit einem Spillkopf (felgenförmige Trommel, dient zum Hieven) auf jeder Seite, womit seitlich am Ruderhaus vorbei die Schlepptrossen von Netz eingeholt werden können, die Festmacherleinen oder die Ankerkette, als auch das Ladegeschirr betätigt werden kann. Auf dem Vordeck befinden sich zwei Luken, hinter dem Ruderhaus und dem Motorschacht eine. Diese sind durch ein 20 Zentimeter hohes Süll (Umfassung) eingefasst und können mit einem Deckel seefest verschlossen werden. Die ersten Boote legen ab. Unser Kapitän steckt die Kurbel ein, ein paar Handgriffe am Motor, dann wird gedreht. Der Antrieb muss ein Getriebe haben mit Kupplung und einer Schwungmasse. Nachdem diese in Drehung gesetzt ist, legt jemand einen Hebel um und der Motor wird durch diese in Bewegung gesetzt. Mit viel Qualm und Knallen erwacht er zum Leben. Das Boot vibriert gehörig. Doch einmal der Motor warm, und die Drehzahl erhöht, legt sich das weitgehend. Dann haken die Kinder die Festmacherleinen aus, die Männer drücken das Boot leicht mit dem Vorschiff in Richtung