Ich war ein Kind der DDR. Margarithe W. Mann
Читать онлайн книгу.mein Großvater über die vermeintlichen Sorgen und Befürchtungen meiner Eltern und der Oma hinsichtlich unserer guten Erziehung und freute sich, dass wir Kinder so einen Spaß dabei hatten. Mein Opa wusste genau, dass er solche Späße anbringen kann, weil wir Kinder wiederum ganz genau wussten, dass man so etwas nicht macht, wenn wir in der Gaststätte sind oder wenn Besuch da ist.
Irgendwann zu Beginn der sechziger Jahre sprachen alle Erwachsenen vom Bau einer Mauer, aber als Kind konnte ich damit noch nichts anfangen, ich konnte nicht wissen, was das ist und was es damit auf sich hat. Ich war acht Jahre alt, ich hörte, wie sich die Erwachsenen unterhielten. Es fielen die Worte Osten und Westen, Walter Ulbricht, DDR und Westberlin. Später begriff auch ich, man sprach vom Bau der 156 km langen Mauer am 13. August 1961. Walter Ulbricht veranlasste die Trennung Deutschlands in zwei Staaten, in Ostberlin, also in die DDR und in Westberlin.
Aber wie gesagt, ein Kind beschäftigt sich mit den für ihn erst mal wichtigeren Dingen, so mit der Tatsache, dass wir alle auf für mich unerklärliche Weise nicht mehr in den Garten mit dem kleinen grünen Häuschen gehen konnten, weil alles weg ist, wie man uns sagte, … ohne dass ich es zu der Zeit begreifen konnte. Mein Opa versuchte es mir zu erklären: „Die Stadt Saalfeld will dort, wo unser kleines grünes Gartenhäuschen steht Häuser und Wohnungen bauen“, aber meine Frage, warum man denn die Häuser nicht woanders bauen könne blieb offen, weil sie niemand beantworten konnte. Heute stehen da, wo einst der Garten mit dem kleinen grünen Holzhäuschen war Einfamilienhäuser, … und nicht nur von der schmalen Treppe, die hinauf in das Gärtchen führte, bleibt die Erinnerung an eine schöne Zeit zurück.
Unser Opa bemühte sich um einen neuen Garten und kaufte 1962 ein großes Grundstück am Steiger. Wir wohnten noch immer in Lauscha und die Eltern fuhren mit uns Kindern an den Wochenenden und in den Ferien nach Saalfeld. Alles wie gehabt, in der hellen Jahreszeit waren wir im Garten, im Winter blieben wir hin und wieder auch mal zu Hause in Lauscha.
Mein Großvater ließ im neuen Garten ein Häuschen bauen, es war viel größer als die Hütte im Garten in der Stadt. Der Steiger lag, bzw. liegt recht weit vom Stadtkern entfernt am angrenzenden Wald. Von der Sonneberger Straße, also der Wohnung meiner Großeltern bis zum Steiger sind es gut 5 km, die zurückgelegt werden mussten, um den Garten zu erreichen. Dabei ging es auch noch zeitweise recht steil bergauf. In der ersten Zeit besaßen meine Eltern noch kein Auto, aber viele Dinge, die geerntet werden sollten. Von Johannisbeeren, über Kirschen, Äpfeln, Birnen bis hin zu Pflaumen war alles in großen Mengen vorhanden, weil eine Vielzahl von Bäumen und Beerensträuchern bereits zum Zeitpunkt des Gartenkaufes von der Vorbesitzerin Frau Röscheisen eingebracht waren. Sie verkaufte aus Altersgründen den größeren Teil des Gartens und behielt nur einen kleineren Part für sich. Die alte Dame wohnte sogar in ihrem Garten, in einem alten, aber irgendwie urigen Holzhaus ohne Wasser und ohne Strom. Das Wasser holte sie an der Pumpe und als Beleuchtung diente eine Petroleumlampe. Von einem alten Ofen, den sie mit Holz beheizte lugte ein langes Rohr aus ihrem Dach heraus. Alles in allem also noch ein wenig „vorsintflutlicher“ als es in diesen Jahren bei uns zu Hause in Lauscha war.
Wir schrieben bereits das Jahr 1963, ich war zehn Jahre alt, mein Bruder sechs Jahre.
Um noch einmal auf das viele Obst, welches es in unserem Garten gab zurück zu kommen, blieb uns in der ersten Zeit nichts anderes übrig, als die voll mit Obst beladenen Holzstiegen mit dem Handwagen zu transportieren.
Zu meinem 10. Geburtstag bekam ich von meinem Opa Anbaumöbel geschenkt, sie waren aus Holz und sehr stabil, nicht so wie es heute die gängigen Schrankwände aus Presspappe gibt, die bereits nach dem 2. Umzug aufgeben, weil sie in ihre Einzelteile zerfallen. Diese Schränkchen von meinem Großvater dienten später noch meinen Kindern als Kinderzimmerinventar, ich besaß sie knapp fünfzig Jahre lang, heute ist diese Vorstellung eine Fiktion.
Im Juni 1963 starb mein lieber Großvater an einer Lungenentzündung, die er sich wohl bei schlechtem Wetter am Steiger eingefangen hatte, als er sich dort bei den Bauarbeiten des Gartenhäuschens zu schaffen machte. Er erlebte die Fertigstellung des Häuschens und die Schuleinführung meines Bruders nicht mehr. Der Tod meines Opas hatte zur Folge, dass die Eltern mit uns 1964 zurück nach Saalfeld gezogen sind. Die Wohnung in der Sonneberger Straße war für meine Oma und den Onkel Josef zu groß geworden. Es bestand die Gefahr, dass man auf Grund der Wohnungsknappheit fremde Leute einmieten würde. Also gab es für uns Kinder einen Wechsel der Schule mit Beginn des neuen Schuljahres am Dienstag, den 1. September 1964 in Saalfeld. In der DDR begann das neue Schuljahr immer am 1. September, mit Ausnahme wenn der 1. September auf einen Sonntag fiel, denn der Sonnabend war zu meiner Zeit, wie schon einmal gesagt ein Unterrichtstag. Meine Mutter fing im Labor des Krankenhauses in Saalfeld an zu arbeiten. Mein Vater musste noch ein Jahr in Lauscha bleiben, das hing mit seinem Amt als Stellvertretender Bürgermeister zusammen. Gleichzeitig sorgte er dort für die Auflösung der Wohnung und kam nur an den Wochenenden nach Hause. Wenn ich es richtig einordnen kann, ist es auch jene Zeit, in der es für unsere Familie den ersten Trabi gab, der später den Namen „Kugelporsche“ erhielt. Der Trabi damals in der DDR war nicht nur ein Auto, sondern er war ein Familienmitglied, auch bei uns zu Hause. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an häufige Pendelfahrten zwischen Lauscha und Saalfeld, besonders im Winterhalbjahr. Mein Vater meinte vor Antritt der Fahrt zurück nach Lauscha immer: „Na hoffentlich kommen wir gut den Lichtener Berg hinauf, es ist glatt und es schneit auch schon wieder“. Ohne Schneeketten ging da gar nichts. Aber der Trabi kam so gut wie immer über diesen Berg an sein Ziel, die Fahrt wurde nur gestoppt, wenn vor uns ein Auto ins stocken geriet. Dann mussten wir alle aussteigen und schieben bis wir wieder in Gange kamen, dazu wurden Decken unter die Reifen gepackt.
Im Sommer gestaltete sich der Transport des geernteten Obstes für meine Eltern nun wesentlich leichter. Einkäufe für das Wochenende und andere Dinge, die am Wochenende im Garten benötigt wurden konnten nun mit unserem Trabi transportiert werden.
Ich erinnere mich daran, dass wir mit dem Trabi in den Urlaub gefahren sind, an die Ostsee, und einmal waren wir in der Landeshauptstadt Berlin. Wir fanden es als Kinder toll in diesem für uns riesigen Hotel zu schlafen. Das Essengehen war für uns eine Attraktion, denn das kam bei uns zu Hause äußerst selten vor.
Wie ging es uns nun in der Schule weiter? Von Politik verstand ich als elfjähriges Kind kaum etwas, mein Bruder erst recht nicht. Mir „stinkte“ es nur an, wie man sich heut` zu Tage auszudrücken pflegt, dass ich mir neue Freunde suchen musste. Ich bin in meinem Wesen eher zurückhaltend gewesen und brauchte eine Weile, um mit der neuen Situation klar zu kommen, während sich mein Bruder in dieser Beziehung nicht so schwer tat und schnell neue Kumpels gefunden hatte, mit denen er draußen herumtollte. Seine Lieblingsbeschäftigung war Räuber und Gendarm spielen oder mit dem Tretauto zu fahren, in das ich nun leider nicht mehr hinein passte. Ich zog es vor, mit ein paar Gleichaltrigen meine neuen Rollschuhe auszuprobieren. Hinter dem Wohnhaus in der Sonneberger Straße befand sich im Anschluss an die dazugehörigen kleinen Gärten eine Vielzahl von Garagen, die mit Betonplatten umgeben waren. Diese schöne glatte Fläche war nicht nur zum Hüpfkästchen spielen bestens geeignet, sondern auch zum Rollschuhlaufen wie geschaffen. Ein Mädchen musste immer auf ihren viel jüngeren, Bruder aufpassen, der nun wirklich noch zu klein war, um mit uns mithalten zu können. Sie war genervt, sie musste ihn überall mitschleppen. Wir wollten ihr helfen, sie lief mit uns und der ganzen Meute weg, wir ließen den Kleinen einfach stehen und dachten uns nichts dabei. Der rannte natürlich hinter uns her und schrie als ob es ihm ans Leben ginge. Alles rannte und es kam was kommen musste, er stolperte und fiel der Länge nach auf die Nase. Er hörte im ersten Moment auf zu brüllen, stand dann auf und drohte hinter uns her. Erst beim Anblick seiner aufgeschrammten Knie fing er wieder an zu heulen und rief: „ … Hilfe! Hilfe … es kommt Blut, es kommt Blut!“. Seltsamerweise ist bei allen Kindern etwas ganz besonders schlimm, wenn irgendwo Blut zu sehen ist. Jedenfalls blieb uns nichts anderes übrig, als die für uns unbequeme Last wieder weiter mit uns zu führen.
1965 Kam auch mein Papa zu uns nach Saalfeld und nahm im Schloss seine Arbeit in der Abteilung Verkehrswesen und Straßenbau auf. Zu seinen Aufgaben gehörte auch die Einteilung des Winterdienstes. Nicht selten schlug er sich selber so manche Nacht um die Ohren, weil er mit den Räumfahrzeugen unterwegs war. Ich muss sagen, in der damaligen Zeit klappte die Räumung der Straßen bei Schnee und Eis