Ich war ein Kind der DDR. Margarithe W. Mann

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Ich war ein Kind der DDR - Margarithe W. Mann


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Richtung bei der Erziehung. Heute hört man Äußerungen wie: „Was bist du so blöd und lässt dein Brot zu Hause liegen? Selber schuld!“.

      Was die Ehrlichkeit betrifft habe ich ein für mich ganz fatales Ereignis in Erinnerung. Ich habe meiner Mutter einmal aus ihrer Geldbörse eine Mark entwendet, geklaut, auf Deutsch gesagt. Ich wollte mir Kokosflocken kaufen, die habe ich für mein Leben gern gegessen und Taschengeld gab es für uns in diesem Alter noch nicht. Meine Mutter hatte aber bemerkt, dass diese Mark fehlte und dass nur ich sie genommen haben konnte. Oh die Reformante war schlimmer als es heut` zutage mit Tagedieben auf der Polizeidienststelle gehandhabt wird, weil ich zuerst auch noch abgestritten hatte, das Geld genommen zu haben. Meine Mutter sagte: „Du bist ein Dieb und Diebe sperrt man ins Gefängnis. Wenn du jetzt erwachsen wärst, dann würde man dich einsperren, weil du nicht nur gestohlen, sondern auch noch gelogen hast“. Mein Vater war der Sache gegenüber ein wenig gelassener und nickte nur beipflichtend mit dem Kopf. Ich wurde natürlich bestraft, ich bekam von meiner Mutter ein paar Tage Stubenarrest. Damals habe ich lange Zeit geglaubt, dass man mich für diesen Diebstahl einsperrt sobald ich erwachsen sein würde. Als ich einige Zeit später mit meiner Oma einmal im Konsum war, entdeckte ich in einer Schublade Trockenpflaumen, ich mochte sie gerne, weil sie so süß und lecker sind und ich nahm eine heraus, … da fiel mir urplötzlich das Drama mit den Kokosflocken ein und dass man ins Gefängnis kommt, wenn man etwas stiehlt, also schmiss ich sie lieber schnell wieder zurück. Wie gesagt gab es noch keine Supermärkte im heutigen Sinne, man ging auch in Saalfeld in den Konsum. Es gab verschiedene kleine Schubfächer, die dem Kunden zugänglich waren. In so einem Fach lagen eben auch die besagten Trockenpflaumen. Ich erinnere mich weiter an sehr große durchsichtige Gläser, wie große Gurkengläser, in denen bunte Bonbons lagerten. Wir Kinder bekamen immer von der Verkäuferin eins davon geschenkt, wenn wir zum Einkaufen im Laden auftauchten, egal ob allein oder mit der ganzen „Meute“, mit den Eltern oder der Oma.

      In der DDR gab es auch noch die so genannte HO, eine Handelsorganisation geführt als staatliches Einzelhandelsunternehmen in oder als Form des Volkseigentums, gegründet 1948. Die HO war in die Bereiche Industriewaren, Gaststätten, Hotels und Lebensmittel (Ohne Sammelmarken) aufgegliedert. Die HO war also eine Staatliche Organisation und die Konsumkette ein genossenschaftliches Unternehmen. Beide etablierten sich zusammen im DDR – Alltag.

      Nach wie vor fuhren wir in den Ferien und an den Wochenenden mit den Eltern nach Saalfeld, allerdings immer erst am Sonnabend nach dem Mittagessen. In diesen Jahren war am Sonnabend in der Schule noch Unterricht und die Eltern mussten arbeiten. Meine Oma wartete schon auf uns und mein Opa spielte mit uns das Spiel „Räuberwald“, bis es hieß: Kaffee trinken. Auch damals besaßen Kinder kein „Sitzfleisch“, es war genau nicht anders als heute und unser Opa ließ sich nicht lange bitten, das tolle Spiel mit großem Jubelgeschrei fort zu setzen. Meine Großmutter schüttelte nur mit dem Kopf und hielt sich bald darauf die Ohren zu. Zum „Räuberwaldspiel“ wurden die Stühle so aufgestellt, dass sie mit Fantasie als Auto fungieren konnten. Mein Großvater war meist der Taxifahrer, mein Bruder Holger der Räuber und ich der Beifahrer. Mein Bruder musste uns im Wald überfallen, ausrauben und fesseln. Das alles ging mit viel Lärm vor sich, wir Kinder fanden das einmalig. Aber fast noch besser gefiel uns das Spiel „Musikkapelle“. Mit zwei Stürzen (so nannte man Topfdeckel) pro „Mann“ ging es im Gänsemarsch durch die ganze Wohnung. Die Topfdeckel wurden dabei heftig aneinander geschlagen, das ergab für uns ein herrliches Getöse. Meine Oma war bereits verzweifelt, meine Eltern durften nichts sagen, sie waren bei solchen Angelegenheiten, die mein Opa mit uns vollführte entmündigt und er amüsierte sich königlich. Mittendrin waren auch noch die beiden Hunde, zu der Zeit ein brauner Langhaardackel namens Knirps und eine Chow – Chow -Hündin, die Arta hieß. Es war der zweite Dackel an den ich mich erinnere. Ich weiß noch, dass der erste Dackel, den ich immer mit knapp zwei Jahren im Hof meiner Großeltern gebürstet habe, ein schwarz – brauner Kurzhaardackel war, zu dem ich immer Seppl, mein Goldschatzerle gesagt haben soll. Die Arta und der Knirps vertrugen sich nicht so sehr gut, es musste Obacht gegeben werden, damit sie nicht zusammengerieten, das war die Aufgabe vom Onkel Josef, also dem Bruder meiner Oma. Überhaupt war die Beziehung zwischen dem Onkel Josef und der Arta ein Ding für sich. Die Arta saß immer neben meinem Großvater wenn er sich im Sessel ausruhte und knurrte sofort wenn der Onkel Josef in der Tür erschien, auch wenn er es gut meinte und eine leere Bierflasche von meinem Opa mitnehmen wollte. Der Onkel Josef durfte nur in Artas Nähe kommen, wenn er ihr Futter geben oder mit ihr Gassi gehen wollte. Alle sagten: „Die Arta hat etwas gegen den Onkel Josef, weil er ihr bestimmt einmal etwas Böses angetan hat“. Er mochte Tiere nicht besonders. Der Hund hatte es wohl nicht vergessen und spürte zudem die Abneigung meines Onkels, denn mein Bruder und ich durften auch mit ihr spielen. Die Arta bekam auch einmal Babys, mein Papa war ärgerlich, denn es waren keine „echten“ Kinder, aber mit echt oder unecht konnte ich in diesem Alter noch nichts anfangen. Ein Hundebaby von der Arta war noch recht lange bei uns verblieben, Ursus hieß es und war ganz kuschelig. Eines Tages war Ursus weg. Man beschwindelte mich auch noch, indem man mir erzählte, der Ursus sei zur Hundeschule unterwegs. Irgendwann fand ich doch die Wahrheit heraus, er war verkauft worden. Ich fand das voll gemein, ich war schwer enttäuscht, es ist doch egal, ob echt oder nicht, - oder? Außerdem hatte mein Papa damals bei meinem Kokosflockenattentat gesagt, dass man nicht lügen darf, … also bitte!

      Kurz darauf bekam der Dackel Knirps vier Babys, es waren zwei Langhaar und zwei Kurzhaardackel, nun verstand ich als Kind halt gar nichts mehr, die waren doch nun echt, wie man sagte und wurden trotzdem weggegeben.

      Mein Opa kaufte ein Pony und löste damit bei uns Kindern ohne Frage optimale Freude aus, es hieß Peter und war schwarz – weiß gescheckt. Einmal hatte sich das Pferdchen über den Kuchen hergemacht, den meine Oma gebacken hatte und den es zum Kaffee geben sollte. Ich sehe das für uns Kinder äußerst amüsante Ereignis von damals noch genau vor mir: Der Tisch in der Sitzecke hinter dem kleinen grünen Gartenhäuschen war bereits für die bevorstehende Kaffeezeit gedeckt. Meine Großmama brachte den Kuchen, stellte ihn auf den Tisch und rief uns: „Kommt alle bitte Kaffeetrinken!“. Ich saß auf meiner Schaukel und sah, dass meine Oma noch einmal in die Laube zurück ging, sie hatte bestimmt etwas vergessen. Plötzlich war der Peter da, er schniefte auf dem Tisch herum und machte sich im gleichen Augenblick über die Torte her. Ich konnte nur noch: „Oooomaaa, der Peter frisst den Kuchen auf!“ schreien. Nun kamen alle aus verschiedenen Richtungen herbei gestiebt, meine Oma schlug vor Schreck und Entsetzen die Hände über ihren Kopf zusammen, wie sie es jedes mal tat, wenn sie glaubte in einer ausweglosen Situation zu sein. Ihr verzweifelter Hilferuf ließ meinen Opa in schallendes Gelächter ausbrechen. Durch den ganzen Lärm erschrocken buckelte das Pferdchen, drehte sich um und schlug nach hinten aus. Mein Papa, der gerade um die Ecke kam ließ geistesgegenwärtig die Harke fallen, um den Tisch im letzten Moment fest zu halten, der schon verdächtig schwankte, wackelte und drohte, mit samt dem Geschirr und der verunstalteten Torte ähnlich wie beim „Zappelphillipp“ den Abgang zu machen. Mein Großvater lachte noch immer herzlich aus vollem Halse, ich kann es noch heute deutlich hören, während meine Oma sich nicht wieder einkriegen konnte und noch immer händeringend hilflos kreischte „Oh, … Jesses Maria, … der wird noch alles umreißen!“. Wie immer schlug sie in ihrer Verzweiflung die Hände dabei über ihrem Kopf zusammen, um alles ihrer Ansicht nach dramatische Geschehen zu unterstreichen. Nachdem sich alle beruhigt hatten, stellte man fest, dass noch genug köstliche Torte für alle da war.

      Mein Opa „ärgerte“ zu gerne meine Oma, spaßig gemeint natürlich und setzte damit dem ganzen Ausnahmezustand mit dem Pferdchen noch einen drauf, indem er zu uns Kindern sagte: „So, … nun wollen wir alle mal wieder unanständig essen“, das war für meinen Bruder und mich verständlicher Weise eine Aufforderung allerhöchster Güte und jedes mal das Erlebnis pur, … unvergessen für alle Zeit. Meine Oma setzte bereits eine süß säuerliche Mine auf, meine Eltern schauten etwas ratlos in die Runde und mein Opa fing an, wie angekündigt unanständig zu essen und kommentierte das Ganze ausführlich: „Soooo, jetzt schmatzen wir so laut es geht und schlürfen dazu richtig laut beim trinken, … und wenn wir fertig sind, dann lecken wir noch den Teller ab, einmal links herum und dann rechts herum, … und dann alles noch einmal von vorn, …“. Einfach herrlich ist das für uns gewesen. „Du bringst den Kindern schöne Sachen bei!“, flötete meine Oma bereits am Rande ihrer Verzweiflung


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