Ich war ein Kind der DDR. Margarithe W. Mann
Читать онлайн книгу.Garten mit einem grünen Holzhäuschen in deutlicher Erinnerung geblieben. Unmittelbar vor der kleinen Hütte blühte immer eine gelbe Kletterrose. Ein Stück links daneben stand eine große Tanne und unter ihr eine alte rostige Regentonne. Hinter dem niedlichen Gartenhäuschen gab es für mich eine Schaukel und einen Sandkasten. Mein Großvater hockte viel mit mir in diesem Buddelkasten und wir haben gemeinsam Kuchen aus Sand gebacken. Meine Oma spottete dann immer: „Na, willst du den Kuchen nicht auch noch essen Gottfried?“. Manchmal ging ich auch mit meiner Oma allein in den Garten, ich weiß noch, dass wir dann mit einem Körbchen nach Hause zurückkehrten, in dem sich Obst und Gemüse befand. An den Wochenenden kamen auch meine Eltern mit in den Garten, der auch von uns liebevoll Gärtchen genannt wurde. Wenn ich nicht mit meinem Opa im Sandkasten spielte, dann ließ ich mich auf der Schaukel aus. Meine Oma schrie dann immer: „Um Gottes Willen, … Jesses Maria, ich kann das gar nicht sehen, Heidi, sag` dem Mädel, sie soll nicht so hoch und so wild schaukeln, … sie wird noch herunter fallen!“, … und natürlich schlug sie erst die Hände über ihrem Kopf zusammen und hielt sich anschließend die Augen zu. Wenn es schön warm war und die Sonne schien, füllten meine Eltern oder Oma und Opa eine kleine Blechwanne mit Wasser und ich konnte den ganzen Tag planschen oder auch das Wasser zum Sandkuchen backen in den Sandkasten schleppen, … bis irgendwann das Wasser alle und die Wanne leer war. Auch meine Tante Lindi, also die Schwester meiner Mutter war hin und wieder mit bei uns im Gärtchen. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich daran, dass man mich einmal austricksen wollte. Außer Blumen und Gemüse gab es auch einen Kirschbaum und ich erschluckte versehentlich beim Kirschen naschen einen Kern. Wie bei allen Kindern war das natürlich ein echtes Malheur. Meine Mutter schenkte dieser „Tragik“ wenig Beachtung und meinte nur: „Irgendwann wird der Kern schon wieder hinten heraus kommen“. So recht zufrieden bin ich wohl nicht mit dieser Antwort gewesen. Meine Tante meinte: „ Komm´, setze dich im Häuschen auf deinen Topf, dann wird der Kern bestimmt in dein Töpfchen fallen“. Das tat ich dann auch. Nach einer Weile kam meine Tante herein und sagte: „Ich schaue jetzt mal nach, ob der Kern schon in dein Töpfchen gefallen ist“. Sie half mir hoch und ich habe ganz genau mitbekommen, dass sie einen Kirschkern hinein „zauberte“ und freudig rief: „Na siehst du, da ist er doch schon, der Kern, den du verschluckt hast!“. Die Erwachsenen wollten mir allen Ernstes glauben machen, dass der Kern allein den Weg aus meinem Po gefunden hätte. He Leute! So klein war ich ja nun nicht mehr, dass man mir so etwas „weiß machen“ konnte. Trotzdem danke, Tante Lindi!
Meine Mutter machte nicht unnötig viel „Ruß“ mit mir, wie man es bezeichnen könnte. Manche Erinnerungen bleiben hängen, auch wenn man klein ist. Ich hatte irgendwann in diesen Jahren einmal Nasenbluten, weil ich mich beim Herumtollen heftig gestoßen hatte, natürlich heulte ich laut. Meine Tante hob mich auf einen Stuhl und meine Mutter brachte einen nassen Lappen und fummelte mir im Gesicht herum. Ich wollte Trost suchen bei meiner Mutter und mich an sie lehnen. Ich werde nie vergessen, dass sie mich von sich weg drückte, sanft, aber dennoch schob sie mich beiseite. „Du schmierst alles voll“, sagte sie. Meine Tante säuberte mich und zog mir einen frischen Pullover an.
Meine Mutter war immer „reserviert“, wenn ich es so bezeichnen darf, das ist jetzt kein schlecht machen meiner Mutter, aber es war eben so. Sie nahm mich auch kaum einmal hoch auf den Arm und sehr selten saß ich auf ihrem Schoß. Also ging ich lieber zu meinem Papa. Auch mein Opa schleppte mich oft umher, auch dann, wenn ich bequem hätte laufen können. Auch in späteren Jahren, als ich ein junges Mädchen war und auch noch später als Erwachsene wich meine Mutter immer irgendwie aus, wenn ich ihr zu Nahe kam und ich sie aus welchem Grund auch immer umarmen wollte. Das ist jetzt natürlich kein Indiz dafür in der DDR gelebt zu haben, aber es gehört zu meinem Leben dazu, ob nun in der DDR oder anderswo, also halte ich auch diese Dinge, so wie sie mir gerade einfallen, fest.
Auch im Winter war es nie langweilig bei den Großeltern, ich war ja nun nicht mehr so klein, dass ich nicht auch mal allein im Hof spielen durfte. Zudem war ich dort nie wirklich allein, es gab Nachbarskinder mit denen man spielen konnte. Entweder kamen sie zu mir herüber oder ich war bei ihnen auf dem Hinterhof, wie man sagte. Ich erinnere mich an eine Brigitte und einen Henri, zu dem alle immer der „Upsi“ gesagt haben, warum, das weiß ich allerdings heute nicht mehr.
Von heute auf morgen wurden die Tage in Saalfeld, für mich grundlos, plötzlich unterbrochen und ich musste mit meinen Eltern zurück nach Lauscha fahren und den „Leidensweg“ Kindergarten fortsetzen. Vielleicht wollte man ausprobieren, ob ich nun nicht mehr so oft krank sein würde, so dachte ich jedenfalls. Ich freute mich immer, wenn meine Mutter sagte: „So, jetzt geht es los, jetzt fahren wir zu Oma und Opa“.
Ich meine, mich daran erinnern zu können, dass ich eines Tages auf einer Fahrt von Saalfeld nach Lauscha mit meinem Opa und meinem Vater allein im Auto saß, ohne Mama, das war im Frühjahr 1957. In der Wohnung, in der Friedensstraße angekommen, lief ich in das Zimmer, wo sich meine Spielsachen befanden, und auch mein Bettchen stand dort, … aber was war denn das? Mein Bettchen war besetzt, etwas lag darin. Ich stieg auf den Rand des Gitterbettes und zog mich ein Stückchen hoch, um über das Gitter schauen zu können. Es sah aus wie eine Puppe, aber auf einmal fuchtelte diese Puppe mit den Armen in der Luft herum und fing an zu schreien bis sie ganz puterrot im Gesicht war. Ich war so intensiv mit diesem schreienden Bündel beschäftigt, dass ich gar nicht bemerkt hatte, dass mein Papa zu mir ins Zimmer trat, … und wo war Mama? Ich wurde erst aus meinem Erstaunen gerissen, als ich die Hand meines Papas auf meinem Kopf spürte. „Das ist dein Brüderchen, es liegt in deinem Bettchen, weil du jetzt die Große bist und es nun ein anderes, neues Bett für dich gibt“. Ich sah zu meinem Vater hinauf, er lächelte und nickte mir zu. Ich war stolz, weil er zu mir Große gesagt hatte. Das Bündel, welches sich mein zukünftiger Bruder nannte schrie indessen unentwegt und lautstark weiter bis meine Mutter hereinkam. Sie lupfte das lärmende Paket regelrecht in die Höhe und verschwand mit ihm aus dem Zimmer. „Komm`, ich zeige dir dein neues Bett“, sagte mein Vater und wir verließen ebenfalls das kleine Zimmerchen. Also hatte ich von fort an einen Bruder, Holger, geboren am 21. April 1957, … und ich war nun die „Große“, … vier Jahre alt. Ich hatte von der Schwangerschaft meiner Mutter nichts mitbekommen, aber ich war noch zu klein, um mir darüber ernsthafte Gedanken zu machen, ich hatte nun einen Bruder und fertig.
Ein Jahr später zog ich mit meinen Eltern und meinem Bruder in eine andere größere Wohnung, „Am Alten Weg 3“. Es war ein Mehrfamilienhaus, welches auf einem Berg stand. Ein schmaler, steiler Weg führte hinauf. Wir wohnten unten im Parterre, in der Mitte lebte eine Familie mit einem kleinen Mädchen, Sibylle hieß sie und war bei unserem Einzug erst ein paar Monate alt. Oben im Haus wohnte eine Familie, die einen Sohn hatte, er hieß Rolf und war etwa vier Jahre älter als ich, er ging demzufolge schon zur Schule.
Es muss kurz nach unserem Umzug gewesen sein, als wir in der alten Wohnung, in der wir zuvor gewohnt hatten irgendetwas gefeiert haben. Ich weiß nicht was es war, nur dass viel Schnee lag und mein Vater nicht nach Hause gehen wollte. Wo mein Bruder war, kann ich natürlich auch nicht sagen. Jedenfalls befanden wir uns dann auf der Straße, um endlich heim zu gehen. Ich war sehr müde, aber mein Papa rutschte dauernd auf der glatten Straße aus und fiel auf seinen Hosenboden. Meine Mutter half ihm beim Aufstehen, dann ging es wieder von vorne los und mein Vater saß schon wieder auf der Straße. Wenn ihn meine Mama hoch gezerrt hatte, dann ballte er seine Faust und drohte auf die Fenster verschiedener Häuser an denen wir vorbei liefen. „Lass` das und komm` jetzt weiter“, sagte sie und zog an seinem Ärmel. „Ja, Papa, geh weiter, los jetzt“, gab ich meinen Senf dazu und schob ihn an seinem Hinterteil vorwärts. Jahre später klärte man mich auf. Es wurde der Geburtstag meines Großvaters gefeiert und mein Papa hatte wohl viel Spaß dabei. Er hatte ein wenig „über den Durst“ getrunken und war nicht dazu zu bewegen nach Hause zu gehen. Mein Papa war Mitglied der freiwilligen Feuerwehr und nur ein in die Geburtstagsrunde geworfenes lautes: „Es brennt, … es brennt“, ließ meinen Vater aufspringen und die Runde verlassen. Warum halte ich dieses, nicht unbedingt für andere interessantes Ereignis fest? Für mich ist es von Wichtigkeit, denn nie wieder habe ich meinen Vater so erlebt. Mein Papa war sein ganzes Leben lang ein sehr bescheidener und ruhiger Mann, der immer besonnen handelte, den ruhigen Pol in der Familie verkörperte und mein Anlaufpunkt war.
Und wie ging es mit mir weiter? Ich lebte nun wie gesagt mit meinen Eltern und meinem