Nur ein Tropfen Leben. Christina M. Kerpen

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Nur ein Tropfen Leben - Christina M. Kerpen


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will auffahren, doch David drückt beruhigend warnend seinen Arm und murmelt: „Hm, vielleicht hat sie schlechte Erfahrungen gemacht?“

      „Davon weiß ich nichts. Es wird zwar gemunkelt, das Kind sei aus einer Vergewaltigung und ihr Mann sei ermordet worden, aber keiner weiß, ob da auch nur ein Fünkchen Wahrheit dran ist, denn sie erzählt nicht viel von sich, zumindest nichts, was ihre Vergangenheit betrifft, da ist sie genauso zugeknöpft, wie bei Flirtversuchen. – Aber ansonsten ist unsere neue Lehrerin wirklich ganz patent. Vor allen Dingen hat sie auch den letzten unserer Dorfrabauken in den Griff gekriegt. Sogar die ganz notorischen Schulschwänzer erscheinen jeden Morgen frisch gewaschen, gekämmt und sogar pünktlich zu ihrem Unterricht.“

      „Ist die junge Frau Lehrerin? Meine war alt und verknöchert“, grinst John und schüttelt im Geiste den Kopf über Carols Einfälle. „So eine hübsche Lady als Lehrerin hätte ich mir auch gewünscht. Sie sieht aber noch verdammt jung aus für eine Lehrerin.“

      „Eigentlich ist sie wohl auch keine richtige Lehrerin. Sie hat zumindest nichts in der Richtung gelernt, das wissen alle hier. Aber sie unterrichtet Französisch, Musik und Handarbeiten so gut, dass sich bisher noch keiner über sie beschwert hat, selbst die Eltern nicht, die hochfliegende Pläne mit ihrem Nachwuchs haben.“

      Nachdenklich schaut der Mann die beiden Fremden an. „Sie gibt auch Privatunterricht, wenn Sie Interesse haben. Wenn Sie sie kennen lernen wollen, sollten Sie Deutsch bei ihr lernen, das kann sie perfekt.“

      „Deutsch kann ich schon selber perfekt!“, brummt John und denkt: ‚Mach voran, Mann, erzähl uns was, was uns weiterhilft.‘

      „Dann lernen Sie doch bei ihr Klavierspielen“, der Mann verdreht genießerisch die Augen und seufzt leise, „Klavierspielen, das kann sie, kann ich Ihnen sagen. Es ist ein unbeschreiblicher Genuss, ihr zuzuhören. Die Leute kommen von weit her, um die Frau zu sehen und zu hören, deswegen haben wir auch immer ziemlich viele Fremde in der Stadt. Sie tritt jeden Abend hier im Hotel auf.“

      Vor der Tür stößt John seinem Freund den Ellbogen in die Rippen und grinst: „Nun wissen wir wenigstens, womit wir den heutigen Abend verbringen werden. Mit einem Kunstgenuss nämlich.“

      Nun wird sein Grinsen süffisant: „Nur eins musst Du Dir merken, mein Lieber, nicht mit der Künstlerin flirten, die hat was gegen Männer, also nimm Dich in Acht!“

      David lächelt: „Ich habe es mit Freuden vernommen!“

      John nickt, wieder ernst geworden: „Hm, Dir ist ein riesiger Stein von der Seele gefallen,. Ich habe ihn nicht nur gehört, er ist mir auf den Fuß geplumpst. Morgen kann ich keinen Schritt mehr laufen.“ Der junge Mann humpelt ein paar Schritte und dreht sich wieder zu dem Freund um. „Ich brauche jetzt ein Bier. Kommst Du mit?“

      Der große Auftritt

      An diesem Abend sitzen David und John tatsächlich unter den Zuhörern in dem kleinen Saal des Hotels, der schon lange vor Programmbeginn gerammelt voll ist. Keine Macht der Welt hätte sie davon abhalten können, Carol bei ihrem Auftritt zu beobachten.

      Die beiden Männer haben eine versteckte Nische gewählt, von der aus sie die Bühne gut überblicken können, selber aber nicht besonders gut zu sehen sind.

      Mit fiebrigen Augen und auf das Höchste angespannt warten die Cowboys auf den großen Augenblick. Sie lassen ihre Augen durch den Saal wandern und merken, dass alle Anwesenden sich in einer fast feierlichen Stimmung befinden und John murmelt, ein wenig blass um die Nase, leise: „Es scheint so, als wäre unsere Carol hier ein richtiger Star. Ob sich einer von denen vorstellen kann, wie die Kleine einen Zaun flickt, den Hühnerstall ausmistet oder in eine kalbende Kuh kriecht, um das Kälbchen zu retten?“

      David hört dem Freund gar nicht richtig zu. In seinem Herzen brennt das Verlangen, Carol von nahem zu sehen, sie zu berühren und ihre Wärme zu spüren.

      Endlich ist er da, der große Moment, den die beiden Männer so sehr ersehnen.

      Carol betritt die Bühne.

      Das Mädchen trägt ein atemberaubendes Kleid. Es ist tief dekolletiert, die langen Ärmel und das Oberteil sind über und über mit Perlen bestickt und die meergrüne Farbe kontrastiert raffiniert mit ihren roten Haaren, die sie mit Hilfe der Hotelbesitzerin zu einer kunstvollen Hochfrisur aufgetürmt hat, in der ein funkelndes Diadem eingearbeitet worden ist.

      Den Männern bleibt im wahrsten Sinne des Wortes die Luft weg.

      John fasst sich als erster und flüstert: „Das ist nie im Leben unsere kleine Carol. Das ist irgendeine Puppe aus einem Porzellanladen.“

      David kann gar nichts erwidern. Er starrt fassungslos und mit offenem Mund zu der so vertrauten und irgendwie mit einem Mal doch so fremden Geliebten hinüber.

      Carol ist wunderschön, das schönste Geschöpf, das der Indianer jemals gesehen hat. Ihr kleines Gesichtchen ist bleich und durchscheinend, dadurch wirken ihre Augen wie zwei riesengroße Seen. Ihre ehemals so kleinen, festen Brüste sind so voll geworden, dass es ihn fast rasend macht, weil er sie nicht berühren darf. Davids Mund ist trocken, ebenso wie seine Lippen, die leise beben.

      Der Blick des Mannes bleibt an der Rundung unter dem weiten Rock hängen und heiser murmelt er: „Da ist mein Kind.“

      Carol hat sich derweil unter dem Applaus der Menge an das Klavier gesetzt und im ganzen Saal ist es mäuschenstill geworden. Ganz zart und leise beginnt sie zu spielen. Gefühlvoll gibt sie den Melodien der alten Meister, die sie so sehr liebt, ihr eigenes Leben. Ihre langen schlanken, wohlmanikürten Finger gleiten über die Tasten, als würden sie niemals etwas anderes tun und als hätten sie auch nie etwas anderes getan.

      Carol ist nicht mehr das kleine Mädchen, das vor einiger Zeit die Willow-Tree-Ranch in kopfloser Panik verlassen hat. Sie ist eine reife, erwachsene Frau geworden, die ihren eigenen Kopf notfalls auch gegen große Wiederstände durchzusetzen versteht.

      Nach dem klassischen Teil spielt das Mädchen eigene Kompositionen, dazu singt sie traurige Texte, die alle von einer verlorenen Liebe erzählen. „I left everything I loved, I left my home, I left my love. It was my fortune to make a mistake, how can I change it back for goodness sake. I would like to say I’m sorry, but I think I made them worry, about me.”

      Bei diesem Lied treten der Sängerin die Tränen in die Augen, denn diesem einfachen Text liegen aller Kummer, alle Sorgen und Nöte zu Grunde, die sie seit Monaten quälen.

      David hört die feinen Untertöne und er merkt, wie sehr sich Carol danach sehnt, endlich wieder heimkehren zu dürfen. Wenn doch nur ihr Stolz das zulassen kann.

      Er atmet tief ein und denkt: ‚Wie anders ihre Stimme hier in dem Saal klingt, ganz anders, als wenn sie am Lagerfeuer ihre fröhlichen und lustigen Lieder gesungen hat. Hier klingt sie richtig erschreckend professionell.’

      Unter tosendem Beifall steht Carol auf und knickst leicht in die Runde, dann tritt sie an einen Barhocker, nimmt die dort angelehnte Gitarre zur Hand, ein edles Stück, mit Intarsienarbeit und eingelegten Glitzersteinchen, stellt einen Fuß auf die untere Stange des Hockers und beginnt all ihre fröhlichen Lieder zu singen.

      Die beiden Cowboys hören förmlich das Knistern des Lagerfeuers. Sie müssen automatisch an die Viehtriebe denken, die Carol mit ihrem Gesang kurzweilig zu gestalten verstand und nun ist das junge Mädchen fast wieder ein bekanntes Wesen.

      Sie feuert die Leute an mitzusingen, was diese auch aus vollem Herzen, wenn auch mit nicht immer schönen Stimmen, tun. „Oh, my darling Clementine“, „Everytime I feel the spirit“, „It takes a worried man, to sing a worried song“ und alle die anderen Lieder, mit denen sie den Willow-Tree-Männern die langweiligen Abende in der Natur verschönt hat.

      Auch in diesem Teil ihres Auftritts glänzt sie mit Eigenkompositionen und wieder sind diese von ihrer melancholischen Traurigkeit geprägt. „You are a lonesome rider, I am a lonesome girl. Since I saw in your eyes I felt lonely no more, but suddenly, when I woke up


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