Nur ein Tropfen Leben. Christina M. Kerpen

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Nur ein Tropfen Leben - Christina M. Kerpen


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mit all ihren Bewohnern, Ebony Town oder die wundervolle Landschaft Wyomings zu erkennen.

      Carol malt wie unter Zwang. Wenn sie ein Bild fertig hat, ärgert sie sich über sich selbst und verkauft ihr Machwerk an den erstbesten Interessenten, denn eigentlich will sie ihre Zeit in Wyoming doch so schnell wie nur irgend möglich vergessen, aber so sehr sie sich auch bemüht, endlich Motive ihrer neuen Heimat zu verwenden, immer und immer wieder entstehen Bilder aus der Vergangenheit.

      Späte Nachricht

      Auf der Willow-Tree-Ranch geht mittlerweile alles wieder seinen gewohnten Gang und die Normalität hat notgedrungen die Oberhand gewinnen müssen.

      Obwohl Carol nun schon so lange fort ist, ist ihr Geist noch überall zu spüren, als käme sie jeden Moment in den Raum. Lediglich Susan trägt seit einigen Wochen Trauer, denn eines Morgens ist sie mit dem Gefühl erwacht, Carol sei etwas ganz Schreckliches zugestoßen und sie würde nicht mehr unter den Lebenden weilen. Mit dieser festen Überzeugung, die sie laut jammernd immer und immer wieder verkündet, hat die junge Frau zunächst für gehöriges Durcheinander unter allen Ranchbewohnern gesorgt und stillschweigend scheint es seither die Abmachung zu geben, den rothaarigen Cowboy nicht mehr zu erwähnen, um nicht immer wieder die gleichen Wunden aufzureißen und damit den Arbeitseifer zu lähmen..

      Das blaue Zimmer wurde, nachdem der Rancher und sein Vormann es am Tag nach Carols Verschwinden als Letzte verlassen hatten, fest verschlossen und seither von niemandem wieder betreten. Es wurde nichts, auch nicht die kleinste Kleinigkeit verändert. Alles liegt gleichsam in einem Dornröschenschlaf und wartet darauf, endlich wieder geweckt und mit Leben erfüllt bewohnt zu werden.

      Ines wollte die Möbel eigentlich mit Tüchern abdecken, doch der Rancher hat abgewehrt und gemeint, alles solle so bleiben, wie es war, als Carol aus dem Raum gegangen ist, damit sie, wenn sie hoffentlich eines Tages wiederkehrt, alles genau so unberührt vorfindet, wie sie es verlassen hat. Sogar die Kuhle in der Bettdecke, da wo ihre Satteltasche gelegen hat, wurde nicht durch Aufschütteln des Kissens entfernt.

      Obwohl Carol in diesen Tagen kaum noch erwähnt wird, tragen viele Dinge so unverkennbar ihre Handschrift, dass niemand das reizende Geschöpf vergessen kann und selbst neu eingestellte Männer sich fragen, was es mit dem so merkwürdig totgeschwiegenen und doch irgendwie ständig anwesenden Cowboy wohl auf sich hatte. Fragen danach werden jedoch immer nur lapidar dahingehend beantwortet, dass der Mann halt eine tolle Frau gewesen ist.

      Der Vormann ist in den Monaten nach dem Verschwinden seiner Freundin noch härter und unbeugsamer geworden. Er wacht mit einer nahezu unerbittlichen Strenge über alle Arbeiten und davon gibt es jetzt, da auch noch die Johnson-Ranch zu Willow-Tree gehört, wahrlich mehr als genug.

      Gerade auf der Johnson-Ranch werden Unmengen von Carols Ideen in die Tat umgesetzt und hier lebt das Girl, obwohl es selber niemals einen Fuß hergesetzt hat, immer wieder auf. Hier wird von ihr gesprochen, als würde jeder nur darauf warten, endlich frei von ihr reden zu dürfen.

      Immer wieder bedauern es die altgedienten Willow-Tree-Cowboys, die das Mädchen gut gekannt haben, dass sie nicht mehr da ist, um ihnen mit ihrer unglaublichen Kreativität zu helfen. Allerdings achten sie dabei sehr scharf darauf, dass weder Widefield noch Blacky in Hörweite sind, wenn sie Carols Namen nennen.

      Max Perkins, der Vormann der Johnson-Ranch hat sich schnell damit abgefunden, dass der Indianer, den er einmal nach einer Prügelei von der Ranch gejagt hat, jetzt sein unmittelbarer Vorgesetzter ist und akzeptiert widerspruchslos jede seiner Weisungen. Es wird sich wohl niemals eine echte Freundschaft zwischen den Männern entwickeln, aber immerhin respektieren sich die beiden gegenseitig, weil sie beide erkennen, dass sie sich ebenbürtig sind.

      Perkins beobachtet den Indian manchmal scharf und wundert sich über dessen Härte, die ja wohl nicht nur daher rühren kann, dass er es als Halbblut immer schwer mit den Weißen gehabt hat. Er überlegt, was er aus der Vergangenheit über den Mann weiß und kommt zu dem Schluss, dass er gar nichts weiß, lediglich dass dem Indianer nur positive Eigenschaften zugeschrieben wurden, allerdings mit der Einschränkung, dass er niemals lacht und Fehler bei der Arbeit kaum duldet. Dennoch war er ihm früher bei den seltenen Treffen in der Stadt längst nicht so versteinert vorgekommen, wie heute.

      Als der Mann Fess einmal alleine antrifft, fragt er ihn vorsichtig: „Sagt mal, Euer Boss war ja noch nie die Liebenswürdigkeit in Person, aber früher erschien er wenigstens ab und zu mal menschlich, da hat man ihn auch mal im Saloon gesehen, jedoch seit einiger Zeit ist er das reinste Ekelpaket. Wie haltet ihr das drüben auf Willow-Tree nur aus mit dem?“

      Fess, der sein Herz längst nicht mehr so offen auf der Zunge trägt, wie früher, zuckt mit den Achseln: „Es gibt halt Schicksalsschläge, die sind nur schwer zu verdauen. Widefield hat da seine eigene Methode, ob sie Dir nun passt oder nicht. Sie mag uns allen nicht immer richtig erscheinen, aber das muss er mit sich selbst ausmachen. Solange die Arbeit nicht drunter leidet und er nicht ungerecht wird, ist doch alles okay, oder?“

      Perkins schaut den Jungen nachdenklich an. „Ich frage mich manchmal, ob Euer Boss jemals in der Lage wäre, eine zwischenmenschliche Beziehung aufzubauen. Der ist so hart gegen sich selbst, wie hart ist er dann erst gegen andere?“

      Fess legt den Kopf schief. Er überlegt, wie er am unverfänglichsten antworten kann. „Nun, der Boss ist härter zu sich selbst, wie zu anderen. Er verlangt sich selber wesentlich mehr ab, als er es von uns jemals verlangen würde. Das wirst Du merken, wenn Du ihn besser kennen gelernt hast. – Und was Du mit zwischenmenschlicher Beziehung meinst, verstehe ich nicht ganz.“

      Perkins grinst: „Damit meine ich, dass der Typ sich nie verlieben könnte.“

      „Und warum nicht?“ Fess wird langsam sauer. „Es muss doch nicht jeder seine Gefühle mit dem Gesicht ausdrücken. Dieses Pokerface hat er sicher von seinen Vorfahren geerbt.“ Der Junge schnaubt. „Und ich kann Dir versichern, es gibt genug Frauen, die ihn mit Freude glücklich machen würden.“

      Das Grinsen des Johnson-Ranch-Vormanns wird anzüglich. „Klar, gegen angemessene Bezahlung.“

      Der junge Cowboy ärgert sich immer mehr über Perkins, der keine Ahnung hat und knurrt, wobei er sich beherrschen muss, ihm keinen Faustschlag ins Gesicht zu setzen: „Ich glaube nicht, dass der Boss das nötig hat, das hatte er noch nie!“

      Perkins spitzt die Lippen. Es beeindruckt ihn, wie Widefields Leute trotz allem zu ihm halten und meint in versöhnlichem Tonfall: „Ist ja schon gut, ich wollte nicht an Widefields Ehre kratzen. Geht mich ja auch nichts an, aber man denkt sich halt manchmal sein Teil, wenn ein Mann so knallhart, eisern und diszipliniert ist.“

      Fess senkt den Blick zu Boden und denkt: ‚Wenn der Boss doch bloß auch Carol gegenüber so diszipliniert gewesen wäre, dann wäre sie noch hier und alles wäre im Lot und er brauchte nicht ganz so grantig zu sein.’

      Als hätte Perkins einen Bruchteil seiner Gedanken aufgeschnappt, fragt er plötzlich nach der Frau, von der so oft gesprochen wird. Fess schaut ihn ziemlich betroffen an und murmelt: „Da kann ich nicht viel zu sagen, nur dass sie wirklich toll war, aber das ist Schnee von gestern.“

      Der junge Cowboy sieht seinen Boss nahen und verkrümelt sich so schnell er kann. Wenn der merkt, dass von Carol gesprochen wird, ist er wieder mindestens drei Tage ungenießbar.

      Perkins schaut Fess kopfschüttelnd nach, dann geht er dem Indian entgegen und die beiden besprechen einige Arbeitsabläufe.

      Nachdem alles sehr sachlich geklärt ist und sich David schon wieder abwenden will, knurrt Max unvermittelt: „Jetzt bin ich aber langsam sauer!“

      Abrupt bleibt der Indianer stehen und dreht sich wieder zu dem Sprecher um. „Darf ich erfahren, warum?“

      „Also wirklich, das ist ja grässlich, ständig wird hier von Eurem so tollen Cowgirl gesprochen. Ich glaube, sie heißt Carol. Aber wenn ich jetzt mal irgendjemanden nach ihr frage, bekomme ich nur ausweichende oder gar keine Antworten. Ich bin es ziemlich leid, ewig nur die Ideen dieser Lady


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