Kurswechsel. Gerd Eickhoelter

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Kurswechsel - Gerd Eickhoelter


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6 § 2 – war für mich in seiner Durchführung sowie seinem Ergebnis nicht so klar und unumstritten, wie er proklamiert wurde. Bereits früh wurden bei kritischem Blick Differenzen ersichtlich.

      Gab es da nicht während meiner Lehrzeit die Aufstellung von GST- Ordnungsgruppen, denen im August 1961, während einer abendlichen Thälmann – Gedenkveranstaltung am Stralsunder Thälmann-Ufer, im Schein hunderter lodernder Fackeln, über Verstärker und Lautsprechersäulen, die Worte entgegen geschleudert wurden: ‚Wir haben jetzt genug geredet, es wird nicht mehr diskutiert, wer unseren Weg nicht beschreiten will, der ist gegen uns, den hau’n wir in die Schnauze!‘

      Es war ein Tag, an dem die Mauer in Berlin gerade einige Tage alt war und die Emotionen im Lande ungezügelt waren. Deutschland war nun unüberwindlich geteilt.

      Es wurde mir bewusst, dass diese Menschen, die in der Öffentlichkeit solche Worte von sich gaben, zur führenden Kraft gehörten – die Macht besaßen. Diese Ausdrücke mit ihrer offenen Aufforderung zur Gewalt verurteilte ich entschieden.

      Mir drängten sich Vergleiche zum Nationalsozialismus auf, wie ich sie Dokumentationen über das ‚Dritte Reich‘ entnommen hatte.

      Ein weiteres Ereignis brannte sich gleichermaßen in meine Erinnerung ein.

      Der Dienst in der Armee war freiwillig, der Wehrdienst existierte noch nicht. Im ganzen Land lief eine Kampagne der Verpflichtung des Einzelnen zum „ Ehrendienst in den bewaffneten Organen“. Es war dies eine Bereitwilligkeitserklärung zum dreijährigen Dienst in der Nationalen Volksarmee (NVA).

      An einem Donnerstag, wenige Tage nach der ominösen Thälmann-Ehrung, wurden alle Lehrlinge meines Ausbildungsbetriebes, der Volkswerft Stralsund, zu einer Vollversammlung in den Speisesaal beordert.

      Es sprach ein Genosse der SED Kreisleitung. Grund der Versammlung war, ausnahmslos von allen Versammelten die Bereitschaft zum dreijährigen Dienst in der Nationalen Volksarmee zu erwirken.

      Im Saal waren etwa einhundertzwanzig Lehrlinge und Meister versammelt. Für die Versammlungsleitung verlief die Diskussion negativ, die Missbilligung durch den Redner war vorprogrammiert. Er versuchte mit allen Mitteln die Unterschriften der versammelten Lehrlinge vollzählig zu beschaffen. Er schimpfte, drohte und seine Ausführungen gipfelten in den Worten: “Es verlässt keiner den Raum, der nicht unterschrieben hat! “ Fast alle Jugendlichen unterschrieben daraufhin eingeschüchtert, wie bei allen derartigen Veranstaltungen, denn Nachteile in der Entwicklung wollte keiner einstecken. Die Kaderakte speicherte so etwas bis zum Rentenanspruch.

      Es verblieben 10 Jugendliche, die nicht unterschreiben wollten. Von uns im Saal verbliebenen zehn wurde eine harte Diskussion über die Unzulänglichkeiten der praktizierten sozialistischen Politik geführt. Ich bin mir sicher, dass jeder seine Würdigung in der Kaderakte erhielt, die ihn fortan begleiten würde.

      Ein Mitlehrling fragte den Redner sehr direkt: “Wenn Ihr die Mehrheit und den Willen aller verkörpert, warum führt Ihr keine geheime Wahl durch, warum wird die Wahlkabine abseits gestellt und deren Benutzung namentlich registriert?“

      Der Genosse der Kreisleitung, durch die offene und teilweise provokante Diskussion aus dem Gleichgewicht gebracht, ließ sich mit überstürzender Stimme zu dem Ausruf hinreißen: “Denken Sie, wir wollen uns durch solch einen Kiki die Macht wieder aus den Händen nehmen lassen?“ -- Stille –

      Zu einer sachlichen Diskussion war keine Seite mehr fähig. Der Versammlungsleitung fehlte es an Profil die Zügel wieder in die Hände zu bekommen, es wurde nur noch mit den Zukunftsaussichten jedes Einzelnen gedroht. Unser Ziel war erreicht, wir hatten nicht unterschrieben. Zehn Unterschriften fehlten dem Betrieb an der vollständigen Bereitschaftserklärung aller Lehrlinge, freiwillig drei Jahre in der Armee zu dienen. Ein fader Beigeschmack blieb.

      Während der Wortwechsel hatte auch ich mein Argument zur Verweigerungshaltung genannt: “Was soll der Begriff freiwillig, wenn man auf diese Art Menschen quasi unfreiwillig freiwillig verpflichtet. Die ganze Erklärung wird zum Hohn degradiert. Warum führt man dann nicht gleich die allgemeine Wehrpflicht ein?“ Somit gehörte ich zu denjenigen in der Bevölkerung, die die Wehrpflicht ‘forderten‘. Bald darauf wurde sie auf 'allgemeinen Wunsch der Bevölkerung‘ von der Volkskammer beschlossen und eingeführt. Man hatte systematisch den Boden vorbereitet.

      Während des ersten Lehrjahres konnten wir die Motorrad-Fahrerlaubnis erwerben, nach erfolgreichem Abschluss dann die Fahrerlaubnis für Lastkraftwagen. Das wäre der Einstieg in ein zweites Standbein, eine berufliche Erweiterung ganz im Vorbeigehen. Veranstalter war die GST.

      Unmittelbar nach der Vollversammlung wurde mir eröffnet, dass ich an der Ablegung der Motorradprüfung nicht teilnehmen dürfe, da es sich um eine vormilitärische Ausbildung handele, ich aber den Ehrendienst in der Armee ablehne.

      Diese Eröffnung warf mich nicht um, es war schade.

      Selbst die Reaktion des Genossen Wagner vom Wehrkreiskommando, bei einem Gespräch mit meinem Freund Werner Harkner versetzte mir keine Angstschauer.

      Werner und ich waren mit der Reinigung von Zylinderköpfen, im Rahmen einer Schiffsmotorenwartung beschäftigt. Wir standen in den Prüfungsvorbereitungen. Am Arbeitsplatz erschien der Genosse Wagner und rief Werner zu sich. Beide hatten in letzter Zeit des Öfteren gemeinsame Gespräche. Werner hatte sich verpflichtet und wollte drei Jahre zur Volksmarine, wenn er seinen Armeedienst ableisten müsse.

      Ich arbeitete also allein weiter.

      Nach geraumer Zeit gesellte ich mich zu den beiden, worauf mich der ‘Genosse‘ Wagner anfauchte: „Du brauchst Dich gar nicht hin zu setzen, mit Dir sprechen wir nicht mehr, Du kommst dahin, wo es knallt!“

      Gemeiner als diese Retourkutsche war die folgende, kurz nach Lehrabschluss und meiner Arbeitsaufnahme an Bord des Tankers MT „ Leuna 1 “

      Der Facharbeiterabschluss lag hinter uns. Im Oktober erfolgte unsere Übernahme in den Personalbestand der Reederei. Meine erste große Seereise sollte beginnen, ich war aufgeregt.

      Eigentlich waren wir schon ausgelaufen, aber durch einen Grundlagerschaden am Motor mussten wir nochmals für die Reparatur vor Anker gehen, Die Reparatur hielt uns auf Reede vor Warnemünde zurück, die Reparaturgang des Motorenwerkes war an Bord.

      Ein Telegramm der Kaderabteilung traf beim Kapitän ein: „Auslaufverbot für Eickhölter, sofort bei der Abteilung Kader melden.“

      Meine Sachen packte ich wieder in den Seesack und fuhr mit dem angeforderten Lotsenboot zurück nach Warnemünde, dann mit der S-Bahn nach Rostock und weiter mit der Straßenbahn in die Lange Strasse zum Reedereigebäude. So lang war die Strasse nicht, dass ich lange über mein Auslaufverbot nachgrübeln musste.

      In der Kaderabteilung lag mein Einberufungsbefehl. Allgemein wurden seiner Zeit die Seeleute von der Einberufung zur Armee befreit, Grund war der Arbeitskräftemangel. Den Antrag für meine Befreiung vom Wehrdienst hätte man versehentlich vergessen, teilte mir der Kaderleiter Genosse Möller ‘bedauernd‘ mit. Rückgängig ließe sich nichts machen, wen die Armee einmal in den Fängen hielte, den ließe sie nicht los.

      So begann mein Dienst in der Armee.

      Auf meiner Wehrdienstkarte stand: ‚Geeignet für Kommando Grenze‘.

      Mir fielen die Worte des Genossen Wagner vom Wehrkreiskommando Stralsund wieder ein - „Du kommst dahin wo’s knallt“.

      Meinen Wehrdienst leistete ich bei der Bereitschaftspolizei in Stralsund ab. Hier wohnte meine damalige Freundin und geknallt hat es da in anderem Sinne.

      Nach der Grundausbildung benutzten wir, das waren alle zwölf Mann unseres Zimmers, die personelle Flaute mittlerer Dienste bei der Bereitschaftspolizei und meldeten uns zum Unteroffizierslehrgang. Grundbedingung war vordem, dass man sich für eine auf drei Jahre verlängerte Dienstzeit verpflichten sollte. Da aber kein Andrang war und sich keine Freiwilligen dafür drängten, wurde unsere bedingende Einschränkung kurz vor Auslaufen der Meldefrist akzeptiert – nur dienen, wie Pflichtwehrdienst, also anderthalb Jahre. Auf eine längere Dienstzeit ließen wir uns nicht ein.


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