Kurswechsel. Gerd Eickhoelter
Читать онлайн книгу.nur noch bedingt. Man versuchte geltende westliche Grundsätze in die Arbeit einzubeziehen, denen aber die Grenzen der Planwirtschaft gesetzt wurden.
Die Unzufriedenheit der Mitarbeiter wuchs, da die in den Medien propagierten Erfolge nicht mit den Realitäten übereinstimmten. Von den Leitungskräften musste ein ständiger Kompromiss zwischen aufgestelltem Plan, bestätigter Bilanzierungen für die Materialbestellungen und dem tatsächlichen Arbeitsvermögen gebildet werden.
Wir waren technokratische Artisten. Die Abforderungen von Stellungnahmen, Aktivitätenplänen und Rechtfertigungen stieg, ihre Abfassung erforderte immer mehr Arbeitszeit. Man konnte sich nicht mehr auf das Wesentliche konzentrieren oder eine klare Linie verfolgen, da ständig die verschiedenen Ebenen der politische Führung in interne technische und technologische Entscheidungen oder Maßnahmen einzuwirken versuchten.
Trotz allem wurden die Ergebnisse, infolge ständiger Anspannung und Improvisationsgeschick der Mitarbeiter von Jahr zu Jahr besser, die von der Partei gesteckten Ziele immer höher ohne dabei die Grundlagen zu verändern, und die Zahl der Stressgeschädigten wurde immer größer.
Durch die totale Einflussnahme der Partei auf die Wirtschaft entwickelten wir uns zum Plan- und Verwaltungsmonster. Im Gegensatz hierzu war die Arbeitsweise an Bord vergleichbar mit einem Privatbetrieb. Die Arbeit spielte unmittelbar in die Privatsphäre der Seeleute ein, das Schiff musste einsatzfähig bleiben. Alle Anstrengungen waren nur darauf gerichtet, denn für die Dauer der Reise ist der Arbeitsort das Zuhause des Seemanns.
Es gibt nichts, was nicht geht. Manchmal müssen Kompromisse geschlossen werden. Eine Kapitulation vor der Schwierigkeit bedeutet Selbstaufgabe, Sieg der Natur über das eigene Vermögen und nicht selten Verlust des Schiffes, möglicherweise des eigenen Lebens. Das hat jeder Seemann auf den Weltmeeren verinnerlicht.
Ganz andere Verhältnisse waren im sozialistischen Landbetrieb anzutreffen. Dieser Unterschied wird von Seeleuten besonders krass wahrgenommen.
Die politische Überprüfung aller verantwortlichen Leitungskräfte bezüglich ihrer Westkontakte und verwandtschaftlichen Beziehungen holte mich in meiner derzeitigen Tätigkeit ein, der sozialistische Kreislauf war geschlossen.
Im Mai 1985 wurde von mir eine internationale Zusammenkunft zwischen unserem Betrieb und polnischen Reparaturbetrieben in allen Fragen vorbereitet.
Zur offiziellen Vorbereitungsdelegation gehörte ich nicht, da die Bestätigung als Reisekader noch nicht vorlag. An allen Beratungen aber nahm ich teil und formulierte die Unterlagen von der Direktive bis zur Auswertung.
Sechs Monate später, im November gleichen Jahres, war unser Gegenbesuch in Polen fällig. Obwohl es sich um die Beurteilung und Übernahme von Technologien handelte, wurde meine Teilnahme abgelehnt. Wohlgemerkt, ich war der Haupttechnologe, verantwortlich für die Reparaturtechnologie in alle 16 Binnenwerftender DDR. Die Bearbeitung der Bestätigung als Reisekader war angeblich noch nicht abgeschlossen. Auf meine persönliche Frage an den Technischen Direktor, ob diese Aussage den Tatsachen entspräche oder ob nicht vielmehr meine Aussprache beim Parteisekretär vor zwei Monaten den Ausschlag für diese Ablehnung gegeben hätte, antwortete er:“ Wie kann man dem Manne gegenüber eine derart philosophische Ansicht äußern. Der hat doch nicht das Niveau, so etwas zu begreifen. Über derartige Dinge können wir uns unterhalten. Mir scheint sie sind ein bischen Greenpeace angehaucht. Na sie müssen wissen, was sie tun. Wir versuchen’s nächstes Jahr wieder, wenn etwas Gras über die Sache gewachsen ist.“
Was hatte ich im September so verwerfliches geäußert? Was hat die Kaderleitung dazu veranlasst, mir die Kompetenz der Vertretung des Betriebes im sozialistischen Bruderland, zu den Fragen meines Fachbereiches, abzusprechen?
Auf Anweisung der obersten Führung wurden für das zweite Halbjahr 1985 aussprachen mit jedem Leitungsmitglied geführt. Ich war nach meinem Studium für die Staatspartei geworben worden, da ich mitgestalten wollte und meinte, dass man den Einfluss nicht den vielen Schwachköpfen und Mitläufern überlassen dürfe.
Die Aussprachen im Betrieb sollten so geführt werden, dass nur Parteigenossen, die bedingungslos die Beschlüsse der Partei unterstützten, weiterhin als Mitglieder und Funktionsträger bestätigt werden.
Und so verlief seinerzeit die Aussprache des Parteisekretärs mit mir:
„Wie geht’s Genosse? Wir haben Planschwierigkeiten. Was hast du für Vorstellungen? Bist du mit der Führung der Parteiversammlungen einverstanden und wie ist deine Meinung über das Parteilehrjahr?“
Nach meinen kritischen Bemerkungen über die Umfunktionierung der Parteiversammlung in eine Produktionsversammlung mit zweifelhafter Interessenbekundung der Mitglieder kam er zum Kern der Sache: “Bist du damit einverstanden, die Funktion des Parteigruppenorganisators zu übernehmen?“
Jetzt war ich gefragt:“ Nun lass mich erst mal zum eigentlichen Sinn der Aussprache kommen. Anschließend wird die Frage steh’n, ob ich weiterhin in der Partei bleibe“, unterbrach ich seine Gedanken und ergänzte: „In den Medien wird ständig die bedingungslose Unterstützung der Parteibeschlüsse als Ziel der Aussprachen betont. Diese Anforderung kann ich nicht erfüllen. Ich wehre mich dagegen. Bei den Gruppengesprächen im Mai unter dem Motto: ‘Genosse! Wie sieht deine Tat als Kommunist aus? ‘ erklärte ich, dass ich kein Kommunist sei. Die angegebenen Tugenden, die einen Kommunisten in dieser Gesellschaft und letztens in unserem Betrieb auszeichnen sollten, sind ganz normale Arbeitsgrundsätze. Erst nach meinem Eintritt in die SED wurde zwanglos vom Mitglied der SED zur Bezeichnung Kommunist übergegangen“.
Ich legte weiterhin meine konträre Meinung zu Fragen der Medienpolitik, der Sicherheitspolitik, der Wehrpolitik, des Umweltschutzes, der Toleranzlosigkeit und der freien Meinungsäußerung dar.
Der Parteisekretär akzeptierte diesen Standpunkt nicht und widersprach: „ Jeder behält trotzdem seine Meinung. Wir wollen doch dass du sie sagst, sonst können wir uns nicht auf die Masse stützen. Eine gewisse Unterordnung wird natürlich verlangt. Es wird doch keiner bei uns zu etwas gezwungen. Nach einer so langen Mitgliedschaft - du hast jetzt fast 15 Jahre – trennt sich die Partei nicht so schnell von einem Kampfgefährten. Ja, wenn du zwanzig wärst, würden wir uns jetzt nicht mehr unterhalten.“
Das waren Phrasen. Ein Parteigenosse wurde nicht vor Gericht gestellt. Stand einer unter Anklage wegen irgendeines Vergehens, es konnte ein Autounfall sein, dann distanzierte sich die Partei als Institution. Während dieser Zeit ruhte die Mitgliedschaft. Bei Verurteilung erfolgte der Parteiausschluss.
Für Montag wurde ich zu einem weiteren Gespräch verdonnert. Ich hatte Zeit, die Sache zu überschlafen und den Austritt meinerseits in Erwägung zu ziehen. Während des gesamten Gesprächs lief ein Recorder. Ich hatte das Gefühl, dass mein Gespräch weiter geleitet wurde, denn eine Kassette war nicht eingelegt, aber die LED- Aussteuerung blinkte im Rhythmus der Sprachfrequenz. Da das Gespräch außerdem protokolliert wurde und ich aus meiner Meinung allgemein keinen Hehl machte, übersah ich die Tatsache. Man war ja an so etwas gewöhnt.
Zum Wochenende hatte ich mir das Statut der Partei ausgeliehen. Ganz kurz überflog ich es, an meiner differierenden Meinung konnte es nichts ändern.
Montag früh äußerte sich Genosse Plath und entschied: „ Wenn du nicht selber aus der Partei austrittst, begrüßen wir dich weiter als Mitglied. Die Frage deines Einsatzes als Parteiorganisator müssen wir zurück stellen. Wir kommen deiner Bitte nach, dich fachlich in deinem unterbesetzten Bereich zu festigen“. Das war’s und mehr nicht.
In meinen vorangegangenen Überlegungen wollte ich den Zeitpunkt meines Parteiaustritts selber bestimmen. Dieser war zum jetzigen Zeitpunkt äußerst ungünstig. Die bereits hohe Belastung würde durch weiteren enormen Stress hochgepuscht werden. Außerdem beschäftigte ich mich gerade sehr stark mit dem Gedanken einer Wiederbewerbung bei der Handelsflotte. Ich wollte mir später nichts vorwerfen, dass ich es nicht versucht hätte.
Würde das Vorhaben durch meine persönlichen verwandtschaftlichen Beziehungen und Kontakte nicht gerade verbessert, so wäre es durch einen Parteiaustritt aussichtslos.
Ich glaubte immer noch an die international geäußerten Worte