Kurswechsel. Gerd Eickhoelter

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Kurswechsel - Gerd Eickhoelter


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würde mich freuen, wenn sie bei uns bleiben und nicht zur Yachtwerft gehen, aber mit der geforderten GVS-Verpflichtung ist die Frage der Kontakte primär zu betrachten d.h., keinerlei Verbindungen zum Westen sind zulässig und das haben sie ja abgelehnt“, beendete er seine Information.

      Ich konnte darauf nur noch erwidern, dass mit der Geheimhaltungsstufe die Würfel gefallen seien, denn derartige Verpflichtungen werde ich nicht eingehen.

      Bei diesem Gespräch blieb es vorläufig, bis sich die Aktivitäten im Verborgenen verstärkten.

      Der Besuchsantrag

      Seit ich wieder vollständig an Land tätig war, kümmerte ich mich verstärkt um unsere verwandtschaftlichen Bindungen. Einen Besuch hatte ich schon lange ins Auge gefasst. Ich wollte alle gegenüber dem Ausland propagierten Freiheiten, die auf mich zutrafen ausprobieren – provokant, aber berechtigt.

      Verhindert wurde eine Realisierung bisher durch die Absicherungspolitik der DDR-Regierung und die größtmögliche Unterbindung aller Kontakte zu den im Westen wohnenden Angehörigen. Diese offiziell vor dem Ausland nicht vertretbare Unterbindung war durch Konventionen porös geworden, im Besonderen durch die Signierung der KSZE-Schlussakte von Helsinki. Hier wurden Zugeständnisse der östlichen Seite zu den Menschenrechtsproblemen gemacht, wodurch die Ausgebildete Eiszeit zwischen Ost und West in vielen Fragen gedämpft wurde.

      Für einige Berufsgruppen und bestimmte Arbeitsebenen blieb die Kontaktlosigkeit Bedingung, so auch in meiner Leitungsebene. Offiziell wurde dieses nie zugegeben sondern vehement abgestritten.

      Gebunden an die signierten Verträge musste für die Öffentlichkeit eine Umschreibung gefunden werden. Da waren Geheimhaltungsverpflichtungen, die den Betroffenen persönlichen West-Kontakt unter Strafandrohung verbieten, wie auch psychologischer Druck.

      In der Regel wurde ein direktes Vorgehen vermieden, obwohl man dieses behördlicherseits, hinter den Kulissen, anstrebte. Aber da waren wieder die Verträge, die eine Publizität dieser Problematik verbieten.

      So bewegte ich mich während meiner Fahrzeit auf See und auch später ständig in den Grenzen des Machbaren, des Geduldeten, ohne Kenntnis, wann diese überschritten und mit Repressalien beantwortet würden.

      Schutz hiervor waren fachliche Kompetenz, mein allgemeines Wissen und handfeste Argumentation, Das Motto - Wissen ist Macht - traf hier voll zu.

      Natürlich warteten manche Stellen nur darauf den unbequemen Fachmann los zu werden doch sträubten sich diejenigen, die fachliche Qualifikation schätzten. Es fehlte im offenen Gespräch mir gegenüber an greifbaren Argumenten, an Erfahrungen, die mir durch Weltoffenheit und Reisen in meinem Seemannsberuf und meiner Stellung vermittelt wurden, eigenen Erfahrungen aus dem persönlichen Erleben vieler Länder und Strukturen beider Lager.

      Eine „Kennzeichen D“- Sendung des ZDF im März 1986 über neue Besuchsregelungen könnte den Wunsch, einer Wiederholung meines Besuches aus dem Jahre 1957 bei Tante Erna in Westfahlen, in den Bereich des Möglichen rücken.

      In der Sendung wurden neue Tendenzen bei der Bestätigung von Westreisen durch die DDR-Behörden sichtbar. Bekanntmachungen über Regelungen oder Handhabungen zu diesem Thema gab es nicht, die Flüsterpropaganda erledigte alles von selbst.

      Im April ging der erste gezielte Brief zwecks Einladung an meine Cousine auf Reisen. Oma Grete nahm den Brief mit nach Westberlin und sendete ihn dort ab. Die persönliche Übergabe an die Bundespost war immer noch sicherer und schneller als der obligatorische DDR-Postweg von etwa sieben Tagen.

      Post, die Verwandtenbesuche zum Inhalt hatte, wurde von den Behörden möglichst verzögert, damit das gesamte Genehmigungsverfahren zeitlich nicht eingehalten werden konnte. Die Gesellschaft war somit an der Ablehnung schuldlos, der Antragsteller selbst hatte die gegebenen zeitlichen Reihenfolgen nicht eingehalten, der Geist von Helsinki wurde nicht verletzt.

      Auf die Frage, woher die entsprechenden Stellen vom Inhalt des Schreibens wussten, liegt die Antwort in den sieben Tagen Laufzeit. Unter Ausnutzung moderner und alter Techniken kam man an den Inhalt der Sendungen. Bereits die Verbindung Absender und Adressat sowie die gespeicherten Daten über jeden Bürger, anhand der Personenkennzahl, lassen greifbare Rückschlüsse schnell finden. Man brauchte die Briefe nicht immer zu öffnen, um Informationen zu erhalten. Eigene Erfahrungen liefen aber auf Direkteingriffe hinaus.

      Zwischen 1980 und 1983, meinen letzten drei Seemannsjahren, wurde meine gesamte Auslandskorrespondenz kontrolliert. Meine Briefe von Übersee und Westeuropa an die Familie waren zum Teil primitiv, andere mit äußerster Präzision geöffnet, gelesen und wieder verschlossen worden. Nun kann man sagen, dass diese Kontrollen auch im Absenderland erfolgt sein könnten, aber warum gerade zu dem Zeitpunkt an dem meine Frau einen Mitreiseantrag stellte und nach Ablehnung in den Folgejahren regelmäßig wiederholte?

      Als wir damals entsprechende Vermutungen hatten, dachte ich mir ein kompliziertes Faltsystem der Briefseiten aus, die man nach Entfalten nicht wieder in die gleiche Lage bekam, Doppelkniffe waren die Folge. So erhielten wir den Beweis für diese Kontrollen. Andere Briefe waren durch Wiederverleimung im Innern an den Umschlag festgeklebt - Schludrigkeit.

      Nach einigen Missverständnissen mit meinen Verwandten wurde die Zeit zur Beantragung des Besuches knapp. Ich stellte ohne die West-Unterlagen den Besuchsantrag und benötigte nun noch die Unbedenklichkeitserklärung des Betriebes. Als ich früh das Büro des Kaderleiters betrat, saß ihm der Betriebsdirektor gegenüber. Er lächelte gequält. „ Na, was möchtest Du?“ – fragte mich Kollege Müller.

      Ich trug ihm mein Anliegen vor und übergab meinen Antrag. Der Betriebsdirektor ging mit den Worten:“ Erst aus der Partei austreten und dann in den Westen fahren wollen“, Tür zu. - Bums - fiel diese geräuschvoll ins Schloss. Müller sagte mir nach Sichtung des Antrages eine baldige Prüfung zu, aber wegen der vorgeschrittenen Zeit und der fehlenden Unterlagen aus dem Westen sei keine Bearbeitung möglich. Weshalb das alles von Wichtigkeit für eine Beurteilung des Betriebes sei sagte er mir nicht. Genosse Müller legte meinen Antrag auf den Schreibtisch und geleitete mich zur Tür, neben der ein dicker Reisekoffer stand. „Willst Du in Urlaub fahren?“ fragte ich.

      „Nein eine längere Dienstreise“.

      Heini sagte mir später, dass Müller den Ferienaustausch für sieben Kinder von Werftangehörigen, im Rahmen des Kinderferienaustausches mit unserer polnischen Partnerwerft, unter Dach und Fach bringen solle.

      Allgemein bekannt war diese Aktion nicht. Fast ausschließlich fuhren Kinder von Werftleitern. Heini hatte den Ferienaustausch in der Betriebsgewerkschaftsleitung mit abgesegnet, sein Sohn fuhr auch und für Müller fiel eine dienstliche Ferienwoche in Wroclaw ab.

      Noch am gleichen Tag teilte mir der Technische Direktor mit, dass er meinen Besuchsantrag befürworten werde, aber er sei ja das kleinste Licht in der Runde der betrieblichen Entscheider.

      Vier Wochen benötigte die Polizei für die Bearbeitung der Unterlagen, entsprechend ihren internationalen Aussagen. In Sonderfällen sollten auch drei Wochen ausreichen. Eine Antragstellung für einen Besuchsantrag in dringenden Familienangelegenheiten gestaltete sich immer zu einer Pokerpartie, einem Nervenkrieg bis zur letzten Minute. Der DDR-Bürger, der die Möglichkeit hatte, nahm alles auf sich, um den ‘Eisernen Vorhang‘ von Ost nach West zu queren, wenn auch nur für wenige Tage.

      Ich hatte mich auf den Nervenkrieg eingelassen, obwohl ich das Ergebnis schon vorher kannte. Ich wollte alles selbst erfahren.

      Infolge des Missverständnisses, Tante Erna dachte, die Unterlagen werden erst beim Grenzübergang benötigt, so hatte sie getrödelt, in Unkenntnis der DDR- Verhältnisse. Der Termin wurde knapp.

      Ein anderer wesentlicher Zeitverzug lag in der betrieblichen Bearbeitung. Bevor der Antrag von der Polizei entgegengenommen wurde, musste die Unbedenklichkeitserklärung des Betriebes vorliegen. Allgemein wurde auch hier nicht im Eiltempo verfahren.

      Ich hatte 5 Tage, wenn alles klappen sollte. Das war aber nur der Zeitplan.


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