Kurswechsel. Gerd Eickhoelter
Читать онлайн книгу.eine automatische 24-Stundenüberwachung war gewährleistet. Die anfallenden Arbeiten konnten in Tagesschicht abgearbeitet werden.
Die Kontaktfrage mit den Verwandten der westlichen Hemisphäre wurde immer problematischer bei den ständig wiederkehrenden Genehmigungsverfahren zur Erlangung des Sichtvermerkes im Seefahrtsbuch. Ohne Sichtvermerk war es nicht möglich die Seegrenze der DDR zu verlassen. Zuerst wurden die Kapitäne durch die Staatssicherheitsorgane überprüft. 1982 waren die nächsten Vertrauensebenen Funker und Chief an der Reihe. Von mir wurde die Aufgabe jeglicher Westkontakte gefordert, was ich strikt ablehnte. Keine Verwandtenbesuche, keine Briefkontakte, kein Telefongespräch mit Menschen der Bundesrepublik sowie des westlich orientierten Auslands. Ich lehnte die Unterschrift unter diese Erklärung ab.
Herr Pothmann, Kaderleiter des Flottenbereiches, meinte nur, dass ich dann die Konsequenzen ziehen müsse.
Ende 1983, fast ein Jahr nach diesem Gespräch, wurde mein Seefahrtsbuch eingezogen.
Was macht ein Seemann, der nicht mehr in den zum Grenzgebiet gehörenden Hafen darf um ein Schiff zu besteigen, er muss sich einen neuen Job suchen. Das Berufsverbot war perfekt. Ohne gültiges Seefahrtsbuch fehlte mir die Berufsgrundlage. Was nützte mir mein Patent, mit der Befähigung auf Schiffen unbegrenzter Leistung der Chief zu sein, wenn ich es nicht anwenden durfte, die Seegrenzen mir fortan verschlossen bliebe?
Bei der Einschätzung des sozialistischen Landlebens erlaubte ich mir eine gravierende Fehleinschätzung, die noch schwerwiegende Folgen haben sollte.
Ich sah alles nicht so sozialistisch, wie es sich mir in der Folgezeit darstellte. Ich behielt meine Einstellung, die ich an Bord in allen Ebenen vertrat, bei.
Der Seemannsberuf mit seinem bunten, abwechslungsreichen aber auch sehr arbeitsamen Leben und den wunderbaren Erlebnissen soll nicht Gegenstand dieser authentischen Darlegung sein. Den Gegebenheiten der Seefahrt und seiner Geschichten möchte ich ein gesondertes, abgerundetes Buch widmen, welches dem Leser das so viel besungene ‘lose‘ Leben an Bord und in den fremden Häfen näher bringen soll, aber auch die tapferen Ehefrauen und Kinder der Seefahrer die das Seemannslos teilen, in die Gedanken einbeziehen.
Gedanken zum Landleben
Meine ersten gravierenden Eindrücke an Land erlebte ich bereits in den ersten zwei Wochen nach meiner Wiedereingliederung in die sozialistische Arbeitsrealität.
Schon nach 10 Arbeitstagen wurde die erste gesellschaftliche Aktivität von mir erwartet, die Teilnahme an der Gedenkdemonstration anlässlich der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht , am 15.Januar des Jahres 1919.
65 Jahre später, am 15.01.1984, trafen sich die Kolleginnen und Kollegen unseres Betriebes um lt. Medienberichten mit 200.000 Berlinern in der jährlich wiederkehrenden Demonstration dieser Toten zu gedenken.
Der Sonntag war nasskalt. Schneetreiben mit Temperaturen um den Gefrierpunkt bestimmte das Wetter. Ein Tag, bei dem man sich infolge oftmaliger Wartezeiten Eisbeine holte.
Der Treffpunkt am Eiskaffee, nördlich des U-Bahnhofes Schillingstrasse, war passend. In der Toreinfahrt nebenan konnte man Grog kaufen, um sich ein wenig innerlich aufzuwärmen. Er war dünn aber heiß und das half für ein paar Minuten. Die miese Wetterlage drückte auf die Stimmung. Durch politische Witze versuchte man sich etwas aufzuheitern.
Um 08:45 Uhr hatten wir uns getroffen und eine viertel Stunde später ging es endlich los. In zwei Marschsäulen führte die Demonstration zur ‘Gedenkstätte der Sozialisten‘ in Friedrichsfelde.
Am S-Bahnhof Frankfurter Allee formierte sich eine dritte Marschsäule aus dem Demonstrationszug - derjenigen, die dem Bahnhofsgebäude zustrebte. Ein Drittel hatte schon jetzt die Nase voll. Wir gingen weiter mit und benötigten fast zwei Stunden bis zur Ehrentribüne.
Als wir uns der Gedenkstätte näherten machte ich eine fast unglaubliche Beobachtung, die aber Bestandteil der Medienpolitik war.
Im Seitenflügel des Zentralfriedhofs, dem Teil in dem die Staatslimousinen abgestellt waren, befand sich eine besondere Stütze der Demonstration, wovon viele zusammengerollte Spruchbänder zeugten.
In regelmäßigen kurzen Abständen entrollten zwei Genossen ein Spruchband und reihten sich in den Demonstrationszug ein. Dieser Vorgang wiederholte sich jeweils nach etwa 30 Metern Vorbeimarsch.
Ich wollte meinen Augen nicht trauen! Gemeinsam mit uns demonstrierten uns unbekannte, vorbei an Fernsehkameras und der Ehrentribüne, in den Händen Transparente mit normierten Losungen - in unserem Namen!
Am Ausgang der Gedenkstätte wurden die Spruchbänder zusammengerollt und die Genossen betraten den Friedhof vom rechten Seitenflügel, überquerten diesen hinter der Tribüne um sich am linken Seitenflügel, nach einer kurzen Raucherpause wieder mit ihrem Transparent in die Demonstration einzugliedern.
Der Friedhof war abgesperrt, aber ein fünfzackiger großer roter Stern mit Hammer und Sichel am Revers angesteckt gestattete den Zutritt unbürokratisch und fließend.
Das ganze ähnelte einem Kinderspiel und doch war es sozialistische Wirklichkeit in der DDR.
Das Bestreben der DDR-Führung in allen Medien auch gute Ergebnisse zum Besseren zu retuschieren, kam hier prägnant zum Ausdruck. Keiner kann sagen, hiervon habe die Führung nichts gewusst. Sollte dieses aber trotzdem der Fall sein, dann muss man ihr Blindheit vorwerfen, sehenden Persönlichkeiten den Platz frei machen. Fast sieben Jahre später setzte sich diese Einsicht durch.
Ähnliche Erlebnisse bei staatlich organisierten Massendemonstrationen wurden mir später auch von aufmerksamen Beobachtern berichtet.
Die gesamte DDR-Politik war auf die Reaktion der übrigen Welt ausgerichtet, alles wurde zu einer Show nach außen gestaltet. Kritik von innen durch den politischen Phlegmatismus abgewürgt. Man hatte seine Ruhe, wenn man die allgemeine staatliche Meinung vertrat, das hieß die vorgeschriebene, vom Politbüro über Massenmedien und Parteileitungen oktroyierte Ansicht.
Bezeichnend ist, dass keiner meiner Mitarbeiter eine gleiche Beobachtung gemacht hatte. Erst als ich meine Nachbarn darauf aufmerksam machte, nahmen sie es wahr.
Die Blindheit zu den Retuschen der politischen Ereignisse war allumfassenden. Es wurde hingenommen und nicht einmal bemerkt, man ließ es ohne Registrierung über sich ergehen, eine bedenkliche Entwicklung.
Selbst mein Bericht für das Brigadetagebuch, der fast wörtlich hier niedergeschrieben wurde, erzeugte keinerlei Reaktion oder gar Diskussion.
Gute zwei Jahre arbeitete ich in der Betriebsleitung, achtzehn Monate davon als Haupttechnologe. Solch eine Arbeitsaufgabe, die technologische Entwicklung des Betriebes mit seinen sechzehn Einzelwerften zu bestimmen, reizte mich. Meine Ziele waren immer hoch gesteckt. Ich erreichte sie bisher immer ausnahmslos.
Beim Kadergespräch, das damals in Vorbereitung meines Einsatzes in die Leitungsfunktion geführt wurde, erklärte ich meinen Gesprächspartnern, dem Technischen Direktor und dem Kaderleiter: „ Wenn ich die Aufgaben in einem halben Jahr nicht packe und eine gewisse Routine erwerbe, dann ziehe ich die Konsequenzen, werfe das Handtuch. Entweder erfülle ich meine Aufgaben gut bis zur letzten Konsequenz oder ich muss mich nach einem neuen Aufgabengebiet umschauen.“
„Das schaffst du nicht in einem halben Jahr, zwölf Monate brauchst du bestimmt“, entgegnete Kaderleiter Müller.
„Ich will mich hier nicht um ein paar Monate streiten. Mir geht es allein um die Feststellung – und – dass ihr euch darauf einstellt“, war meine Schlussbemerkung.
Nun bewarb ich mich nach zwei Jahren wieder bei der Seereederei, Ich bin halt mehr Seemann als Landratte. Mir hatten ehemalige Kollegen den Bedarf an Schiffsoffizieren und eine mögliche Korrektur der Einstellungsrichtlinien, weg von der Ideologie, signalisiert. Ich wollte das mal am eigenen Beispiel überprüfen.
Die erzwungene Umstellung der Arbeitsweise eines leitenden Bordingenieurs auf eine leitende sozialistische Landtätigkeit bedeutete eine totale Umkehrung