Ein Fall von großer Redlichkeit. Peter Schmidt

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Ein Fall von großer Redlichkeit - Peter Schmidt


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kann man es ausdrücken“, sagte der junge Mann erleichtert und sah ihn dankbar an.

      „Ich weiß nicht, ob er ein Haus in der Karibik besaß oder am Mittelmeer. Das alles entzieht sich meiner Kenntnis. Darüber wurde nie gesprochen.“

      Nachmittags, als er längst unverrichteter Dinge gegangen war, fiel ihm ein, dass Margott einmal seine Scheckkarte verloren und dass er ihn zur Ausstellung der Ersatzkarte in eine Bankfiliale an der Königsallee begleitet hatte. Es war pure Gefälligkeit, wenn er das Telefonbuch aufschlug, um den Barbesitzer davon zu unterrichten.

      Zu seinem Erstaunen entdeckte er, dass es im ganzen Stadtgebiet keinen Betrieb mit den Namen Mond- oder Chéri-Bar gab (es gab eine Fabrik Saul Mond, die Lacke und Farben herstellte). Er machte sich die Mühe, auch die Telefonverzeichnisse der Nachbarstädte zu überprüfen, ohne Ergebnis.

      Schließlich fragte er sich ratlos, welchen Sinn es wohl haben könnte, Rechnungsbeträge an Bars zu überweisen, die gar nicht existierten.

      Seine Übersiedlung war abgelehnt worden; vorläufig, wie man erklärte, da in seinem Spezialgebiet kein Arbeitsplatz zu finden sei. Der Beamte hatte um Nachsicht gebeten und zur Entschuldigung der Republik geltend gemacht, dass es nicht das Ziel sein könne, jemanden unter seinen Fähigkeiten zu beschäftigen.

      Papst fand einen kleinen Buchladen, der auch Schreibwaren verkaufte. Das Stellenangebot hing im Schaufenster. Der Lohn war gering; aber er hatte nichts weiter zu tun, als eintreffende Buchsendungen zu sortieren und gelegentlich dem Inhaber im Verkauf zu helfen, falls sich mehr als ein Kunde in den Laden verirrte.

      Immerhin lag das Geschäft in der Nähe eines winzigen Parks.

      Man sah seine hohen alten Bäume und weiß gestrichenen Bänke, wenn man an einer bestimmten Stelle des Schaufensters stand, und mit dem Inhaber, der sich in einem Teil seines Sortiments auf Fachbücher der „plastischen Chirurgie“ spezialisiert hatte, ließ sich auskommen. Er war nahe der Siebzig, ein Mensch mit strähnigem, weißem Haar, hager und gebeugt.

      Auf das Gebiet der plastischen Chirurgie war er gestoßen, nachdem ein Unfall seine linke Gesichtshälfte zerstört und einer jener „Bildhauer des Fleisches“ sie in erstaunlicher Weise wiederhergestellt hatte.

      „Jedermann muss sich heutzutage spezialisieren, erst recht in unserer Wirtschaft. Es ist wie in der Zigarettenwerbung. Obwohl sie beim Blindrauchen kaum zu unterscheiden sind, gaukeln alle Marken einem ein besonderes Etwas vor. Nur damit kann man sich verkaufen. Dieser Krempel hier – Schulhefte, Kriminal- und Frauenromane, ernährt einen Familienvater nicht mehr.“

      Papst erzählte ihm vorn Papstschen System der Sprachidentifizierung. Es war sein „besonderes Etwas“, mit dem er sich zu verkaufen hoffte. Aber irgendwie schien die Methode komplizierter grammatischer Strukturen und ihre Beziehung zur Worthäufigkeit Treudes Verständnis zu überfordern. Politisch dagegen hatte sein Alter keine Spuren hinterlassen. Er stand links. Da er auch das Neue Deutschland in seinem Zeitungsständer führte, gestand Papst ihm, dass er mit dem Osten sympathisiere.

      „Sehen Sie sich nur die Schlagzeilen an: Menschliche Erleichterungen, wohin man blickt“, sagte er. „Früher kaufte der Westen ihnen diese Zugeständnisse gegen Devisen und Kreditzusagen ab. Aber seit einigen Monaten hat sich eine Wende vollzogen. Die alten Herren im Politbüro haben ihr Herz für den Menschen entdeckt. Ein Sozialismus mit ‚menschlichern Antlitz’ – das ist jetzt keine bloße Redewendung mehr.“

      „Warten Sie ab, was die Russen dazu sagen“, meinte Treue.

      „Die halten still …“

      „Auch bei der polnischen Gewerkschaftsbewegung haben sie für lange Zeit stillgehalten.“

      „Das war ein anderer Fall. Damals gab es Tumulte, Arbeitsniederlegungen, Chaos ...“

      „Gefährlich daran ist das Beispiel für andere sozialistische Staaten. Neid, weil man nicht mitziehen kann. Sie wollen Erleichterungen, die ihre Volkswirtschaften überstrapazieren. Das führt dann zu Tumulten wie damals in Polen. Niemand lebt ungestraft über seine Verhältnisse, und nach allem, was wir aus ihrer Geschichte wissen, wird der Konflikt bald mit russischen Panzern gelöst.“

      „Warum sollte man eine neunundvierzigjährige Frau daran hindern, zu ihrem einzigen Sohn, der am Rhein lebt, zu gehen?“, sagte er und schlug mit der Hand auf die Zeitung. „Hier ist es abgedruckt, im Neuen Deutschland.“

      „Eine Arbeitskraft weniger.“

      „Aber sie haben eingewilligt.“

      „Die Folge wird eine Serie von Anträgen neunundvierzigjähriger Frauen sein, deren Söhne in der Bundesrepublik leben.“

      „Es gibt Erleichterungen und niemand trägt einen irreparablen Schaden davon. Schließlich sind auch die Holländer nur ein Völkchen von vierzehn Millionen, und sie gehören doch zu den wohlhabendsten Europas.“

      „Sie wollen sagen, es dürften ihnen noch drei Millionen über die innerdeutsche Grenze weglaufen, ohne dass ihre Volkswirtschaft daran Schaden nimmt?“

      „Einige Journalisten im Westen spekulieren bereits über eine Aufhebung der Reisebeschränkungen.“

      „Zugegeben: sie zeigen ein erstaunliches Wohlverhalten.“

      „Gestern sind vierzig politische Häftlinge entlassen worden. Das ist Tauwetter in den internationalen Beziehungen.“

      „Und der Schießbefehl?“, fragte Treude.

      „Man kann nicht alles auf einmal haben.“

      „Was ist mit den Kettenhunden, den Minen im Todesstreifen?“

      „Es wird sich ändern.“

      „Warten Sie ab, was sie damit bezwecken. Der russische Bär ist verschlagen.“

      „So kann man immer argumentieren.“

      „Sie unterstellen also eine freiwillige Wende?“

      „Ich habe keinen Grund, das Gegenteil anzunehmen.“

      „Es ist nur Ihr jugendlicher Enthusiasmus. In meinem Alter wird man misstrauischer.“

      „Denken Sie, was Sie wollen“, sagte Papst verdrießlich und wandte sich wieder seinen Bücherstapeln zu.

      Mittags, als er zum Essen fahren wollte, sah er von weitem eine Gestalt, die sich über die Motorhaube seines alten Opels beugte und mit den Händen im linken Radkasten fummelte. Da der andere ihn bemerkte, entfernte er sich in ein nahe liegendes Gesträuch. Papst erkannte eben noch, dass er eine überlange rotkarierte Flanelljacke trug, wie man sie aus Filmen von kanadischen Holzfällern kennt, und dass er leicht hinkte.

      Er beugte sich unter das Fahrzeug und musterte den mit Schlamm bespritzten Blechkasten. Dann das Gestänge der Radaufhängung und die Reifenprofile.

      Sicher einer dieser Verrückten, denen es Vergnügen macht, anderen die Reifen durchzustechen, dachte er.

      Obwohl er schon ein gutes Stück voraus war, folgte er ihm in das hohe Erlengesträuch. Schräg unter ihm flimmerte die rotkarierte Flanelljacke. Es war November, das Laub seit Tagen von den Bäumen, und die kalten Zweige peitschten sein Gesicht, als er sich unvorsichtig bewegte.

      Dann blieb sein rechter Schuh in einer sumpfigen Stelle stecken – und er gab auf …

      Unter ihm blinkten die Schienen und der graue Schotter eines Bahndamms. Papst sah den hinkenden Mann an der anderen Hangseite emporklimmen. Als er ihm in seiner Höhe gegenüberstand, hielt er inne und blickte sich um.

      Es war, als blecke er für einen Augenblick die Zähne. Dann machte er sich durch die Büsche davon. Papst war sich auf diese Entfernung nicht völlig sicher, aber er glaubte den Mann aus dem Büro des Kommissars erkannt zu haben, der schweigsam an der Rückwand gesessen und ihn nur hin und wieder mit kurzsichtigen Augen feindselig durch seine Brillengläser gemustert hatte.

      Er aß mit mäßigem Appetit, wo er immer speiste, weil es nahe der Treudeschen


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