Ein Fall von großer Redlichkeit. Peter Schmidt

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Ein Fall von großer Redlichkeit - Peter Schmidt


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Kartoffelpüree. Man verdächtigte ihn, das Benzin über Margotts Bett gegossen zu haben, dessen war er sich jetzt ganz sicher.

      Es bedeutete, dass er mit dem Mädchen unter einer Decke steckte. Ohne ihre Hilfe würde er den Anschlag kaum bewerkstelligt haben können. Bestimmt verhörte man sie.

      Ein Grund mehr, das Land zu verlassen. Als Kind hatte es ihn schon nervös gemacht, wenn man ihn nur des Ladendiebstahls verdächtigte. Selbst heutzutage verunsicherte ihn noch manchmal der strenge, prüfende Blick einer Kassiererin.

      Gleichgültig – wie auch immer: ich habe mir nichts vorzuwerfen, dachte er. Ich bin keiner dieser armen Irren, die an einem Schuldkomplex leiden und früher oder später in ihr Unglück rennen. Panik lag ihm nicht.

      Er hatte in seinem kurzen Leben immer darauf geachtet, mit sich im reinen zu sein, und diese seelische Hygiene war es, die ihn gegen jede Unbedachtsamkeit feite. Wenn man dem anderen ein gewisses Maß an Achtung und Loyalität entgegenbrachte, lebte man in Ruhe und Frieden. Dass diese Haltung hier im Westen auf so unfruchtbaren Boden fiel, war ein weiterer Grund, warum es ihn zu den Deutschen auf der anderen Seite zog.

      Schließlich aß er doch seine Nierchen mit Püree. Jemand verteilte Flugblätter, als er beim Nachtisch war – gekochten Birnen – und eben den Saft auslöffelte. Er nahm das Blatt in die freie Hand und las es mit ausgestrecktem Arm. Es war ein Pamphlet gegen eine angebliche sowjetische Unterwanderung in Betrieben. Als Beleg für die nach wie vor unlauteren Absichten der Kommunisten wurde ein Zitat des Verteidigungsministers der DDR gebracht:

      „... die Soldaten im Geiste des Hasses auf den Klassenfeind erziehen.“

      Solche Reden schätzte Papst nicht. Sie waren ein rückständiges Mittel der Politik. Hass zu schüren, verriet im Grunde das ursprüngliche humane Anliegen. Beseitigte man Inhumanität, wie zum Beispiel Ausbeutung, durch Hass? Es sind Rückschritte, dachte er, aber sie werden durch weitere Schritte vorwärts mehr als wettgemacht.

      Spätabends wieder zu Hause, hatte er das unbehagliche Gefühl, jemand habe sein Zimmer durchsucht, obwohl alles an seinem Platz lag. Die Ordnung war so mustergültig, dass er Verdacht schöpfte. Sein Blick glitt über den Schreibtisch, den Füllfederhalter, ein Kästchen mit Büroklammern und Tintenpatronen. Er pflegte den Radiergummi immer mit der blauen Seite nach oben in sein Abteil zu stecken – und so lag er auch jetzt.

      Nichts schien verändert, doch alles atmete auf mysteriöse Weise „Durchsuchung“. So fängt es an, dachte er irritiert. Und das Ende würde ein Leben in der Anstalt sein. Diese Art von Wahn entwickelte sich schleichend …

      Er ging mit auf dem Rücken verschränkten Armen auf und ab, Hedda betrat sein Zimmer nie; er säuberte es selbst. Und den Kindern war der Zutritt verboten.

      Allerdings ließen sich die Hunde umso weniger verbieten. Es waren zwei lernunwillige schwarze Doggen, überfressen und dreist. Wenn die Türen offen standen, fegten sie durch sein Zimmer und hinterließen ein Durcheinander verdrehter Lampen, umgestoßener Stühle und herabgewirbelter Papiere. Doch diesmal lag und stand alles auf seinem Platz.

      Er wandte sich vom Fenster zurück. Dann blieb er abrupt stehen – es fiel ihm wie Schuppen von den Augen …

      Sein Unterbewusstsein hatte beim Eintreten etwas wahrgenommen, das sein Bewusstsein noch nicht recht zu deuten vermochte. Es hatte eine Veränderung gemeldet, „Veränderung gleich Durchsuchung“.

      An der Stirnwand des Raumes hingen zwei sehr ähnlich aussehende Bilder, zwei Koggen in gleichen Rahmen auf gleichem Untergrund; nur: das eine der beiden bauchigen Schiffe mit den hohen Aufbauten am Bug und Heck war ein Handels-, das andere ein Kriegsschiff. Was sie unterschied, waren lediglich die Luken der Kanonen.

      Und nun hing das Kriegsschiff rechts statt links und das Handelsschiff links statt rechts …

      Jemand hat sie abgenommen und dann versehentlich vertauscht, überlegte er. Es bedeutet, dass man nach irgendwelchen Papieren sucht. Nur Papiere sind so flach, dass sie sich hinter Bilderrahmen unterbringen lassen.

      Diese Entdeckung nahm ihn mehr mit, als er sich eingestand. Es war schon kurz vor zwölf, trotzdem bestellte er ein Taxi in die Stadt.

      Er suchte verschiedene Bars auf, trank alle Cocktails, die er kannte, doch obwohl er die „klassische Reihenfolge“ einhielt, die einem ein Gefühl verschaffte, wie auf Wolken zu laufen – „Roter Korsar“, „Kuba libre auf amerikanisch“, „Cobbler“, „Julep“, „Sangaree“, und dann das Ganze wieder von vorn –, war die Wirkung nicht annähernd so wie zu Margotts Zeiten.

      Es verdeutlichte ihm nur umso schmerzlicher, dass der andere unwiderruflich dahingegangen war. Er hatte sich nie mit einem Menschen so verstanden wie mit ihm. Margott mochte zwar auf den ersten Blick wegen seiner farblosen Haut und wimpernlosen, geröteten Augen wenig anziehend wirken, doch er konnte zuhören

      Und er verstand es, anderer Leute Vorstellungen zu akzeptieren.

      Seine politischen Ansichten waren dagegen merkwürdig farblos gewesen. Im Grund besaß er überhaupt keine.

      Papst hatte ihn nach seiner Meinung über die russische Aufrüstungspolitik gefragt und nur ein gelangweiltes Gähnen geerntet. Den Deutschen Bundestag hielt er für einen „inaktiven Haufen“; Apartheid der Südafrikaner oder keine Apartheid würde am Lebensniveau der Schwarzen nichts ändern, es sei ein Kampf um belanglose Rechte; ob Kuba einen kommunistischen Erdrutsch in Mittelamerika plane, mache keinen Unterschied, da sowieso atomraketenbestückte russische U-Boote vor der amerikanischen Küste lauerten.

      Ausgeprägter war seine Meinung zum westdeutschen Nachtleben:

      „Alter Junge, dies hier ist ein Kabarett für Betschwestern gegen das, was einen in Caracas oder Sao Paulo erwartet. In der Beziehung sind wir noch Entwicklungsland. Selbst der Bordellbetrieb in Barcelona ist dem von Düsseldorf haushoch überlegen. Mag sein, dass man sich dort eher Filzläuse einhandelt, aber sonst ist der Service unübertroffen.“

      In der letzten Bar brachte man Papst einen Stuhl, weil er stark genug angeschlagen war, um beim nächsten Durchzug vom Hocker zu sinken.

      „Wollen Sie einen Tee?“, fragte der Mixer und beugte sich über die Theke zu ihm hinunter. „Oder Limonade?“

      „Nein, geben Sie mir ein Bier.“

      „Ich weiß nicht ... der Herr.“

      Er schüttelte besorgt den Kopf. Es war einer von der graumelierten Sorte, die wie fürsorgliche Väter oder ältere Freunde aussehen.

      „Wissen Sie überhaupt, was es heißt, einen guten Freund verloren zu haben?“

      „Margott?“, fragte er zu Papsts Überraschung; anscheinend besaß er ein gutes Personengedächtnis. „Machen Sie sich um ihn keine Sorgen. Wir haben nach dem Kriege lange zusammengearbeitet. Bis ich mich auf diesen ruhigen Posten zurückzog. Der gute Alex ist unverwüstlich – und es gibt viele, die ihre Hand schützend über ihn halten.“

      „Margott ist tot.“

      „Dieser Brand … ja, ich weiß. Glauben Sie nicht alles, was in den Zeitungen steht.“

      „Ich war selbst dabei.“

      „Er ist schon manchen Tod gestorben.“

      „Diesmal endgültig.“

      „Sie haben gesehen, dass er in den Flammen umkam?“

      „Er und das Mädchen.“

      „Dann allerdings“, sagte er achselzuckend, „wenn Sie es mit eigenen Augen gesehen haben?“, und stellte Papst ein Glas Bier hin. „Trinken Sie, es geht auf meine Kosten.“

      3

      Der Morgen war schon heraufgedämmert – die ersten Läden für Frühaufsteher hatten geöffnet: der Bäckerladen, ein Frühstückscafé, hinter dessen anheimelnd erleuchteten Scheiben Zeitungsleser saßen,


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