Jakob Ponte. Helmut H. Schulz
Читать онлайн книгу.seine Joppe gezogen und sah ziemlich soldatisch aus. Hin und wieder erholten sich alle im Café Links von den Unbequemlichkeiten des Wartens auf den feindlichen Angriff.
Eines Tages aber waren seine Fremdarbeiter aus dem Rathauskeller geflüchtet und sicherlich auf dem Weg nach Hause. War das Städtchen tagsüber noch etwas beschäftigt, so senkte sich bei Dunkelheit vollkommene Ruhe über und unter die Dächer Müllhaeusens. Ein paar versprengte, aber immerhin noch einer regulären Truppe angehörende Landser stießen zu uns, sahen sich die Barrikade an und verschwanden schleunigst in Richtung Westen. Herr Links, mit einem wärmenden Ulster angetan und einer Skimütze auf dem Kopf, einem Gewehr mit langem Lauf, wie ich noch keins gesehen hatte, schloss sich den Barrikadenkriegern an. Oberstudienrat Kniri, in ähnlichem Zivil wie Herr Links, aber mit einem neuen Wehrmachtsstahlhelm verließ sein Haus am Waldhang und kam ebenfalls hinzu. Anstatt eines Karabiners führte er als Waffe ein altes französisches Seitengewehr aus dem Kriege von 1870/1871 und versicherte, es habe schon einmal im Bauch eines Feindes gesteckt; er hoffe, dass ihm Großvater wenigstens eine Pistole verschaffen werde. Allein es gab weder Waffen noch Munition.
Im Laden stolperten wir über Bündel Panzerfäuste und ein Maschinengewehr, das freilich ebenfalls aus Mangel an Munition nicht mehr eingesetzt werden konnte, dessen Lauf aber immerhin bei geöffneter Ladentür drohend auf den Marktplatz gerichtet war. An den Abenden berieten die Kommandeure im Hause oder im Café am Markt die Lage und wärmten sich die Nasen beim Punsch, denn es war ein kaltes Frühjahr. Hinter der Barrikade blieben nur zwei Wachposten. Großvater kontrollierte sie von Zeit zu Zeit und schärfte ihnen ein, wachsam zu sein, keinesfalls ihren Posten zu verlassen. Einige Tage lang waren schwere Kettenfahrzeuge durch das Städtchen gerollt und ohne Halt in Richtung Bayern weiter gefahren. Jetzt zeigte sich allerdings kein Militär mehr, obschon Großvater nach Artillerie und Flugzeugen telefonierte und jeden Augenblick das Eintreffen der Entsatzarmee erwartete, oder den Einsatz der neuen Waffen. Er bekam weder das eine, noch das andere, dafür aber drängten sich immer mehr Flüchtlinge aus den östlichen Gegenden des Reiches herein und Großvater schickte sie weiter ins Bayrische, weil die Stadt eine Festung war und verteidigt werden müsse und weil es keinen Platz für die Aufnahme solcher Menge an Menschen mehr gab.
Wie alles uns betreffende spielte sich auch der Untergang des Dritten Reiches vorwiegend im Erkerzimmer des Knochenhauerinnungshauses ab. Der Kaffee war uns ausgegangen, aber Herr Links opferte aus seinem verborgenen aber fast leeren Weinkeller einige Flaschen zur Stärkung unserer Hoffnungen auf eine Wende. Mama hielt sich übrigens nicht bei uns auf, sie war sicherlich noch auf der Suche nach ihrem Gatten, denn die Flugzeuge des Gegners schwirrten ungehindert herum. Immerhin spendete mein Wahlvater allen geistlichen Trost, wie allgemein zu beobachten ist, dass sich bei Katastrophen die verstockten Atheisten für alle Fälle Gott zuwenden, um ihn nach ausgestandenem Schrecken einen guten Mann sein zu lassen. Eines Morgens war es dann so weit; ich hörte ein gewaltiges Brausen und Rasseln, sprang aus dem Bett und eilte ans Fenster. Oben auf der Barrikade standen Großvater, Herr Links und Oberstudienrat Kniri; jeder von ihnen schwenkte ein weißes an einem Besenstiel befestigtes Tuch. Ein Panzer mit offener Luke, in der ein fremder Soldat stand, rollte beinahe gemütlich und jedenfalls langsam, eher neugierig als kriegerisch heran und hielt dicht vor Großvaters Panzersperre. Über alle Gassen und Straßen quoll eine Armada von Fahrzeugen auf den Markt, die Hindernisse wie Spielzeug beiseiteschiebend. Zwischen den Autos und Hauswänden zwängte sich eine Menge uniformierte Menschen.
Helene, meine kleine Schwester, stellte sich stumm zu mir und reichte mir ihre zitternde Hand. Verwundert blickten wir Kinder auf das Welttheater unter unserem Fenster. Steifbeinig stieg einer der Soldaten aus dem Panzer und winkte Großvater und seine beiden Assistenten heran; sie reichten ihm demütig die weißen Fahnen; dann trieb der Sieger seine drei Gefangenen vor sich her hinüber zum Rathaus. Erstaunliches geschah dann doch; von der Treppe eilte der Erste Bürgermeister mit seinen alten Ratsmännern herab und überreichte dem Offizier, als solchen stufte ich ihn ein, die Schlüssel der Stadt auf einem Kissen, zum Zeichen unserer Kapitulation. Das war ein wenig Mittelalter, und diese Amerikaner mögen sich auch über uns, wie über diese Stadt gewundert haben. Plötzlich entfaltete sich am Rathausturm eine Fahne mit allerlei Streifen und Sternen, wie ich noch nie eine gesehen hatte, hing lang herunter; indessen unserer Reichsflagge mit dem Hakenkreuz eingezogen und auf den Platz hinunter geworfen wurde. Diese Zeremonie wurde von knatternden oder peitschenden Schüssen aus Handfeuerwaffen begleitet, offenbar um ein wenig Siegestaumel zu erzeugen. Überall hängten die besiegten Müllhaeusener jetzt weiße Fahnen heraus und immer noch rollten Fahrzeuge auf den Marktplatz. Soldaten stiegen aus, reckten die steif gewordenen Beine und standen unschlüssig herum, die Kriegswende, viel mehr, das Kriegsende war da.
»Jetzt kann ich vielleicht bald nach Hause«, sagte Helene bedrückt und zugleich zweifelnd. Dass sie wegwollte, versetzte mir einen Stich. Ich gab zu bedenken, wie gut sie bei uns aufgehoben sei, zumal sie ja in Berlin kein Zuhause mehr habe. Aus einer Gruppe Zivilisten, die an unserem Haus vorbeistreiften, schrie einer hämisch und frohlockend zu uns herauf, dass Großvater und die anderen Nazis im Hof des Rathauses gerade erschossen werden, was ihnen recht geschah; jetzt werde mit uns aufgeräumt. Zwar konnte ich mir keinen Grund denken, weshalb sie ausgerechnet meinen Großvater, diesen braven alten Knaben erschossen haben sollten, da er ja am Ende die Stadt dem Sieger unversehrt übergeben hatte, aber möglich war alles. Ohne Verzug lud sich Großmutter das Maschinengewehr auf und schleppte es zum Rathaus; einer der Panzerleute nahm es ihr kopfschüttelnd ab und trug das Zeug als Kriegsmaterial die Treppe hinauf. Furchtlos folgte sie ihm, um sich zu erkundigen, wohin sie Großvater gebracht hatten, wurde aber nicht eingelassen. Von einer Hinrichtung Großvaters wusste sie also nichts zu berichten, hatte aber auch keine Auskunft über sein Schicksal bekommen können.
2. Kapitel
It is better to be beautiful than to be good. But it is better to be good, than to be ugly, so die Erkenntnis Oscar Wildes. Es wäre für mich allerdings besser gewesen, anstelle von Latein, die neue Herrensprache des Zeitalters zu erlernen. Dass es besser ist, schön zu sein als gut, ist vielleicht traurig aber leider wahr, und daran ändert auch die Feststellung nichts, zum Ausgleich lieber gut zu sein oder zu scheinen, als hässlich. Mit Schönheit ist mehr auszurichten als mit Güte, und dass dem Kretin nichts anderes übrig bleibt, als die platonische Nächstenliebe mag ihm immerhin im Himmelreich nutzen. Etwas lernte ich aber doch von diesem Rotwelsch; O. K., wie es bald als Bestätigung von überallher klang. Ich sollte hier schon etwas Allgemeines zum Begriff Wende einfügen, der für uns Deutsche ungefähr die Bedeutung von Erneuerung, Besserung und Renaissance hat, mit der Begleitmusik unserer alleinigen Schuld, indessen alle anderen moralisch glänzend dastehen, oder sich wenigstens so gerieren, ohne dass sich wirklich etwas ändert oder gar bessert. Nach dem Kriege AD 1945 erfanden wir auf der Suche nach einem Wort die Bezeichnung Wende für die uns auferlegte oder zugewiesene Umkehr, dem vermeintlichen Neubeginn, der hysterischen Renaissance nach Heinrich Mann. Die rechtfertigenden Schriften der Gewendeten oder Gebesserten befleißigen sich alle der späten Reue; die Ungewendeten erschienen als besonders dumm und abgefeimt oder rückständig, zur Reue wie zur Trauer über das Geschehene unfähig, blieben also hinter dem erwünschten moralischen Fortschritt zurück und bekamen den Sammelbegriff Nazis. O. K.! Ach, Zeitgenossen! Wir armen gewöhnlichen und bösen Menschen sind und bleiben auf ewig die Verführten, denen man den Kotau vor der jeweils neuen Macht dreist genug abverlangt, und dazu die Unterwerfung des Geistes vor der materiellen Gewalt fordert. Das ist die ganze furchtbare Wahrheit! Und hübsche Menschen sind auch nur manchmal glücklicher als hässliche, wenigstens bleiben sie nicht hübsch.
Schön und akkurat anzusehen war der amerikanische Friede, soweit es Äußerlichkeiten betraf, aber übrigens war diese Wendemacht für unser Städtchen entschieden zu groß, wenigstens aus meiner kindlichen Sicht, der die große historische Dimension dieses herrlichen Friedens verborgen blieb, dem der noch unbestätigte Tod Großvater näher ging, als das Schicksal all der Verfolgten und Verbannten und Getöteten unter dem vergangenen Regime, vor, während und nach dem Krieg. Täglich, so schien es, erreichten junge und gesunde Männer aus allen Teilen der Vereinigten Staaten von Amerika unsere Stadt und hofften eine Weile hierzubleiben. Zu meiner Überraschung waren einige von ihnen recht schwarz; vom Völkergemisch der USA hatte ich keine