Jakob Ponte. Helmut H. Schulz

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Jakob Ponte - Helmut H. Schulz


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Tochter aufnahm. Für Helene mag es hingegen wenig Verlockendes gehabt haben, in einem fremden Haushalt zu nähen, zu stopfen, zu bügeln, Kinder zu hüten und aufzuwaschen. Großmutter hielt es für ein beispielloses Opfer, ihre Enkelin zu kleiden und zu ernähren.

      Obschon mein Sinn für Gerechtigkeit nicht sehr entwickelt gewesen ist, stellte ich mich auf die Seite Helenes, weil diese Erstaunliches an Trotz und Widersetzlichkeit leistete und die Erwachsenen in Schach hielt. Großmutter pflegte zu sagen, sie wisse nicht, was diese Mutter ihrem Kinde beigebracht habe, angesichts der Unkenntnis, einen Haushalt ordentlich zu führen. Entsetzt schrie sie auf, als Helene etliche Teller beim Spülen zerbrach; alle Hausgenossen eilten in die Küche und fielen über sie her, die sich breitbeinig auf einen Hocker setzte und das Donnerwetter über sich ergehen ließ; ein anderes Mal war meine arme Mama das Opfer, als sie sich anschickte, ihrer Nichte Belehrungen in gutem Benehmen zu erteilen. Anstatt von der richtigen Seite, wie Mama aufgefüllt bekommen wollte, kleckerte Helene die Suppe auf das französische Kostüm. Ich aber jubelte innerlich über diese Revolte gegen unsere Sitten. Weiß Gott, ich war meiner kleinen Schwester, wie ich sie aus einem Grund nannte, der bald aufgehellt werden soll, verfallen. Bei ihr fand ich die Wahrheit, das Leben und die Liebe, denn wir hausten gemeinschaftlich im Dachgeschoss des Knochenhauerinnungshauses. Helenes Kammer lag neben der meinen. Abends, wenn alle im Hause schliefen, erwachten wir zum Leben. Als reinliches Kind wusch sich Helene gründlich vor dem Zubettgehen von Kopf bis zu den Füßen, so wie sie es zu Hause gelernt hatte, und sie tat es in paradiesischer Unbefangenheit.

      Ihr Vater frönte einem Kult, der darauf beruhte, sich vollständig entkleidet der Luft und der Sonne auszusetzen. Nach Helenes Berichten hatten sie in Friedenszeiten während der Sommermonate in diesem fröhlichen Urzustand gelebt, waren leichtfüßig an den Stränden irgendeines Sees auf und ab gegangen und hatten sich die Haut bräunen lassen. Bei ihr trat die ersehnte als Ausdruck von Naturkraft und Gesundheit genommene Bräunung leider nicht ein, weil ihre Haut dem harten Licht keine Abwehr entgegensetzte. Indessen hatte diese Erziehung eben auch zur Folge gehabt, dass es ihr an christlichem Schamgefühl gebrach, wovon ich, dank meiner Erziehung ausreichend oder schon zu viel besaß. Wenn auch vorerst nur verbal auf den Sündenfall hingewiesen, betrachtete ich neugierig oder lüstern das Hautweiß der Rothaarigen. Über Rippen starrten die rötlichen Knospen eines gerade aufbrechenden Busens; an Achselhöhlen und Scham kräuselte sich farbloses Haar. Ich lernte jedoch nicht nur den Mädchenkörper, ich lernte auch meinen eigenen Leib kennen. Sie ermunterte mich, an ihrem Bad in der Zinkwanne teilzunehmen. Endlich ließ ich mich überreden und betrat eine neue Welt. Gemeinschaftlich suchten wir auf unseren Häuten nach den Zeichen unserer Bestimmung; glaubt es oder lasst es bleiben, der letzte und schäbigste der Götter Griechenlands, der miserable Priapos, regte sich in mir und tat ein Wunder. Ich war keusch wie Joseph und unbehaart wie ein Grottenolm. Helene wusste schon einiges mehr von der Wahrheit, aber lange nicht genug, um das Wunder zu erklären. Wir befühlten das priapeische Wunder, ergingen uns in Mutmaßungen über die Ursache dieser Verwandlung und fanden alles merkwürdig. Das Wunder erlahmte, wie die Mehrzahl aller Wunder bei Wiederholungen an Wert verlieren, ließ sich aber zu unserer Freude nach einer gewissen Pause wiederholen. Helene erklärte, dieses Ding diene der Zeugung von Menschen …

      Dieses Organ musste mir und allen männlichen Wesen Macht über die Weiber verleihen; das empfand ich dunkel und innerlich erhaben. Frauen ermangelten eines solch prächtigen Gliedes, das sich steil aufrichten konnte wie eine Drohung, was meine Cousine in der Tat als Nachteil des Weiblichen gegenüber uns Männern empfand, und was sie mit Neid und Missgunst erfüllte, woraus sich, wie der Zeitgenosse erlebt hat, ein auf sich selbst gerichteter Feminismus entwickeln kann. Helene und ich, Frau und Mann befanden sich also in einem Gegenüber, dennoch standen wir bald in einem herzlichen Verhältnis geschwisterlicher Art zueinander. Von Mama sprach Helene nur abfällig, unterdrückte auch in ihrer Gegenwart keineswegs die Lachlust, wenn Mama von sich selbst als Gräfin sprach. Alle im Hause hielten meine Cousine für halb verrückt, jedenfalls für unerzogen. Beizukommen war ihr freilich nicht. Großmutter musste ihre Enkelin neu ausstatten; sie kaufte Kleider und Schuhe, räumte ihr schließlich sogar Taschengeld ein, aber etwas gab es doch, womit ihr gedroht werden konnte, kam die Rede darauf, sie nach Berlin zurückzuschicken, wurde meine unfromme Helene zahm.

      Eines Tages überhörte mich Hochwürden in Religionsgeschichte; beiläufig erkundigte er sich nach dem Befinden unserer neuen Hausgenossin, dem jungen Mädchen, das vor den Bomben geflüchtet sei, aber ich kann hier auf die allbekannten Geschichten und Histörchen über den schrecklichsten aller Kriege verzichten und bei meiner Lebensgeschichte bleiben. Dass Helene auf unbestimmte Zeit bei uns bleiben würde, hoffte ich nur zu gern, gab also meiner Befriedigung Ausdruck, eine kleine Schwester bekommen zu haben; ein mir zufällig entschlüpftes Wort, ich hatte wohl einen älteren Bruder von seiner kleinen Schwester reden hören. Ungewollt brachte ich meinen Vater damit auf einen Einfall. Es geschah sicherlich nicht ohne pädagogische Absicht, dass er die Bibel aufschlug und milde lächelnd bei dem Kapitel des Hoheliedes Halt machte. Ich fragte ihn, als er die Epistel vom Weinstock, der Sprosse und vom Most der Granatäpfel, beendet hatte, was das bedeute und er verließ den engen Pfad der Tugend und erläuterte: »Nun, Granatäpfel sind die runden Brüste der Frauen ähnlich, und der Weinstock, aus dem es sprießt, nun ja ... «, er lächelte und seine mächtigen Hände formten die Schalen von Halbkugeln. Es konnte nicht ausbleiben, dass sein pastorales Gewissen erwachte, er sagte, man dürfe einen Körper, den fremden wie den eigenen, nicht befühlen, nicht besehen oder beriechen, ohne den Teufel herbeizurufen.

      Die Ereignisse, wie ich sie schilderte, gingen parallel mit anderen. Es will mir nicht gelingen, sie chronologisch wiederzugeben, obschon ich mit der Niederschrift keineswegs die eitle Absicht des Autors auf einen oberflächlichen literarischen Erfolg verbinde. Trotz der Freuden, die ich mit Helene genoss, wurde ich abermals von meinen Leiden heimgesucht. Schwerer denn je erkrankte ich, warf mich fiebernd auf dem Lager herum, von quälenden Bildern gepeinigt, und wie immer umstand der verbliebene Rest der Familie mein Bett und erging sich in Mutmaßungen. Hochwürden blieb bei seiner Auffassung, es müsse sich um eine durch übersinnliche Mächte gesteuerte Sache handeln, ob dämonischer oder göttlicher Natur, wäre noch auszumachen. Er war somit fein heraus, wie man so sagt; Anschauungsmaterial böten die Lebensgeschichten der Heiligen ausreichend. Aus mir hätte ein guter Reporter werden können. Sein Gesicht verschwamm vor meinen Augen zu einem rot glühenden Fleck; Mama, noch immer oder schon wieder bei uns und auf ihren verschollenen Gatten wartend, schüttelte traurig den Kopf über den Zustand ihres Kindes, und Großmutter bemerkte nicht ohne Hohn, das Märchen von der Empfängnis ohne Sündenfall könne wohl nichts anderes erbracht haben, als einen halb blöden Knaben, dem Kind des Staubsaugervertreters und einer Gräfin-Witwe, dazu zwei streitende Gelehrte in dieser verrückt gewordenen Welt; ihr reiche es ...

      Meine Erkrankung zog sich über mehrere Tage hin; inzwischen ging eine große fremde Armee im tiefen Winter an der Oder in Stellung, zeitgleich mit der Meldung, der Führer setzte gerade den Tag des Sieges vermittels der eingesetzten Wunderwaffe fest. Da gingen die Symptome meines Leidens natürlich zurück. Während der Genesung stand mir Helene bei. Nach dem Bad, das sie in meinem Zimmer nahm, schlüpfte sie in ein Nachthemd und legte sich zu mir, um mich zu trösten. Einmal brachte sie ein Filmalbum mit und zeigte mir ihre Favoritinnen, wir hatten beide den gleichen Geschmack; ich sah eine sehr schöne Frau, die auf allen Fotos nach oben sah, als befände sie sich ständig in der Kirche und blicke hinauf zum Orgelprospekt, aber Helene sagte, es handele sich nur um Zarah Leander, die in einem Film Der Blaufuchs eine schöne Rolle gespielt und auch gesungen habe, so schön, dass alle in Tränen gebadet aus dem Kino gekommen seien, alle jene, die den übrigens nicht jugendfreien Film sehen durften. Sie sei reich, wie alle Stars und eine Freundin von Goebbels. Helene verschränkte die Arme hinter dem Kopf und kniff die Augenlider zusammen. Es war aber nicht ihre eigentliche und erste Heldin, wie sie mir am Bild der Tänzerin La Jana enthüllte. Letztere stand in einem durchsichtigen Hemd vor einer Wand; irgendetwas auf ihrer Stirn blinkte und glänzte, ähnliche den Klunkern in Großvaters Vitrinen. Stumm zeigte Helene auf ihre eigenen dürren Stelzen, sodass ich folgerte, ihre Wünsche gingen in Richtung dieser La Jana, also dem Fache einer lyrischen Tänzerin, und brüderlich spendete ich ihr meinen Segen. Nach einem kurzen Augenblick hoffender Zustimmung, ob ich meine, sie könne auch so sein oder werden, lehnte sie als Schwindel und schäbiges Mitgefühl meinen


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