Flucht aus dem Morgengrauen. Marc Lindner

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Flucht aus dem Morgengrauen - Marc Lindner


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musste, dass es mir langweilig werden könnte.

      Sabrina dagegen bedurfte weitaus mehr Konzentration, ich konnte nicht einfach entspannen, so wie es mir bei Konrad möglich war. Es hatte immer etwas Schweres an sich haften, einen Nachgeschmack, den ich nicht so leicht ein­ordnen konnte. Aber auch ihre verborgenen Züge hatten ihren Charme, auch wenn ich mit jedem Blick riskierte, dass sie mich auftaute.

      Jedes Mal wenn sich unsere Blicke trafen, war es als würden wir beide ein Buch lesen, und beim Umblättern ein flüchtiges Lächeln austauschen. Dabei wirkte ihres immer beschwicht­igend, so als wollte sie mir zeigen, dass es nichts zu befürchten gab.

      Aber es war nicht so, dass ich Angst hatte. Ich war eher gebannt, wie bei einem Buch, dessen Ende ich kaum erwarten konnte, so zog sie ständig meinen Blick an sich. Aber ich konnte es nicht schnell lesen, nur ein kurzer Blick. Dann zuklappen und darüber nachdenken, was zwischen den Zeilen stand.

      Und der kühle Schauer, der mir den Rücken runter lief, wenn ich sie dabei erwischte, wie sie mich mit ihren Blicken abtastete, rührte von der Art, wie sie zu lesen schien. Sie las nicht um des Genusses willen, sie wollte den Büchern ihr Wissen entreißen und sie dann, wie leere Hüllen wegwerfen. Mit dieser Art der Lektüre konnte ich nur wenig anfangen. Genauso wie diese Literaten, die den Wert eines Textes erst dann erkannten, wenn sie ihn in seine Einzelteile ver­stümmelt hatten. Mir als Ingenieur graute vor dieser Vorstellung, denn ich suchte als solcher stets zerstörungsfreie Prüfmethoden. Alles andere war einfach unsachgemäß. Genauso wie diese Weinkenner. Kaum benässte dieser Trank ihren Gaumen, spuckten sie ihn aus. Sollten sie doch Wasser trinken, wenn sie keine Ahnung hatten, was Genuss bedeutet. Ich spürte, wie meine innere Wärme gegen die Klimaanlage ankämpfte. Und ich genoss, wie mein Körper gegen die unsachgemäße Darstellung der Wüste protestierte, und meine fieb­rigen Gedanken schürten das Feuer.

      Rasch wandelte sich meine Wut in Mitleid, als ich abermals bemerkte, mit welchen verzweifelten, rätselnden Blicken die Journalistin mir meine Geheim­nisse entreißen wollte. Keineswegs aufdringlich sah sie mich an und mich durchfloss plötzlich der Drang zu reden.

      Ich öffnete bereits leicht meinen Mund, doch dann bemerkte ich, dass ich nicht wusste, was ich sagen sollte und mich verließ der Mut. Mit einem er­schöpf­ten, kraftvollen Ausatmen schloss ich meine Lippen und wandte mich dem Fenster zu. Was draußen geschah, sah ich dennoch nicht. Nur eine bräunliche Landschaft schwamm an meinen Augen vorbei. Selbst der Himmel wirkte seltsam dunkel und da fiel mir wieder die getönte Scheibe ein und ich beschäf­tigte meinen Verstand damit, diese nun in Betracht zu nehmen.

      «Warst du schon in Kairo?» Sabrina konnte der Verführung nicht wider­stehen. Sie musste bemerkt haben, dass ich etwas sagen wollte, und wollte die Ge­legen­heit nicht ungenutzt lassen.

      «Nein», lachte ich, nachdem ich einen Moment verstreichen ließ, so als habe sie mich gerade aus meinen Gedanken gerissen. Ich bemühte mich um ein möglichst offenes Gesicht. Sie musste endlich etwas zu lesen haben, das war mir klar. Anders würde sie verhungern, und schließlich sorgte sie sich gut um mich. Ihre liebevollen Blicke, ihr unvergleichliches Lächeln, das sie mir pausen­los schenkte. Und nicht zu vergessen, die Lektüre – der reinste Genuss. Für denjenigen, der darauf Wert legte, und das tat ich. Nun war es also an der Zeit, zu geben.

      «Ich war eigentlich noch nie wirklich im Ausland», zeigte ich meine ehrliche Begeisterung für diese Reise. «Kaum mehr als einen Steinwurf über die Grenze ab und zu, aber das war es dann auch schon», lächelte ich ihr zu und zeigte ihr deutlich, wie aufregend dies alles war.

      «Du hast mir eigentlich noch nicht gesagt, wieso du dich so schnell dazu entschlossen hattest», nahm sie fleißig die Gelegenheit beim Schopf.

      Ich merkte, wie meine Augen zu strahlen begannen. Kurz senkte ich mein Haupt und lachte hörbar verlegen, bevor ich tief Luft holte. Als mein Gesicht sich dem ihren zuwandte, sah ich, wie sie ihren Atem angehalten hatte.

      «Eigentlich», begann ich und ließ mir reichlich Zeit, während ich nun die Decke der Limousine nachdenklich anstarrte. «Eigentlich hab ich es mir nicht überlegt», tat ich als würde ich nun erst begreifen, was ich getan hatte. Doch um ehrlich zu sein, ich hatte es immer noch nicht begriffen. Wie sonst könnte mir alles wie ein Traum vorkommen. Ich wusste, dass es echt war, dass es wirk­lich passierte. Aber nur mein Verstand wusste es. Nicht mein Emp­finden, und dieses war es dem ich meinen Glauben schenkte. «Es war spontan. Es war so», ich musste wieder die Decke anstarren, um das passende Wort zu finden «verwegen», endete ich und lächelte sie mit einer hochgehobenen Braue an.

      Ich spürte, dass ich mir zu viel erlaubte. Ich spielte mich auf, als säße ich mit ihr auf gleicher Höhe, welch leichtsinniger Fehler. Sie durfte mir nicht an­merk­en, dass ich mit ihr spielte. Sie spielte mit mir, wie konnte ich das nur vergessen.

      Verlegen senkte ich meinen Blick und kratzte mich am Hinterkopf und fuhr dann mit der Hand in den Nacken, als wäre ich noch ganz verspannt. Und während ich mich leicht dehnte, spürte ich, dass es angenehm war.

      Sabrina hatte sich selbst aus dem Gespräch gebracht und sah nun nachdenklich aus dem Fenster.

      Konrad dagegen war durch die gefallenen Worten aus seinen Gedanken aufge­schreckt. Ihm war entgangen, was sich zwischen Sabrina und mir abgespielt hatte, nur dass ich ein Greenhorn war, was das Reisen betraf, hatte er aufgeschnappt und ließ es sich nicht nehmen mich nun zu belehren. Wie ein Vater erzählte er mir von seinen Abenteuern. Es war völlig unmöglich ihm zu folgen. Er wech­selte schneller die Länder als Sabrina einen Satz beenden konnte. Und darin war sie gut. Ich lachte innerlich, als ich merkte, dass meine Gedanken abschweiften.

      Ich bemühte mich Konrads Worten zu lauschen. Wenn ich mir Eines ver­inner­lichte, so war es, dass er viel, schon sehr viel gesehen hatte. Trotzdem hörte ich bei seiner Redeweise deutlich seine Ungeduld heraus.

      «Und als ich in Singapur war, hab ich Peter getroffen. Den hatte ich eigentlich in Venezuela kennengelernt.» Und schon war er in einem anderen Land. «Aber das ist eine andere Geschichte, interessant war eigentlich die in …», wechselte er von Land zu Land, wie ein Kind zwischen Sendern, wenn es das erste Mal dabei war, die Funktionsweise einer Fernbedienung zu studieren.

      Von den Worten angelockt, tauchte Sabrina auch bald wieder im Gespräch auf. Beide übertrumpften sich mit ihren Abenteuern, als wollten sie mich mit ihren Erfahrungen begeistern. Doch mir war klar, dass ich in diesem Moment nur zum Spielball zwischen den beiden Rivalen ausartete. Ärgern tat es mich aber nicht. Es berauschte mich eher, wie sie sich abmühten mich immer höher zu werfen, und während ich mich dem Himmel näherte, erweiterte sich mein Horizont. Von Mal zu Mal holten sie weiter aus, um mit ihren Schlägen mich staunend um meinen gleichmäßigen Atem zu bringen.

      Bald wurde mir schwindlig von dem Ganzen hin und her und ich ließ mich auf den Wogen ihrer Worte treiben. Als ich mir sicher sein konnte, dass ich nicht in dieses Gespräch mit einbezogen wurde, gab ich mich erneut daran zu lesen. Wieso sollte ich ihren Abenteuern nun lauschen, wenn mein eigenes doch bereits auf mich wartete. Einzig zur Steigerung meiner Vorfreude nahm ich ihre ausschweifenden Erzählungen entgegen. Dass vieles davon im Eifer des Ge­fechts wohl mehr der Fantasie als der Realität entsprang, störte mich herzlich wenig. So was gehörte dazu, wenn man sich müde von der Reise gemütlich an einem knisternden Lagerfeuer einrichtete und den Geschichten lauschte. Nur leider hatten wir hier nur eine Klimaanlage, das störte mich dann schon eher. Zu großen Geschichten gehörte nun mal die Stimmung von Abenteuer. Eine stern­en­klare Nacht, ein aufbegehrendes Lagerfeuer und unzählige wild flack­ernde Schatten. Vielleicht war es gerade dieser Mangel, der mir einen Teil der Be­geis­terung vorenthielt, aber ich konnte es nicht ändern. Alles, was sie erzählten wurde von der Größe des Wagens und der geregelten Atmosphäre zu­nichte­ gemacht.

      Sie störten sich daran aber nur wenig. Vielleicht lag es ja auch an mir. Vielleicht verlangte ich zu viel, aber Reden an sich genügten mir nicht. Sie waren falsch, gelogen, wie die Illusion in der mich dieser Luxus ertrank.

      «Aber was rede ich, du wirst das alles bald selbst erleben!» Konrad klopfte mir freund­schaftlich auf die Schulter. Ich fragte mich, ob er bemerkt hatte, dass ich ihm nicht die Ehrerbietung geschenkt hatte, die


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