Flucht aus dem Morgengrauen. Marc Lindner

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Flucht aus dem Morgengrauen - Marc Lindner


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war wie ein tiefer Traum, eine Trance, aus der ich nicht aufwachen konnte, weil ich nicht schlief. Als wollte mein Verstand sortieren, was ihn überreizt hatte. Da ich kein Bett, keine Decke hatte, hüllte ich meinen Blick in die unter mir schwebenden Wolken. Die irr­sinnige Geschwindigkeit mit der wir, laut den schwärmerischen Schilderungen Konrads, den Himmel durchpflügten, konnte ich nicht spüren. Nichts ließ mich dieses Rennen wahrnehmen. Keine Zielgerade, keine jubelnde Menge. Nur unendliche Weite um mich und das unwirkliche Gefühl zu fliegen. Nicht einmal ein fassungsloses Staunen beschwerte mein Gemüt. Obwohl ich mich so darauf gefreut hatte, es fast nicht hatte erwarten können, war es nun keine fiebrige Faszination, die mich zwang es gierig aufzusaugen. Ich tauchte einfach nur ein in dieses schwerelose Gefühl und genoss es, so wie man nur Träume genieß­en kann. Immer wieder denselben Moment und doch jedes Mal schöner und reicher an Empfindungen, die sich immer weiter aufbauten, wie ein Bildnis der Gefühle, welches man Tropfen für Tropfen in sich aufnehmen musste. Jede Eile, jedes Gefühl für Zeit würde es zunichtemachen und so verabschiedete ich mich von dem Denken, welches mich nur im Kreis laufen lassen könnte. Ich befreite mich von der Zwangsjacke, die die Formeln um mich gelegt hatten, und wurde gar Teil der Wolken, und ich freute mich darauf die Welt zu umrunden, auch wenn ich in den Stunden und doch nur Augenblicken mich nicht damit abgab mir auszumalen was mich erwarten würde. Es war als würde ich, noch müde von der Nacht, die Haustür verlassen und in die letzte Wärme des Bettes gehüllt, mich auf die Straße begeben und einfach zu laufen anfangen. Ziellos und ohne das Gefühl aufzubrechen. Ohne Erwartung mich auf eine Suche begeb­en, ohne zu wissen, was ich suchen sollte. Wie die Ritter früher, die sich auf die Suche nach dem Heiligen Gral begeben hatten, mit dem einzigen Unter­schied, dass ich nicht mit etwas in Händen zurückkehren wollte. Es war nichts was die Menschen hätten sehen können und nichts wofür ich Bewunderung oder gar Ruhm ernten konnte und doch war es mir weitaus mehr wert. Diesen Reich­tum, sollte ich ihn finden, könnte man nicht aufwiegen. Und wieder‚ war es für einen Moment da, dieses Gefühl gemessen zu werden. Doch als ich mich unter den mitleidigen Blicken der Anderen sah, musste ich nur kurz schmun­zeln, bevor ich mich leicht im Sessel bewegte, um meinen Blick gleich wieder in die Wolken zu hüllen. Unangenehm war mir der kalte Schauer nicht, den mir die Gesellschaft den Rücken runter laufen ließ. Es war wie eine kühle Brise am Morgen, die es nicht schaffte, einen ganz aufzuwecken und man sich wieder umdreht und einschläft.

      Dennoch war ich auf einmal hellwach. Als sich die Wolken zusammenzogen und ein undurchdringliches Grau sich mir aufdrängen wollte, kehrten meine Ge­danken zurück und rieten mir davon ab noch weiter draußen zu träumen. Als ich dann noch merken musste, dass meine Beine eingeschlafen waren und sich mein Körper unangenehm verspannt anfühlte, nahm ich mir die Freiheit diesen zu bewegen. Mit einem herzhaften Gähnen stand ich mit einem befrei­enden Ruck auf und streckte mich, soweit es die etwas niedrige Decke zuließ.

      Kaum hatte mein Kopf sich bis auf meine Körperlänge erhoben, als eine Glut denselben durchfuhr. Konrads Gesicht verschwamm vor meinen Augen und alles begann sich seltsam zu drehen. Das weiße Licht zog sich zu einem win­zigen Punkt zusammen. Das Letzte was ich noch hörte war ein dumpfer Aufschlag.

      Das Nächste, was ich wieder hören konnte waren Schritte und eine Frau, die auf­ge­regt meinen Namen rief. Ich wollte antworten, doch ich konnte nicht. Ich war unendlich müde und mir fehlte die Kraft für die geringste Bewegung. Als ich sanfte Schläge gegen meine Wangen wahrnahm, vermochte ich nicht einmal die Augen zu öffnen. Nur schlafen wollte ich, alles andere war mir egal. Zu schwer fühlte ich mich, und mein Verstand ließ mich alles wie durch einen dicken Vorhang wahrnehmen. Ich hörte es irgendwie und doch schaffte nichts es, bis zu mir vorzudringen.

      «Was ist mit ihm los, macht doch was!» Eine besorgte Stimme dröhnte durch den Vorhang und ein Röcheln verriet mir, dass Konrad zu schnell aufge­sprung­en war.

      «Wach auf», hörte ich Sabrina erregt mich anschreien, während sie meine Wange weiter mit ihren Händen bearbeitete.

      Sie taten mir leid. All meine Kraft zusammen nehmend, öffnete ich langsam ein Augenlid.

      «Ich bin müde», hauchte ich, während das Licht mich blendete. Ich schaffte es nicht länger etwas zu sehen und schloss mein Auge.

      «Wie fühlst du dich?», wollte Sabrina wissen. Ihre Stimme gab mir Kraft und ihre Frage entlockte mir ein gestöhntes leises und brüchiges Lachen.

      «Gut», antwortete ich schweratmig. «Lasst mich einfach liegen», stöhnte ich. «Ich muss nur ein wenig schlafen», stotterte ich weiter, während mein immer schwerer werdende Atem mich ständig unterbrach.

      Die Stimmen, die mir antwortenden, entfernten sich so weit, dass ich sie nur mehr als Rauschen wahrnahm. Mein Kopf wurde schwer und fiel zur Seite weg.

      Als Nächstes spürte ich Schläge gegen mein Gesicht und bemerkte, wie eine leicht zittrige Hand versuchte, meinen Kopf aufrecht zu halten. Wieder konnte ich Sabrina besorgt meinen Namen rufen hören, was die Anderen sprachen, konnte ich nicht verstehen. Als ich dann langsam und immer noch mit dem Be­dürf­nis zu schlafen meine Augen öffnete, sah ich nur ihr besorgtes Gesicht, das tief über mich gebeugt war und mir die Sicht auf alles andere versperrte. Ich spürte und ich sah ihre Aufregung, konnte sie aber selbst nicht empfinden. Im Gegen­satz zu meinem Körper fühlte sich mein Geist ganz leicht und teilnahms­los an, als ginge ihn die ganze Angelegenheit nichts an. Ich lag einfach nur da und wollte schlafen, einfach nur schlafen und ich wusste nicht wieso.

      Kaum hatte ich die Augen geöffnet, da richtete Sabrina meinen Oberkörper auf. Es machte ihr wohl Angst mich so daliegen zu sehen. Sie hob mich an und versuchte den Anschein zu geben, ich käme wieder zu mir. Doch dem war nicht so. Als mein Kopf wieder an Höhe gewann, machte sich ein schwind­eliges Gefühl in diesem breit und die Welt verfinstere sich von neuem. Wie lange der Ohnmachtsanfall gedauert hatte, konnte ich nicht sagen. Als ich wieder zu mir kam, fand ich mein Gesicht weich an ihr anliegend wieder. Ange­nehme Wärme umhüllte mich und machte mich von neuem schläfrig. Unkon­trolliert war ich in Sabrinas Arme gefallen und nun schlang sie dieselben um mich und wiegte mich leicht hin und her. Ich spürte ihre Angst und eigen­artiger­weise eine liebevolle Wärme, die mir genau so fremd, wie angenehm war. In dieses geborgene Gefühl eingetaucht fühlte ich mich sicher und versuchte mich nicht länger dem Schlaf zu widersetzten.

      In diesem trunkenen Zustand hob sie mich an und zerrte mich mit all ihrer Kraft in den Sessel zurück. Ohne die Augen zu öffnen, ließ ich alles willenlos mit mir geschehen.

      Kaum hatte sie es geschafft mich in den Sessel zu hieven, da drohte mein Kopf sich wieder dem Fußboden anzunähern. Der zittrige Versuch der jungen Frau meinen Kopf hochzuhalten, konnte mein schwindliges Gefühl nicht im Gering­sten mindern.

      In ihrer Unruhe konnte sie sich nicht entschließen, wie sie sich hinstellen sollte und so tanzte sie ständig um mich herum. Fortwährend besorgt mich aufrecht zu halten. Sie war redlich bemüht den Schein zu wahren. Es bereit­ete ihr Angst zu sehen, wie ich meine Rolle nicht mehr ausfüllen konnte. Und so kämpfte ich für sie mit, aus Angst dieses trunkene Gefühl, das sie mit ihrem Benehmen bei mir auslöste, nicht mehr loszuwerden.

      Ich hatte meinen Kopf nach hinten in den Sessel fallen lassen und musste meine Augen nun nur halb öffnen, um sie in ihrer Gänze zu erblicken. Sie hielt für eine Weile inne und betrachtete mich, während sie sich unablässig auf ihre blut­roten Lippen biss. Auch Konrad konnte ich neben ihr sehen, der so sehr außer Atem war, dass er nicht einmal mehr brüllen konnte. Nur seine Arme ruder­ten hilflos umher, in dem Versuch mir Beistand zu beschaffen. Doch es war keiner da, der Rat wusste und keiner, der mir hätte helfen können.

      Ich zwang mich zu einem schwachen Lächeln um meinen trocken geword­enen Mund. Doch die Beiden wollten mir nicht glauben.

      «Konrad was hat er nur?», wollte Sabrina wissen, ohne es aber zu wagen sich von mir abzuwenden. «Er war doch eben erst beim Arzt», wollte sie sich selbst beruh­igen. «Es ist doch alles in Ordnung mit ihm?», verlangte sie Aufklärung.

      «Dieser Kurpfuscher, wenn ich den in die Finger bekomme», presste Konrad zwischen seinen Zähnen hindurch.

      «Was meinst du damit?», wollte die Journalistin nun wissen und ich spürte, wie ihre Neugier sie


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