Flucht aus dem Morgengrauen. Marc Lindner

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Flucht aus dem Morgengrauen - Marc Lindner


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Lektüre, die ich zur Hand hatte. Ich fand sie in keinem geringeren als Konrad selbst. Sein breites Gesicht erzählte mir mehr, als in seinen Augen zu lesen war.

      Als Kind hatte ich immer viele Bücher gelesen, vor allem Fantasy, bevor die zahllosen Formeln mich ausgetrocknet hatten und ich keine Zeit mehr dazu fand. Doch damit sollte jetzt Schluss sein, ab jetzt wollte ich für alles Zeit haben, vor allem für mich, ich würde keine Rennen mehr laufen die mich nicht weiter bringen würden. Auch wenn ich nun das größte Rennen meines Lebens be­streiten, und doch nur im Kreis laufen würde. Aber daran störte ich mich nicht, ich wusste ich würde nicht wieder am gleichen Ort ankommen. An der gleichen Stelle vielleicht, aber nicht am gleichen Ort.

      Ich wendete mich wieder dem Gesicht des Millionärs zu, den ich neben mir sitzen hatte. Er sah aus wie einer dieser Könige, die mir in meinen Büchern begegnet waren. Alt und müde, sitzend in ihrem Thron, der sie umschlang. Er hatte sie, die Macht, das König­reich, das er selbst errichtet hatte. Wie ein Hirte, der es geschafft hatte sich einen Wolf zu züchten. Er wurde dafür bewundert, doch begann er an ihm zu fressen, ihn bis auf die Knochen abzunagen.

      Konrad sah immer noch wohl genährt aus, sogar mehr als das, aber ich sah die Narben. Tief waren sie, sehr tief, gefangen in dem Stolz, der wie ein aufbe­gehr­endes Feuer in seinen Augen glühte. Doch als ich weiter las, merkte ich, dass es keines war zum Wärmen, sondern dafür gedacht, die Menschen zu blen­den, genau wie dieses Leder, auf dem ich so bequem saß. Ich musste mir einge­stehen, dass es angenehmer war, als das, was ich lesen konnte, doch ich suchte das Abenteuer, und las weiter.

      Als er meine Blicke spürte, sah er davon ab Sabrina mit den seinen zu fixieren, und lächelte mir mit einem freundlichen Gesichtsausdruck zu, als wolle er mir Mut machen und versichern, dass ich das Richtige getan hatte. Er wollte dieses Abenteuer, die letzte Chance und mit dieser Geste machte er mir deut­lich, dass er mich bis zum Ende begleiten würde.

      Er konnte dieses Spiel nicht mehr aufhalten, die schließende Tür war der letzte Trailer gewesen, ab jetzt war es ein Jump- and Runspiel, und bei denen konnte man sich nicht mehr umdrehen.

      Auch sein Lächeln war der Versuch zu fliehen, weder vor mir, noch vor dem Spiel, doch er fürchtete meinen Blick, dass ich bemerken würde, dass er noch einen Krieg gegen Sabrina austragen müsste. Doch dazu war es zu spät, ich war einige Kapitel weiter, und wusste, dass ich ihn das nie merken lassen dürfte, das war alles Teil des Spieles.

      Sabrina war genauso ein Buch, wenn auch schwerere Kost, zu viele Frage­zeichen, und zu viele ausschweifend lange Sätze. Und zudem stand bei ihr allzu viel nur zwischen den Zeilen, das wollte ich mir vor der Reise nicht mehr zu­muten. Aufgeregt war ich genug, und ich wusste nicht wie viel mein Magen vertragen würde.

      Leicht vibrierte dieser, während das Flugzeug immer weiter auf die Startbahn zuhielt. Wieder wirkte es für mich unwirklich, ich verband die Bilder, die mir aus dem Fernsehen vertraut waren, mit dem was ich durch die dicken Gläser erken­nen konnte. Doch es wollte nicht recht übereinstimmen, wie so oft. Diese Lügen hatte ich satt. Ich wollte die Welt sehen, nicht nur aus der Ferne, und bei dieser Rollbahn fing es an.

      Sabrina konnte das nicht, dieses Anfangen, sie fuhr einfach weiter.

      «Und hast du es dir so vorgestellt?», wandte sie sich vom Sitz vor mir an mich.

      Sie hatte den Sicherheitsgurt noch nicht zugeschnallt, um sich noch zu mir um­drehen zu können. Sie kannte keine Hindernisse, nur Kompromisse, und die ging sie nicht ein.

      «Nein», antwortete ich in Gedanken versunken und fast nur hauchend. Ihr Gesicht starrte, an die Lehne ihres Sessels gepresst, mich mit forschenden Blicken an.

      «Hast du Angst?», fragte sie. Als ich ihren beinahe mütterlichen Blick sah, musste ich innerlich lachen.

      Sie war wirklich mit allen Wassern gewaschen, doch ich ließ mich nicht nach Belieben auftauen. Schon gar nicht bei dem Ausschnitt, mit dem sie ihre ver­trau­en­erweckende Rolle zu spielen versuchte.

      Sie war nicht an Gefühlen interessiert, nur an Sensationen und so sah mein Dreh­buch nicht aus. Wie dieses letztendlich aussehen würde, wusste ich nicht, nur so viel war mir klar, dass es nicht ihren Vorstellungen entsprechen würde.

      So leid es mir für sie tat, aber sie lief mit mir in eine Sackgasse, und diese war nicht lang genug, um einmal um die Welt zu reichen.

      «Nein, es ist nur ein komisches Gefühl», lächelte ich ihr zurück.

      Eine letzte Drehung, und das Flugzeug blieb stehen. Dieses Warten löste ein leichtes Kribbeln in meinem Magen aus, nicht stark, nur so, dass ich es noch als ange­nehm empfinden konnte. Wie Vorfreude, die ich eben am Genießen war.

      Selbst Sabrina, nachdem eine Stewardess, oder wie auch immer ich Konrads Ange­stellte betiteln sollte, sie darauf hingewiesen hatte, gurtete sich nun fest und musste ihren Angriff auf meinen abkapselnden Panzer unterbrechen.

      Aufbegehrende Triebwerke brummten einige Male neben uns auf. Als diese lärmenden Störungen ein Ende fanden, ging es nach einer weiteren kurzen Pause endlich los.

      Es war nicht mehr zu vergleichen mit dem langsamen Rollen auf der Start­bahn von vorhin.

      Viel kräftiger, und trotzdem gleichmäßig, drückte es mich viel tiefer in den Sessel.

      Das Kribbeln im Bauch wurde stärker und ich schloss kurz die Augen. Es gefiel mir, nur noch zu spüren und meine Umwelt zu vergessen. Eintauchen, ab­tauchen und weg. Einfach herrlich, dieses Reisen.

      Doch mein Körper kam wieder zum Vorschein. Wir waren in der Luft. Noch bevor ich meine Augen geöffnet hatte, konnte ich vor mir ein Klicken hören, gefolgt von einem kurzen dumpfen Schlag.

      Als ich dann langsam die Augen öffnen wollte, riss ein kurzer Schreck sie mir gleich auf und Sabrinas Gesicht presste sich abermals an die Seitenlehne ihres Sessels.

      Wie sie das so schnell geschafft hatte, blieb mir ein Rätsel, und ich ordnete es gleich zu den anderen ungelösten Fragen, die ich mit ihr in Verbindung brachte, ohne in diesem Moment noch einen Gedanken darauf zu verwenden.

      «Und wie fühlst du dich?», schoss sie wieder mit ihrer Journalistenfrage um sich.

      «Gleich noch mal», lachte ich sie begeistert an.

      Wo die Kamera sich diesmal versteckte wusste ich nicht, es war mir egal, man konnte eh nicht das ganze, noch ungeschriebene Drehbuch veröffentlichen.

      Sie funkelte mir zurück als nehme sie mir diese Reaktion nicht ab. Wohl, weil meine schauspielerischen Künste noch recht ungeschliffen und meine Reak­tionen zu aufgesetzt wirkten.

      Ich nahm ihre Kritik dankbar entgegen und freute mich, dass sie doch nicht so oberflächlich war, wie ihr Auftreten es befürchten ließ.

      Um mich ihrem bohrenden Blick zu entwinden, tauchte ich ab, löste die Sperre vom Sessel und wandte mich dem Fenster zu.

      Wieder eines dieser verwirrenden Bilder, die ich so oft im Fernsehen gesehen hatte. Merkwürdig daran war, wie bedeutungslos sie mir erschienen, es war ein ein­zig­artiger Ausblick, und doch behielt ich meinen Atem. Es war wie eine kalte Bewund­erung, als betrachte ich die Welt durch eine dicke Glasscheibe. Bei diesem Gedanken musste ich lachen, denn schließlich war es nichts anderes.

      «Man muss die Welt im Ganzen sehen, bevor man sie Stück für Stück erkund­en kann», dröhnte Konrad, da ich mich abgewandt hatte hinter meinem Rücken feierlich hervor.

      Verwundert über diesen philosophischen Anmut seines Ausrufes schlug ich ein neues Kapitel in seinem Roman auf, ohne diesmal gelesen zu haben und ohne zu wissen, was mich noch erwarten würde.

      «Willst du die Welt bereisen, musst du erst dich finden, die Vorstellungen der Menschen in den Schrank stecken, und deine Neugier in deinen Koffer», sagte ich wie zu mir selbst, während ich immer noch zum Fenster raus schaute und die Wolken, die an uns herab fielen, meine Blicke kitzelten.

      «Es spricht sich leicht, wenn man von allem so weit weg ist», kommentierte Sabrina unseren Geistesausflug.

      Ohne


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