Flucht aus dem Morgengrauen. Marc Lindner

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Flucht aus dem Morgengrauen - Marc Lindner


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konnte er keinen Meter der Startbahn für sich gewinnen. Die Sicherheitskräfte, die eilends Kollegen ange­fordert hatten, blieben eisern.

      Wie ein Löwe, mit seiner kräftigen, glänzenden Mähne, der von einer Horde Hyänen in die Flucht geschlagen wurde, erschien mir der Millionär, als er schließ­lich einlenkte und sich, nicht ohne seine Beschwerden über Handy los zu werden, wieder in die Limousine begab. Lautstark brüllte er in sein Telefon, sodass es mir unangenehm wurde und die Person auf der anderen Seite der draht­losen Verbindung mein Mitleid gewann. Ich konnte nicht begreifen, was so schlimm daran sein konnte, dass wir nun den Weg durch den Flughafen be­streit­en mussten. Wie langweilig musste doch ein Leben sein, wenn man es dadurch schmücken musste, sich wegen solcher Lappalien aufzuregen. Was es mir noch mehr erschwerte diese Reaktion nachzuvollziehen, war der Umstand, dass wir uns aufmachten, zu einer Reise rund um die Welt. Wer konnte sich bei diesen Ausmaßen noch an hundert Metern stören? Die Macht des Millionärs verhallte wie Rauch, sie war doch nur Illusion gewesen. Wo war dieser beein­druckende Geschäftsmann, als den er sich präsentierte, wenn der dicke Mann neben mir nun schon über einen Kieselstein stolperte. Dabei hatte er doch sicher­lich die ganze Welt bereist. So wie ich mit dem Finger über einen Globus einst, doch ich glaubte nun, es bestünde dabei kein Unterschied. Er hatte nichts gesehen, oder zumindest nichts von dem bescheidenen Reichtum errungen, den man sich nicht einfach umhängen konnte. Ja, er war ein Millionär, einer aus dem Bilderbuch, aus einer Anzeige, sichtbar und doch nur eine Erfindung des Marke­tings. Er war die lebendig gewordene Lüge der Menschen. Und neben ihr saß ich nun, gegenüber der Frau, die diese ständig in die Welt posaunte, mit be­ein­druckenden, prunkvollen Bildern. Mehr war es nicht, nur die Kulisse auf der riesigen Bühne, die die Menschen errichtet hatten und sie war gepflastert mit deren Werten. Klein und kariert, wie jene in der Stadtmitte, den Einkaufs Meilen, die die Produkte verkauften, die angepriesen wurden. Nicht aber von mir, denn die Fensterläden waren für mich leer und dunkel. Deshalb wohl erntete ich das Mitleid der Menschen, ich war schwach und blind und zu müde, um an ihren Rennen teilzunehmen. Wie ein alter Greis floh ich nun, und die Welt schenkte mir einige letzte Gefährten. Für meine letzte Reise, in die Wüste, da war genug Platz für mich, und dort war ich ihrem Mitleid nicht mehr aus­gesetzt. In der Wüste musste man nicht sehen können, dort gab es nichts, nur Sand, aber in den konnte man nicht ungewollt einrennen, über den konnte man nicht stolpern. Deshalb freute ich mich für den Millionär und hoffte‚ dass er sich endlich von seinen vielen Kämpfen erholen und von seinen Verwund­ungen genesen konnte.

      Kaum hatte der Chauffeur uns bis vor den Haupteingang gefahren, da ging das Schauspiel weiter. Wieder war der Millionär zu aufgebracht, um darauf warten zu können, dass ihm die Tür geöffnet wurde.

      Mit einem übertriebenen Einsatz seiner Kraft und einem Angst einflößenden Ge­stöhne, stürzte er selbstständig aus dem Auto. Die weitaus flinkere Journa­listin hüpfte gleich hinter ihm in den Flughafen rein.

      Ich war keiner der gerne auffiel und so schlenderte ich in einigem Abstand gemüt­lich hinterher. Trotz der einen Kamera, die es nicht lassen konnte mich zu verewigen, erregte ich keinerlei Aufsehen. Dieses erntete in vollem Umfang der Millionär mit seiner wachsenden Gefolgschaft. Neben den zwei Kamera­leuten, die uns gefolgt waren, und nun nur ihn anvisierten, war auch die ihn nicht mögende und doch anhängliche Medienvertreterin immer an seiner Seite.

      Bald waren aber zudem sämtliche Zuständigkeitsbereiche damit beschäftigt, die tobende Lawine aufzuhalten. Doch diese baute sich immer weiter auf, und je mehr Leute auf Konrad einredeten, er möge doch Frieden geben, umso mehr brüllte er. Wer Wind sät, wird Sturm ernten. Dabei bezweifelte ich stark, dass ich dann dabei sein wollte.

      Doch ich hatte keine Wahl, oder besser, ich ließ mir keine. Da war ein Ziel, und diesmal wollte ich es erreichen, es war nicht mehr länger nur ein Traum. Auch wenn ich mir bei diesem Anblick beinahe wünschte aufzuwachen.

      Den Sicherheitskräften schenkte der Dicke keinerlei Beachtung. Er wollte den Chef sprechen, wie man aus seinem, nicht ganz freundlichen Geschreie, vermuten konnte.

      Eine zierliche, junge Dame aus dem Informationsstand stöckelte der Truppe entgegen, in dem mitleiderregenden Versuch, die Situation zu schlichten. Doch es schien mir, als wolle sich Konrad keineswegs beruhigen. Mich beschlich das Gefühl, als bräuchte dieser einen solchen Trubel um sich, und als ob er es gut ver­stünde sich selbst in Rage zu reden.

      Auch wenn ich davon ausgehen musste, dass das einzige Problem, das er sah, die Tatsache der Einlassverweigerung an einem ´Zutritt verboten` Tor war, so war dies nicht länger aus den Beschuldigungen, die er den Flughafen­mit­arbeit­ern an den Kopf warf, zu erahnen.

      «Was ist das denn für eine Behandlung?»... «Wo versteckt sich denn der Chef, was für ein Saftladen?!», und weniger beherrschte Ausdrücke warf er, nicht unbe­dingt sparsam, um sich. Auch wenn die Schar um ihn deutlich überfordert war, blieb sie fest an ihm kleben, und da Konrad nicht zu bremsen war, bewegte sie sich immer weiter. Selbst an Absperrungen innerhalb des Flug­hafens kamen wir nun mühelos vorbei, da sich eine solche in Bewegung ge­setzte Masse nicht mehr aufhalten ließ.

      Auch ich, der ohne die Meute auskommen musste, und zudem auch wollte, schaff­te es ebenfalls an den verblüfften Wachleuten und Kontrolleuren vorbei. Bei mir war es weniger die überrollende Wirkung meines Auftretens, als viel­mehr die Kamera, die unermüdlich meinen fast teilnahmslosen, unbeein­druck­ten Gesichts­ausdruck einfing. Mit einem fassungslosen Blick auf die abziehende Meute, und einem desorientierten auf mich, den glanzlosen Star vor der Kamera, glaubten sie sich im falschen Film und ließen mich unbehelligt pass­ieren. Dabei konnte ich es ihnen nicht einmal verdenken. Allein der in der Masse untergehende und doch nicht klein zu kriegende Konrad war ein eigen­artiger Anblick, aber dann noch ich, der ich völlig nüchtern hinterher trabte und dem Film die nötige farblose Leinwand bot, ließen die Dramatik der Show einfach überwältigend erscheinen.

      Doch dann geschah das Unvermeidliche, die Lawine hatte die Talsohle er­reicht und blieb abrupt vor einer Treppe stehen. Konrad gelang es nicht diese zu erklimmen, da er, inmitten der Meute, sich keine sicheren Schritte erringen konnte.

      Unglücklicherweise bemerkte ich den Stillstand zu spät und prallte ungewollt mit der Schar zusammen und wurde dank der Autorität, die mir die Kamera verlieh, auch gleich aufgenommen und bis zu Konrad durch gelassen.

      Dieser schien den Überblick vollends verloren zu haben und wusste nicht, auf wen er seinen selbst gezündeten Zorn nun richten sollte.

      Ich wusste nicht wieso und es war mir nicht nur unangenehm peinlich, son­dern gar unheimlich, doch kaum fand ich Beachtung inmitten der sich wichtig fühlenden Menschenmasse, als diese auch schon verstummte.

      Diese Kamera, die fortwährend meine Nase begutachtete, machte mein un­auf­fälliges Wesen zunichte. Sie zwängte mich in eine Rolle, in die ich nicht passte. Wie mit diesen anmaßenden, beschränkenden Werten, in die ich mich nicht zwängen wollte.

      «Konrad, gibt es ein Problem?», fragte ich, da mir die Stille nicht schmeckte. Völlig ruhig blieb ich nach außen und hoffte, dass sich dieser Trubel bald wieder legen würde. Zu viele Augen, die mich ansahen, die mich auszogen. Und dann noch diese richtenden Kameras.

      Der Dicke empfand diese enttäuschte Frage als entwürdigend. Und ich merk­te wie sein Kampf mich zu beeindrucken an dieser Stelle eine Wendung erfuhr.

      «Diese Leute hier wollen uns nicht zum Flugzeug lassen», erklärte er mir, nun wie beiläufig, als handele es sich um eine Nichtigkeit, um die ich mich nicht zu sorgen brauchte.

      «Ein Service ist das», lachte ich in dem Versuch die angespannte Stimmung zu lösen.

      «Wieso wollt ihr uns nicht zum Flugzeug lassen?», fragte ich den erstbesten Sicher­heitsmann, der mir vor mein Mundwerk kam.

      Völlig verwirrt, aber freundlich und mit einem lächerlich verwunderten Blick löste er diesen von Konrad und erweckte den Eindruck als wolle er nur noch mit mir reden.

      «Zu welchem Flug möchtet ihr denn?», stotterte er taumelnd, weil die Wand fehlte, gegen die er Sturm gelaufen war.

      Der Dicke ließ seine kräftige, dröhnende Stimme erschallen


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