Flucht aus dem Morgengrauen. Marc Lindner

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Flucht aus dem Morgengrauen - Marc Lindner


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stammelte der junge Sicherheitsmann verlegen, als hätte er es wissen müssen.

      Auch auf die anderen schien diese einfache Nummer durchaus Eindruck zu machen, denn es dauerte nicht lange, bis sich die Traube aufgelöst hatte.

      «Ihr müsst nur kurz durch den Scann und schon könnt ihr rein», sagte er, als wäre die besondere Behandlung eine Selbstverständlichkeit.

      Ich, der noch nicht geflogen war, vermutete, dass es sich dabei um ein beson­deres Training für Stressvermeidung unter den Gästen handeln musste. Einfach den Anstrengenden, Lautstarken jeden Wind aus den Segeln nehmen und ihnen das Gefühl geben nach deren Pfeife zu tanzen. So musste das nun hier sein, denn ich hatte noch nie erlebt, dass Unruhestifter so unbehelligt davon kamen. Den Trick musste ich mir merken, einfach nur brüllen und wie ein Affe herum­tanzen, doch ich wusste, dass ich das nie tun würde. Ich tauchte lieber ab, un­auf­fällig erreichte ich auch meine Ziele. Auch jetzt, ich hatte nur einmal fragen müssen. Schon verwirrend das Ganze. Ich wusste nicht recht, wo ich nun dran war, mit dem Dicken und mir.

      Eilends drehte sich der junge Mann um und erwartete von uns, dass wir ihm folg­ten. Er schien Konrads Rache zu fürchten, denn er schlug ein Tempo an, dem ich kaum zu folgen vermochte, geschweige denn die lebende Lawine hinter mir, die sich nur langsam und in kleinerer Ausführung als vorhin in Beweg­ung setzte.

      Von den Superlativen meines Begleiters stimuliert erwartete ich ein über­wält­ig­endes Flugzeug, vielleicht sogar, dass er die Hälfte der Sitzplätze für uns gebucht hatte. Zumindest ließ der Service, des sich ständig besorgt umblick­enden Sicherheitsmannes dies vermuten. So viel Aufhebens konnte man wegen einem Gast nicht machen, vielleicht, und der Gedanke bereitete mir Angst, hatte er gleich den ganzen Flug gechartert. Zutrauen würde ich es ihm, und das meinte ich an dieser Stelle keineswegs als Kompliment.

      Ich hatte mir den Spaß erlaubt den Sicherheitsmann einzuholen und nun großen Schrittes neben diesem her zu eilen.

      Der eine Kameramann, der mich wohl als das ruhigste und einfachste Ziel erachtet hatte, musste seinen Irrtum nun mit vielen Schweißperlen sühnen.

      Auch wenn ich, aus mir unverständlichem Grund, der Kamera keinerlei Beacht­ung mehr schenkte, so konnte ich mich doch einiger belustigter Blicke dem Träger gegenüber nicht erwehren. Selbst für eine solch belanglose Szene ging er an seine Grenzen, weil die Kunden Vollständigkeit verlangten. Sie wollten hautnah dabei sein. Jedes Detail wollten sie haben, nicht des Interesses wegen, das sicher nicht, nur aus Prinzip. So was brauchten die Menschen. Prin­zipien, die von anderen respektiert und erfüllt wurden.

      Selbst meine Freundin vom Fernsehen konnte die Lücke nicht mehr schließ­en. Das war doch mehr Sport, als ich gedacht hatte, dieses Reisen.

      Auch der Dicke hatte es sich offensichtlich anders vorgestellt. Deshalb drehte ich mich nicht mehr zu ihm um. Das war Teil des Spiels, er musste mir zeigen, wie mächtig er war, und deshalb musste ich nun wegsehen. Dabei wollte ich ohne­hin nicht zurück blicken, zu viele Altlasten.

      Ich wollte weg, und der Mann neben mir scheinbar auch. Er raste an den Gängen nur so vorbei, die Sicherheitsabsperrungen hatten wir hinter uns, die Flug­gäste, die lärmend durcheinander stürmten, berührten uns nicht mehr.

      «So, da sind wir!» Abrupt blieb er stehen. Er war außer­ordentlich zufrieden mit seiner Geschwindigkeit, denn als er mich ansah, hatte er etwas im Blick, das mich um Bestätigung oder gar Lob bat, dafür, dass er uns so schnell herge­bracht hatte.

      Ich musste kurz für mich schmunzeln und versuchte, mit hochgehobener Hand, als wolle ich mich an der Nase kratzen, es zu verbergen. Außer uns beiden und dem erschöpften Kameramann war noch keiner zu gegen.

      So von meiner Begleitung isoliert, wusste ich nicht, was ich tun sollte. Vor mir stand abermals ein Trupp Wachpersonal und diesmal war mir keine Lawine vorausgeeilt, die mir den Weg freigeräumt hatte.

      Mit einem hilflosen Blick an meinen übereifrigen Wegweiser, bat ich ihn wortlos mir die ihm vorschwebende Prozedur zu erläutern, was er in seinem er­wacht­en Tatendrang gleich tat.

      «Ihr müsst jetzt nur noch durch die Kontrolle, und dann kann es losgehen», sagte er und verwies auf die bereits wartenden Angestellten des Flughafens.

      In meiner unbeholfenen Unwissenheit gab ich mich dem Ablauf so hin, wie sie es von mir verlangten.

      Es war ein seltsames Gefühl so abgetastet zu werden, bisher hatte ich es bloß aus dem Fernsehen gekannt. Irgendwie kam ich mir dabei wichtig vor. Er­klären konnte ich es mir aber nicht. Vielleicht lag es aber daran, dass es vor lauf­ender Kamera geschah. Alles wurde dokumentiert. Jeder Schritt, fast wie der eine, der Wichtige, als täte ich das hier für die Menschheit, solch ein Auf­heben machte der Kastenträger. Mit seinem Gerät brachte er ständig den Metall­detektor zum Piepsen, beim Versuch mich aus jeglicher Perspektive einzufangen.

      Doch dann musste er ablegen, Sicherheit ging vor, und es beruhigte mich, dass er sie wohl nicht mit an Bord würde nehmen dürfen.

      Als ich nun auf die andere Seite der Absperrung blickte und die Gesellschaft heran­nahen sah, bedauerte ich es fast, dass die Kamera nun blind war, denn dieser Anblick wäre es wert gewesen, festgehalten zu werden.

      Der Dicke und die überdrehte Frau lieferten sich einen stummen Kampf. Beide wollten sie dominant sein, und doch so gelassen wie nur möglich er­schein­en, um zu zeigen, dass dies alles für sie alltäglich war.

      Dem Dicken schmeckte es nicht, dass ich bereits ohne den geringsten Aufwand alles Nötige hinter mir hatte, und seine Hilfe nicht in Anspruch nehmen musste.

      Er sah sich gerne in der Rolle desjenigen, der alles regelte, der die Fäden in Händen hielt, doch diesmal war er zu spät gekommen. Es zerriss ihn, dieses taten­los hinnehmen zu müssen. Er konnte nicht schneller gehen, sonst hätte er an anderer Stelle Hüllen fallen lassen müssen und wäre dann keuchend hier einge­troffen.

      Kleider machen Leute, und er hatte sich zu groß präsentiert, als dass ihn die Seinen nun noch fassen konnten. Wieder fiel mir der Vergleich des Luftballons ein, und ich merkte, wie seine Hülle immer dünner wurde und diese verkraftete keine Risse. Ich musste achtgeben, dieses Spiel war sein Ventil, und ich stand an der Drossel, gab ich zu viel nach, so würden wir wegfliegen, öffnete ich nicht genug, so würde er platzen. Das würde eine spannende Reise werden, und das Abenteuer reiste mit, als blinder Passagier sozusagen. Und blind war er wirklich, dieser Millionär. Es hätte nicht viel gefehlt und er wäre abermals über einen Kieselstein gestürzt. Dabei machten die Angestellten nur ihre Arbeit. Konrad jedoch schien seine Probleme damit zu haben. Wenig­stens versuchte er diesmal ruhig zu bleiben, vielleicht, weil er sah, dass ich ihn fast flehend ansah, dass er kein weiteres Aufsehen erregen sollte. Er fühlte wohl, dass er sich über die Dinge stellen musste, damit ich noch zu ihm auf­blicken konnte. Mich überzeugte man nicht mit einem brachialen Auftreten, sondern mit Souveränität. Und in dem Moment, als der Dicke den Kloß her­unter schluckte, der ihn fast wieder zum Schreien gebracht hätte, wusste ich, dass die erste Runde beendet war.

      – 3 – Arztbesuch

      Es gab ihn dann doch noch, diesen Kleinkrieg, doch wurde er diesmal sehr manier­lich, und nur in Form von einer Papier­schlacht ausgefochten.

      Doch dieses Gemetzel interessierte mich nicht, und so zog ich mich abseits an eine kleine, dafür aber sehr hohe Fensterfront.

      Von dieser Seite aus konnte ich einen riesigen Parkplatz überblicken. Die Startbahn sah ich nicht. Ich spürte nur die starken Vibrationen, wenn Flugzeuge vorbeikamen. Dass die schallisolierten Fenster den Groß­teil des Lärms schluckten, ließ das Ganze wie einen Traum wirken. So nah, und doch so fern, so als wäre ich selbst gar nicht hier. Ich liebte solche Momente, die Gedanken konnten dann so schön reisen.

      Hinten gegen eine graue, unverputzte Betonwand gelehnt, ließ ich meinen Blick draußen über die Dächer der Autos wandern. Da waren sie wieder, die unzähl­igen Romane der Anderen. Alle warteten sie darauf gelesen zu werden, doch ich konnte es nicht. Die Bücher waren alle verreist. Keine


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