Flucht aus dem Morgengrauen. Marc Lindner

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Flucht aus dem Morgengrauen - Marc Lindner


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Tempo nur schwer folgen und war bereits nach wenigen Schritten schnaufend abgeschlagen.

      «Ich brauchte eine Veränderung in meinem Leben. Einfach mal einen sau­beren Schnitt», gestand ich ihr, und die Kamera war hautnah dabei. Ich fühlte gleich an ihrem Griff, dass sie auflebte und hellhörig wurde.

      Sie roch es bereits, die Sensation. Ich war für sie wie ein Gefrierschrank. So mus­ste ich wohl jetzt auf sie wirken, denn ihr Griff wurde fester und sinnlicher, als wollte sie mich auftauen. Ich spürte und genoss es. Sie gierte danach, dass ich zusammen­brach. Gefühls- und Tränen überlaufend. Auch wenn sie es nicht geschafft hatte in meinem Gesicht zu lesen, so waren ihre Sinne doch geschärft genug, um zu merken, dass tief in mir etwas lungerte. Eine Unruhe, vielleicht auch Wut und Trauer, die sie für die Welt an die Oberfläche bringen und ihren Zu­schauern in spannenden Folgen präsentieren wollte.

      Ich musste mich nur in Acht nehmen, dass ich nicht alle Spielregeln aus der Hand verlor, und dann schließlich nach ihrem Drehbuch tanzen müsste. Das war wiederum mir zu oberflächlich und abgegriffen. Ich wollte etwas Neues, sonst wäre diese Reise für mich sinnlos. Ich hatte nicht den Platz in meinem Ruck­sack auch noch die Werte und Vorstellungen der Zivilisation mit mir rum zu schleppen. Die waren mir zu schwer und erdrückten mich. Ich wollte sie nicht, und doch war mir dieses Spiel, dieses gespielt warmherzige Benehmen der Frau nicht unangenehm. Etwas aufzutauen würde ich noch hinnehmen können, aber sicher nicht zu schmelzen und vor ihr zu zerfließen.

      Die wenigen Schritte reichten zum Glück nicht dazu, und ich konnte mich wieder sammeln, als wir ins Auto gestiegen waren und auf Konrad warteten.

      Es war eine geräumige Limousine, die mich mit geöffneten Türen erwartete, im absoluten Halteverbot. Dieser Konrad verstand es zu reisen. Und ich war be­lustigt von dem Gedanken, dass sie sich nun Mühe gaben mir die Vorzüge eines reichen Daseins zu zeigen, um mich dann zu Fuß durch die Wüste zu schicken.

      Auch als Herr Hartmann – um ihm die Ehre einer gepflegten Anrede zu erweisen, – sich zu uns gesellte und mich noch näher an die Journalistin drückte, merkte ich nur noch deutlicher, dass ich aus dieser Welt fliehen musste. Zwar zeigte ich mich höflicher­weise beeindruckt und es war auch in der Tat beein­druckend, wie angenehm sich das Leder anfühlte, doch schaffte dieses es dennoch nicht, mich zu berühren. Das Fernsehen hatte mich bereits ab­ge­stumpft und alle Superlative ließen mich kalt. Sie wollten mir alles zeigen, doch ich bemerkte, wie ich erblindete.

      Selbst den Vertrag, den ich unterzeichnete, nachdem der Fahrer weich ange­fahren war und Konrad ihn schwerfällig aus seinem Aktenkoffer hervor geholt hatte, löste keinerlei Empfinden bei mir aus. Die Kamera, die samt Bediener vorne Platz gefunden hatte, hätte genauso gut ausgeschaltet bleiben können. So wenig gab es in meinem Gesicht zu sehen. Das merkte ich dem Kameramann deutlich an und ich fand, es wäre interessanter gewesen, hätte er seine eigene Enttäuschung für die bildüberreizten Zuschauer festgehalten.

      Ich las mir den Vertrag in Ruhe durch, während ich auf der einen Seite ge­quältes Einatmen hörte und auf der anderen spürte, dass ich geröntgt wurde.

      Die bisweilen ulkigen Formulierungen bereiteten mir richtig Freude. Auch die Hin­ter­türen, die sich mir auf Schritt und Tritt zeigten, erheiterten mein Gemüt. Die Gewinnsumme war übertrieben hervor gehoben. So groß gar, dass sie den Zuschau­ern nicht entgehen konnte. Doch die Zeile überflog ich, auch sie hatte für mich keine Bedeutung. Ich wollte weg. Das Wissen aber, dass sie nachher auf mich warten würde, war dann doch ein beruhigendes Gefühl.

      «Möge das Abenteuer beginnen», sagte ich feierlich und schenkte der Kamera dann doch noch etwas Begeisterung.

      Kaum war die Szene im Kasten, als der Mann sein Gerät abschaltete und vorne aus dem Fenster sah. Er kannte mich schon gut genug, um zu wissen, dass meine Sendezeit nun zu Ende war. Und er hatte Recht. Ich war anders, und ich wusste er hätte die ganze Wahrheit jetzt noch nicht ertragen können.

      Die Fahrt zum Flughafen war wie eine Schlafwanderung. Durch die getönten Fen­ster hätte man die Landschaft zwar erkennen können, doch ich ließ sie un­be­­achtet an mir vorbeirauschen. Die Frau hatte den Versuch sich an mich zu dräng­en aufgegeben und sich nun uns gegenüber Platz genommen. Es wirkte fast hypnotisch, wie sie mich schweigend im Auge behielt. Als müsste sie mich erst einmal studieren, mich analysieren, meine Schwächen aufdecken. Dabei verfinsterte sich ihr Blick keineswegs, sondern blieb freundlich und offen.

      Nur der Dicke gefiel mir nicht. Er war genauso stumm, wie auch ich, doch wirkte es bei ihm eher bedrückt. Sein Gemüt wirkte so schwer, wie eine der Ge­sch­ichten, die ich hinter seiner Fassade gelesen hatte. Es aber nun zu spüren, betrübte mich leicht und Mitleid stieg in mir auf. Die Limousine konnte daran nicht das Mindeste ändern. Sie war bedeutungslos, nur eine dieser Fassaden, die die Welt, die Zuschauer so gerne sahen. Doch es war nicht die Wahrheit, denn die konnte man nur im Menschen finden. Und was ich dort sah, machte mir Angst. Ein aufgeblähter Luftballon, und ich sah, wie er nach einem Ventil suchte. Er drohte zu platzen, und gleichzeitig war er irgendwie leer.

      Sein Gesicht war gegen das Fenster gelehnt und er gab vor nach draußen zu schauen, doch seine Pupille – die, die ich sehen konnte – bewegte sich nicht. Seine Gedanken waren weit weg. Ich vermutete, dass seine Augen nichts finden konn­ten, was einen Blick rechtfertigen würde, und sein Geist war auf der Suche danach.

      Deshalb wollte er mit mir spielen, er brauchte es für sich, diesen Beweis, dieses Abenteuer, das er nicht mehr finden, nicht mehr empfinden konnte. Und währ­end wir dahin fuhren, schwor ich mir, dieses Spiel bis zum Ende zu spie­len. Nicht nur um meinet Willen, sondern auch wegen des Millionärs. Es war sein Spiel, auch wenn ich die Regeln dazu nicht einhalten wollte. Genauso wie das Drehbuch der Frau, deren Namen ich peinlicherweise noch immer nicht wusste. Wie stumm sie doch war, wenn keine Kamera auf sie zeigte, beinahe mensch­lich wirkte sie dann. Doch dies konnte nicht von langer Weile sein.

      Und so war es auch. Die Limousine fuhr am Flughafen vor und schon kling­elte es zwischen dem Millionär und mir. Leicht zuckend tauchte der Geist des Dicken wieder neben mir auf und sein Körper griff energielos unter den mitt­leren Sitz, wo er einen, noch altmodisch verkabelten Hörer zum Vorschein brachte. Und ohne, dass Konrad den Anrufer ausreden ließ, war es um die Ruhe geschehen. Wir standen vor einem verschlossenen Gitter. Aufgeregt sprach der Fahrer mit seinem Chef, wollte diesem erklären, was vorgefallen war, doch dieser war nicht länger als Zuhörer zu gewinnen. Den herrenlosen Hörer verstauend, stieg ich aus dem Gefährt. Nun konnte ich meinen Mit­spieler einmal richtig in Aktion sehen. Nicht mehr der schwerfällige dicke Mann, nur noch mächtig und dominant war er. Die Kamera wenige Schritte ent­fernt, die hektische Frau gleich daneben.

      «Was soll das jetzt, macht doch auf», brummte Konrad zwei Wachleute vor dem Gitter an.

      «Tut uns leid, Herr, aber wir dürfen niemanden hier reinlassen», kam ein kräftig gebauter Sicherheitsmann auf ihn zu. Jetzt konnte ich den Millionär rich­tig in Fahrt sehen und fand wieder andere Geschichten aus seinem Gesicht bestät­igt. In der vorigen Nacht hatte mir mein Verstand doch keine Streiche gespielt. Er war die vielen Gedanken wert gewesen, so viele dieser von mir erstell­ten Figuren füllte er aus. Ein wandelndes Kabarett und dazu noch eine Jour­na­listin, die nicht wusste, wie sie sich postieren sollte. Auch sie wollte ihren Senf dazugeben, aber neben dem Millionär verblasste sie. Sie konnte – und dieser Umstand beanspruchte meine Bewunderung – sich nicht in Pose setzen. Die Wach­männer nahmen sie nicht wahr. Nicht einmal ihre eigenen Leute, die nun gierig umherliefen, um die besten Bilder unseres Ausflugs festhalten zu können, schenkten ihr Beachtung.

      Da war mehr als nur ihre ständige Suche nach Sensationen, das konnte man, wenig­stens ich, der sie wahrnahm, deutlich erkennen. Sie sehnte sich nach Aner­kennung, doch die gab es nicht, dafür war sie zu fordernd, zu ungeduldig. Und nun gar, als sie so aufgedreht umher tanzte, wirkte sie zerbrechlich, wie ein Kreisel, der unruhig hin und her sprang aus Angst, dass er dem unaus­weichlichen Ende erliegen würde. Ich wusste, dass es nicht ewig so weiter gehen konnte. Nur noch ein paar Kreise und die Erkenntnis würde sie ereilen, bloß konnte niemand sagen wie viele es noch waren. Sie kämpfte tapfer weiter und mit ihrem feurigen Temperament drehte sie sich selbst auf, als würde es nur dieses eine fragwürdige, trunkene


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