Flucht aus dem Morgengrauen. Marc Lindner

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Flucht aus dem Morgengrauen - Marc Lindner


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Schulter.

      «Warte», sagte der Dicke.

      Das Spiel gefiel mir, und ich wusste, dass die Regeln noch nicht geschrieben waren. Fast gelangweilt drehte ich mich wieder um, ohne die Kamera zu beachten.

      «Du bist dir also sicher?», empfing mich eine weitere Dunstwolke und brachte mich fast zum Husten.

      «Klar, sonst würde ich es nicht sagen», beeindruckte ich den Mann, der sich an­maßte mit seinem Geld alle nach seiner Pfeife tanzen lassen zu können. Die braun­haarige Frau wurde nervös, sie kannte die neuen Regeln noch nicht, sie hielt alles nur für eine Show. Das würde noch ein böses Erwachen geben. Und ich hielt den Eimer mit dem kalten Wasser in Händen.

      «Du bist verrückt», wollte sie mich zur Vernunft bringen.

      Doch ihr bescheidener Versuch zeigte bei mir keinerlei Wirkung. Ich hatte mein Diplom so gut wie in Händen, nun wollte ich reisen. Und die Fahrkarte stand vor mir, nur wusste sie es noch nicht. Dennoch wollte diese mich gefang­en nehmen, mich um die Welt zerren. So geblendet war der Dicke von seiner Macht. Dieser Multimillionär, mein Schaffner. Sollte er sich nur aufblähen, dann hatte ich mehr Wind für meine Segel.

      Und was die Frau anging, so bekam diese nun Angst vor ihren eigenen Worten. Eigentlich müsste es genau nach ihrem Sinn sein. Ein Mann, der seinen Illu­sionen erlegen war und ein Träumer. Es versprach eben jene Spannung, nach der sie suchte. Grundlage für eine ihrer oberflächigen Shows. Vielleicht gefiel ihr nur nicht, dass es nicht nach ihrem Drehbuch verlief. Aber für mich war es mehr, denn diesmal würde ich die Geschichte mitschreiben und nicht nur in den Gesichtern der Anderen lesen. Spannung bis zum Schluss.

      «Selbstverständlich», entgegnete ich ihr und lächelte sie fast schelmisch an «oder habt ihr etwa gedacht ein normaler Mensch würde euer Angebot an­nehmen?» Ein leises Lachen konnte ich mir nicht ganz verwehren. Diese Frau war einfach zu lustig. Dazu dieser Gesichtsausdruck. Sie hatte wohl mit vielem ge­rechnet, aber nicht damit.

      «Aber das war doch nur ein Test», kam sie ins Stottern. Ich zuckte abermals mit den Schultern, doch mehr brauchte ich nicht mehr zu tun, der Dicke hatte an­ge­bis­sen.

      «Sei doch still, das regele ich mit dem Produzenten. Er geht! Und wenn ich mich auf den Kopf stellen muss!» Erregt rötete sich sein Gesicht.

      Journalistin von Beruf, brachte die Frau es nicht fertig ihren Mund geschlos­sen zu halten, doch sagen konnte sie nichts mehr, und so hing ihre Kinnlade beweg­ungs­los nach unten. Damit war das alte Drehbuch Geschichte.

      «Also in zwei Wochen will ich dich in Wanderschuhen sehen», befahl mir der Dicke.

      «Zwei Wochen?», entgegnete ich mit verständnislosem Gesicht.

      «Zwei Wochen, sonst gibt’s Ärger!» Sein Bossgetue war mächtiger als er.

      «Wieso? Brauchen Sie so lange, um mir den Vertrag vorzu­legen?»

      Er war gerade dabei gewesen an seiner Zigarre zu ziehen und verschluckte sich fast. Ihm waren die Spielregeln auch noch nicht bewusst.

      «Bis Morgen dann. 8 Uhr Marktplatz», lächelte ich die Beiden völlig ent­spannt an, drehte mich um und verschwand in der Menge. Nochmals blickte ich mich nicht um, auch wenn ich allzu gern ihre Gesichter gesehen hätte. Doch das Drehbuch verlangte mir diese Dramatik ab. Harter Schnitt. Und das Spiel hatte begonnen.

      – 2 – Nacht des Abschieds

      Eigentlich hatte ich nicht vorgehabt, so früh in meine Wohnung zurück­zu­kehren. Doch diese besondere Situation erforderte es. Nicht, dass ich meine Worte bereute, aber ich hatte doch noch Einiges vorzubereiten. Ich hatte mir mein neues Leben anders vorgestellt, doch ich machte eh nur aus einem Grund Pläne, und zwar aus dem, dass ich sie so gerne verwarf. Ich wollte mir dadurch zeigen, dass ich spontan sein konnte. Normalerweise war ich es nicht, heute hatte ich mich selbst überrascht. Doch ich war bereit für dieses Abenteuer. Es gelang mir den Rest des Tages nicht mehr ein fast krankhaftes Lachen aus mein­em Gesicht los zu werden. Termine hatte ich keine mehr, Verpflichtungen auch nicht. Die Jobangebote oder Ablehnungen lagen noch ungeöffnet auf meinem Schreibtisch. Ich hatte schließlich erst einmal die Klausur bestehen müs­sen. Da sah man, dass ich gerne plante, es war alles vorbereitet gewesen. Doch ich öffnete sie nicht mehr, würde wohl keiner mir eine halbe Million im Jahr zahlen. Und die dachten ich sei verrückt, diese Fernsehleute. Und das Lachen in meinem Gesicht wurde noch breiter.

      Turn- und Wanderschuhe packte ich in einen Rucksack, dazu einige T-Shirts, Hosen und Kopfbedeckungen, dann noch all den Kleinkram, den man so brauchte, und stellte das Ganze dann in die Ecke. Wo die Reise losging wusste ich nicht, also machte ich mir über besondere Kleidung keine Gedanken.

      Wenn es etwas gab, vor dem mir mehr bange war, als um die Welt zu mar­schieren, dann war es der Anruf, den ich noch tätigen musste. Ich beabsichtigte, es nur meinen Eltern zu sagen. Die Zeit drängte und meine Freunde sahen genug fern, um es gewahr zu werden.

      Der Hörer fiel mir fast aus der Hand, so sehr wurde die Hörmuschel über­reizt, von der Datenflut, der sie ausgesetzt wurde. Und es erwies sich als sehr schwier­ig meiner Mutter verständlich zu machen, dass ich freiwillig um die Welt gehen sollte. Aber alles Gerede und Bitten half nichts, mein Entschluss stand fest. Ich wollte reisen und ich würde es auch. Nur noch eine Unterschrift und das neue Leben konnte beginnen.

      Wie in Trance verabschiedete ich mich von meinen Eltern. Ich hatte sie so sehr damit überrollt, dass ich glücklicherweise keine Träne rollen hörte. Wenn es etwas gab, was ich am Reisen nicht mochte, dann waren es Abschiede. Über Tele­fon hatte ich es noch nie gemacht, und stellte nun erfreut fest, dass diese Form durchaus ihre Vorzüge hatte. Es gab nicht diesen, von mir so gefürch­teten, letzten Blick. Kein Umdrehen, keine Ecke, um die man bog. Einfach gerade­aus, und weg. Mein Vater gewann als Erster die Fassung zurück und ver­sprach mir, sich um die Wohnung und alles Weitere zu kümmern, auch das, was ich in der Eile wohl noch vergessen würde. Mit dem Versprechen aus jedem Land eine Postkarte zu schicken verabschiedete ich mich und legte auf. Und dann gab es ihn doch, diesen unangenehmen Augenblick des Abschiedes. Als der Hörer die Halterung berührte, spürte ich es und es war ein elend langer Mom­ent, bis ich das Telefon loslassen konnte.

      Schlimmer gar wurde die nun folgende Nacht. Kein Auge bekam ich zu, unablässig sah ich diesen dicken Mann und neben ihm die fassungslose Frau. Du musst verrückt sein. Ich musste in mein dunkles, nur von der Straßen­be­leuchtung erhelltes Zimmer lachen, während ich auf dem Bett lag. Die Arme hinter meinem Kopf verschränkt lag ich da. Und auf einmal konnte ich sie ver­stehen. Ich war verrückt. Und so glücklich wie noch nie zuvor in meinem Leben. Die letzte Nacht, dann war es da, das neue Leben.

      Es störte mich wie die Menschen mir immer auswichen. Wie ein Fisch, den man aus dem Strom zerrte. Mehr waren sie nicht, nur weiter wollten sie, gerade­aus. Und dann noch diese Werte, in die sie mich zu zwängen versuchten. In viele passte ich schon lange nicht mehr hinein. Andere füllte ich nicht aus. Es reichte mir, jetzt wollte ich weg­. Schnell. Einmal um die Welt, das sollte reichen. Ein­holen konnten sie mich nicht. Und ich sie auch nicht, denn ich lief in die andere Richtung. Ein Fisch auf Abwegen, deshalb interessierten sich die Medien dafür. Die wollten nicht wissen, was falsch lief. Nur wer anders war, zog sie an. Immer auf die zeigen, die anders waren, wie mich das störte. Standgericht. Verteidigen konnte man sich nicht, keiner würde es verstehen.

      Die Nacht selbst war eine Reise, weit kam ich nicht, ich drehte mich immer nur von einer Seite auf die andere. Nur meine Gedanken irrten umher. Viele von ihnen nahm der dicke Mann in Anspruch, und wenn er mal Platz machte, tauchte die Frau auf, mit ihrem erstarrten Gesicht. Und sie machten mir Angst, Angst vor mir selbst. Keiner der mich kannte hätte mir zugetraut eine solche Ent­schei­dung zu fällen, nicht einmal ich. Und noch nie war ich mir bei etwas so sicher gewesen, wie bei diesem Entschluss. Weltreise. Und ich hatte getan als würde ich eine Fahrkarte für den Bus in die Stadt kaufen. Deshalb hatte die Frau mich wohl nicht verstanden. Ich war völlig ruhig geblieben, das war ein­fach nicht ihre Art. Und sie schloss von sich auf Andere. So taten Menschen das. Hatte ich auch gemacht, früher, aber hatte zu oft merken


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