Flucht aus dem Morgengrauen. Marc Lindner

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Flucht aus dem Morgengrauen - Marc Lindner


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Begeisterung anbot, lehnte ich dankend ab. So blieb der große schwarze Kasten hinter dem Cockpit und die kleineren in den Rückenlehnen der Sessel schwarz. Meine Augen waren noch nicht so weit, dass sie dem ständigen Flimmern Folge leisten konnten.

      Obwohl sich Konrad fortwährend neue Unterhaltungs­möglich­keiten einfallen ließ, konnte ich mich zu kaum mehr als einigen wortkargen Gesprächen verleiten lassen.

      Sabrina indes verhielt sich für den Rest des Fluges auf ihre Art recht schweig­sam. Ob sie sich wirklich nur mit ihren Kameraleuten auszusprechen gedachte, oder ihr doch nicht entgangen war, dass ich noch Ruhe bedurfte, wusste ich nicht. Auf jeden Fall hielt sie sich größtenteils im hinteren Teil des Flugzeuges auf. Dort hockte sie umringt von mehreren Laptops mit ihrer Mannschaft, während unablässig Geflüster und unterbrochene Musikfetzen bis zu mir vor­drangen.

      Neben Konrads zahlreichen Schilderungen und Anekdoten waren die Ge­räusch­häppchen das reinste Vergnügen. Ohne, dass ich die Bilder sehen konnte, zu denen sie geschnitten werden sollten, konnte ich es erahnen. Den Schnitt, den ich mir ausmalte, erfüllte meine Befürchtungen erschreckend genau.

      Sie ließen keinen Trumpf aus, den ihnen ihre Ton und Musikbibliothek darbot. Zu langweilig war wohl meine Darstellung gewesen, als dass man allein daraus eine annehmbare Sendung hätte machen können.

      Die Zeit zerrann, ohne dass ich es bemerkte, und nicht einmal von dem Wechsel der Außenkulisse bekam ich etwas mit. Obwohl mein Blick immer noch lange Zeit draußen weilte, fiel mir erst auf, dass wir uns wieder über festen Boden befanden, als sich das Flugzeug bereits im Sinkflug befand.

      Die Landung selbst fand von mir nur wenig Beachtung. Für den Moment genoss ich das unwirkliche Gefühl, das mich überkam, als die Räder den Asphalt berührten und der Rückschub der Turbinen uns kraftvoll abzubremsen begann. Wieder war es die absolute Gleichmäßigkeit in der nun umgekehrt gerich­teten Beschleunigung, die meine Bewunderung verlangte.

      Übertroffen aber wurden diese starken und doch flüchtigen Empfindungen von dem Glück, das mich ergriff, als ich mit zögerlichen Schritten feststellen durfte, dass ich mein Schwindelgefühl über den Wolken zurückgelassen hatte. Mein Körper war wieder bereit mir zu Diensten zu stehen und ließ sich gleich von einer für mich ungewöhnlichen Unruhe anstecken, dass wir, dass ich auf­brechen sollte.

      Vorsichtshalber am Geländer festhaltend betrat ich die Treppe und nicht einmal der heiße, trockene Wind, der mich empfing, konnte mich auf­halten. Schon der erste atemberaubende Luftschwall trug meine Gedanken hinfort, weit in die mir noch unbekannte Wüste hinein. Es Brise zu benennen, hätte zu sehr an Wind erinnert, als dass ich es mit der erdrückenden Hitze in Ver­bind­ung hätte setzen dürfen. Es verwunderte mich keineswegs, denn noch waren zu viele Menschen um mich. Noch hatte meine Reise nicht wirklich begonnen. Erst noch müsste sich meine Begleitung empfehlen.

      Dabei konnte ich es bereits schmecken, dieses sandige, trockene Erlebnis, das mich jenseits der Stadtmauern, die nur im übertragenen Sinne existierten, erwarten würde.

      «Jetzt ist es so weit», empfing mich Sabrina feierlich unten an der Treppe, als würde ich abermals einen jener für die Menschheit so wichtigen Schritte machen.

      Erstaunlicherweise fühlte es sich für mich auch so an, als ich den festen Boden betrat. Das erste Mal in Ägypten, das erste Mal überhaupt in Afrika, konnte man das verstehen. Und doch war ich mir sicher, dass es das nicht war. Es war der erste Schritt um die Welt, hier sollte der Kreis beginnen, in dem ich meine Flucht, mein Rennen zu mir selbst starten sollte. Reisefieber ergriff mich und löste die Trunkenheit fast nahtlos ab.

      «Ja», antwortete ich und blieb bereits nach dem ersten Schritt stehen. Irgendwie von dem Moment ergriffen ließ ich meinen Blick über die eigenartige Kulisse schweifen. Ich hatte noch nicht viele Flughäfen gesehen, in natura eigent­lich nur einen, und doch kam es mir vor, als wäre dieser einfach anders.

      Welche Besonderheit er haben sollte, konnte ich nicht ausmachen. Vielleicht war es einfach das Gefühl, das er mir vermittelte, welches völlig anders war von dem, was mir vertraut war. Dieser Versuch zum Staunen zu bringen fehlte gänzlich. Keine hohen Fensterfronten, nicht einmal viele Gebäude über­wuch­erten mein Blickfeld. Nur eine, grob gesagt, hölzerne Baracke erwartete uns und ein weitläufig gespannter Zaun grenzte den Flughafen von einer unbe­baut­en Fläche ab.

      Dies konnte unmöglich der Hauptflughafen einer Großstadt, oder gar einer Haupt­stadt sein, so viel war selbst mir wenig gereistem Mensch klar.

      Es war mir recht, denn ich wollte mich nicht noch durch eine Menschen­menge drücken. Ich war nicht mehr bereit mich einfach treiben zu lassen. Zu weit war ich gereist, um einen solchen Rückschlag noch verkraften zu können. Noch zu stark hatte ich die Klammer, die die Menschen meinem Körper aufer­legt hatten, in Erinnerung. Ich wusste ich tat ihnen unrecht, aber allein der Gedanke an den Geruch dieser schwimmenden Fische reichte aus, damit es mir übel zu werden drohte. Deshalb floh ich mit meinem Blick jenseits des Gitters in die sandige, trockene Fläche, die mir die neue Welt endlich zu eröffnen ver­sprach. Eine völlig frei von Rennen, von jubelnden Mengen, die mich messen, aber nicht kennen wollten.

      «Konrad, wo steht deine Limousine?», wollte Sabrina ernsthaft wissen und durch­pflügte die Umgebung mit ihren suchenden Blicken.

      Ich sah Konrad völlig entgeistert an. Auf einen solchen Tiefschlag war ich nicht vorbereitet gewesen. Doch zu meiner Erleichterung wirkte selbst Konrad überrascht. Seltsamerweise sah er zu mir herüber, als wollte er meine Meinung dazu wissen. Schulterzuckend gab ich ihm diese gleich kund und sah zu Sabrina, um eine weitere Aktion von ihr abzuwarten.

      «Ich hatte eigentlich gedacht wir würden den Hubschrauber nehmen und gleich in die Wüste fliegen», war es jedoch Konrad, der seine Fassung wieder gewonnen hatte und antwortete.

      Mein Mund klappte ungläubig auf, ohne dass ich einer Regung fähig war. Zu meinem Glück waren sie zu sehr mit sich beschäftigt, um mein erneutes Scheitern in unserem Spiel bemerken zu können. Auf jeden Fall war ich nicht bereit gewesen, solch derbe Schläge einzustecken.

      Beide von ihnen verstanden es wohl sich fortzubewegen, aber von Reisen hatten sie nicht die geringste Ahnung.

      «Er muss doch noch seine Ausrüstung beschaffen», meinte Sabrina, die meinem Rucksack keinerlei Bedeutung anmessen wollte.

      «Aber das könnt ihr mir nachbringen. Etappe für Etappe.» Ich versuchte dem Lärm der Stadt zu entgehen. «Ich kann eh nicht alles was ich für die zwei Jahre brauche mitschleppen.» Noch wollte ich meinen Traum nicht aufgeben und versuchte mit sachlichen Argumenten meine subjektiven Empfindungen zu kaschieren.

      «Der Junge hat recht.» Unbewusst unterstützte mich Konrad in meinem Bemühen zu fliehen.

      «Der Bursche kommt mit, und basta», zeigte Sabrina ihre Zähne und wir gaben klein bei.

      Was Konrad betraf, konnte ich seine Reaktion nicht begreifen. Wo war der Kämpfer, den ich am Flughafen kennengelernt hatte? Wo war die Lawine, die sich von keiner Menschenmenge aufhalten ließ?

      Aber irgendetwas brütete er noch aus, ein flüchtiges Zucken um seine Mund­winkel verriet es mir. Es war sein Spiel und er wusste, was er wollte, sonst wäre er wohl nicht dorthin gekommen, wo er jetzt stand. Und sein Blick zeigte mir, dass er uns nicht als seine Lakaien betrachtete, sondern als seine Widersacher, nicht wirklich ernst zu nehmen, aber doch so stark, dass er sich ein Spielchen mit uns erlauben durfte und uns nicht einfach aus dem Weg brüllte.

      So viele Figuren schenkte mir der dicke Mann, dass ich mit Anfertigen kaum noch hinterher kam. Denn ich musste immer weiter lesen, es gab kein Ende, keine Pausen. Der Roman schrieb sich von selbst, ohne sich zu speichern, es gab die Kapitel nur für den einzelnen Moment, einen Augenblick später waren sie Geschichte. Und ich wollte nicht riskieren, sie zu verlieren.

      Mit einem enttäuschten, aber gefassten Gesichtsausdruck, tat er was er am liebsten tat und konnte – regeln. Er brauchte nicht lange und neben uns stand ein Taxi. Der Fahrer wurde nur kurz instruiert und fuhr uns zur Halle.

      Als ich dann, immer noch geschockt von Sabrinas Forderung, ihr


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