Flucht aus dem Morgengrauen. Marc Lindner

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Flucht aus dem Morgengrauen - Marc Lindner


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hustete ich ihr entgegen, bevor Konrad die Gelegenheit hatte zu antworten. Ich hatte bewusst nur den Singular für meinen Zwischenruf bemüht, weil ich Konrad nicht in den Rücken fallen wollte. Konrad reagierte äußerst verlegen auf meine Äußerung und trat von einem Fuß auf den anderen. Ich spürte, dass er wirklich um mich besorgt war, eine Ehre, die ich mir noch nicht zugeschrieben hätte und Konrad brachte mich ohne sein Wissen dazu, ein weiteres Kapitel in seiner Geschichte aufzu­schlagen. Trunken, wie ich war, verschwammen die Beiden und ich bereute es, mich ihnen nicht hingeben zu können und so wurde die Figur, die ich in meinem schwindeligen Übermut gleich anfertigen wollte, zu einer lücken­haften Skizze, die ich vorerst zur Seite legen musste.

      «Kann ich dir helfen», wirkte der Dicke hilflos und suchte nach einer Aufgabe, die ihm dieses Gefühl nehmen würde.

      «Ein Glas Wasser, bitte», schickte ich ihn stöhnend weg, damit er meinen Anblick nicht länger ertragen musste. Auch wenn es mir schwerfiel, so gönnte mir das Spiel keine Pause. Auch dieser Gedanke verlieh mir die nötige Kraft und brachte mich innerlich zum Lachen, weil mir die Schwäche meines Körpers und dieses dennoch scharfe Wahrnehmen meines Verstandes und das fast unausstehliche Verlangen mich wieder frei bewegen zu können, in grotes­kem Widerspruch zueinanderstanden. Wie ein Besoffener, der darüber lacht, dass er nicht mehr gerade gehen kann, so fühlte ich mich, nur, dass mein Kopf – bis auf dieses Schwindelgefühl – klar denken konnte und mehr mitbekam, als mein Körper ertragen konnte. Mir blieb nichts anderes übrig als tatenlos zuzu­sehen und alles mit mir geschehen zu lassen. Wie ein Fisch der inmitten seines Schwarmes gefangen war, mit dem einzigen Unterschied, dass dieser Schwarm bei mir nun mein regloser Körper war.

      «Du bist ganz blass», sprach Sabrina in dem verzweifelten Bemühen mich wach zu halten. Immer noch ermattet, konnte ich nicht antworten, nur meine Augen versuchte ich offen zu halten, nur fielen sie mir unweigerlich zu.

      Wohl müde von ihrem ständigen hin und her, setzte sich Sabrina zu mir auf die Lehne und fuhr mir besorgt mit der Hand über die Stirn.

      «Er hat Fieber, seine Stirn ist klitschnass und sie glüht», wandte sie sich an Konrad, der in eben diesem Moment antanzte und nicht wusste, wie er mir mein Glas geben sollte. Er stand, wie ich zwischen zwei Lidschlägen erkennen konnte, wie bestellt und nicht abgeholt mit eben diesem Glas in der Hand neben Sabrina.

      «Mir ist kalt», hielt ich Konrad auf Trab und merkte jetzt erst, dass meine Zähne bereits klapperten. Sabrina nahm das Glas aus Konrads regloser Hand, führte es vorsichtig zu meinem Mund und flößte mir behutsam das kühle Wasser in meinen verklebten Mund. Es erfrischte meine brennende Kehle, wenn ich auch nun noch mehr fror, so war ich doch dankbar für jeden Tropfen.

      Mein Körper war mir völlig fremd, eine solche Schwäche war ich nicht von ihm gewohnt. Ich wusste selbst nicht, wie ich reagieren sollte, und entschied mich es herunter zu spielen. Nicht nur für Konrad, sondern vor allem für mich, denn ich hatte genauso viel Angst davor mir eingestehen zu müssen, dass es ernst war. Ich wüsste nicht, wie ich damit umgehen sollte und so überspielte ich das mit der Leichtfertigkeit der Jugend.

      Als Konrad mit einer angenehm weichen Decke zurückkehrte und Sabrina sie mit festem Griff um mich hüllte, wurde mir gleich warm. Während sie noch den kalten Schweiß von meiner Stirn wischte, schlief ich ein. Es war ein lang­sames Einschlafen, nicht so schlagartig wie zuvor, als ich in Ohnmacht gefallen war. Auch Sabrina musste das aufgefallen sein, denn ich spürte keine Schläge gegen meine Wange und sie ließ mich schlafen.

      Als ein traumloser Schlaf mich aus seiner Umarmung entließ, saß Sabrina im Sessel mir gegenüber und ihr Blick war fest auf mich gerichtet. Ein Zucken durch­fuhr meinen Körper. Reichlich Zeit war ihr geblieben mich zu studieren und ich wusste, dass die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen war. Dafür war sie zu sehr Profi. Etwas war in ihrem Blick zu erkennen, etwas was ich zuvor leichtfertig als besorgt abgetan hatte. Nur für den Bruchteil einer Sekunde leuchtete es auf, doch das reichte mir. Es war Angst um mich gewesen, das gestand ich mir ein, sie fürchtete, dass mich das Fieber verzehren würde und deshalb auch die umsorgende Behandlung. Aber nur weil sie es sein wollte, die mir einheizen würde, sie wollte mich zum Auftauen bringen und mir die Sensationen, die Gefühlsausbrüche abringen, nach denen sie sich sehnte, die sie für sich, für ihre Karriere so sehr brauchte. Ich war ihr Versuchsobjekt, nichts weiter als ein Spielball. Wie ein verirrtes Kind musste ich ihr vorkommen und sie wollte mich in ihre Welt zurückführen. Dabei ahnte sie nicht, dass ich von dort kam und nicht zurück wollte. Mein in ihren Augen seltsames Verhalten machte mich für sie nur noch interessanter.

      Ich ließ mir nichts anmerken und lächelte sie an, um ihr verstehen zu geben, dass es mir wieder besser ging. Dabei fühlte ich mich wirklich besser, doch sie war Journalistin und somit verpflichtet, sich selbst zu überzeugen. Und gewis­sen­haft war sie, machten meine Gedanken ihr ein Kompliment.

      Sie flößte mir abermals langsam Wasser ein und fuhr mir, als wäre sie in Gedanken woanders, über die Stirn. Während sie dies tat, spürte ich, dass diese nun trocken war, das Glühen hatte nachgelassen und ich fror nicht mehr.

      Nur mein Körper fühlte sich noch leicht taub an, von all den Anstrengungen, die ich ihm nicht hätte zumuten dürfen. In der geborgenen Wärme der weichen Decke und unter den fürsorglichen Blicken der Frau war ich gerne bereit ihr die Ab­hängig­keit zu bieten, die sie sich von mir wünschte, und genoss es von ihr umsorgt zu werden.

      Doch auch wenn ich sie mit meinen noch schwerfälligen Blicken abtastete, wollte es mir nicht gelingen, schlau aus ihr zu werden. Ihr Gesicht war immer noch makellos bepinselt und die Fragezeichen und die übereilt zusammen­gefassten und zusammengefügten Romanfetzen wollten nicht zusammen­passen. Ich sah sie und doch war es, als würde ich tausend andere sehen, nicht aber sie. Nicht die Frau, die hinter dieser Maske aus Schminke die Fäden zog und mich mit ihrer Mimik einzulullen versuchte.

      «Und wie geht es unserem Patient?», trat Konrad an mich heran und trotz seiner selbstsicheren Haltung konnte ich die Unsicherheit in seiner Stimme her­aus­hören. Er wollte mir genau wie Sabrina etwas vorspielen, doch mit ihren schau­spielerischen Fähigkeiten konnte er bei Weitem nicht mithalten.

      Mit meinem hellsten Lächeln, das ich hervor kramen konnte, betrat ich nun ebenfalls die Bühne, auf der die Beiden bereits standen.

      «Ich glaube es ist besser, wenn wir den Aufbruch noch ein paar Tage ver­schieben», erbat sich Konrad Sabrinas Meinung, da er meiner Vorführung keinen Glauben schenken wollte.

      Gekränkt, da ich nicht richtig spielen konnte, sprang ich gleich auf, um ihm meine neu erlangte Belastbarkeit vorzuführen. Ich wollte nicht mehr warten. Endlich weg wollte ich, das Abenteuer, die Einsamkeit und mein Gral warteten auf mich. Was die Menschheit mit mir anrichtete, hatte ich eben erst wieder an meinem eigenen Körper erleiden müssen. Die machten mich krank, mit all ihren Regeln. Schützen wollten sie mich, behaupteten mich vor Übeln zu bewahren, doch mir wurde schlecht bei ihrem Versuch, der mich doch nur ein­engte. Gefangen war ich in der einen Welt, die sich selbst davon lief, mit all ihren Rennen, der Eile, die mich stolpern ließ. Und nun roch ich die Freiheit und wollte der Welt entfliehen. Nun durfte ich nicht zulassen, dass mich Konrads Fürsorge davon abhalten würde. Es war keine Zeit mehr für Rück­sicht. Ich nahm sie nicht einmal auf mich selbst, denn ich wusste die Welt noch in meinem Rücken, noch war sie zu nah, als dass ich es mir erlauben konnte, stehen zu bleiben. Und damit hatte ich, nun da ich so schnell aufgestanden war, auch meine Probleme. Mein Kopf wollte wieder versagen und meinen Körper un­kontrolliert fallen lassen. Doch ein unerbittlich, gegen mich geführter Kampf hielt mich gerade und ich ging, scheinbar leichten Schrittes auf die nahe Theke zu, schüttete mir einen Orangensaft aus und trank ihn mit sichtbarem Genuss, während ich meine Augen geschlossen hielt und mich krampfhaft mit einer Hand an der Theke festhielt, da ich ansonsten fallen würde. Doch es gelang mir diese Geste so zu verbergen, dass als ich mich wieder zu meinem Sessel begab, sie mich mit erleichterten Gesichtern empfingen.

      Begeistert von meinem Erfolg, schaute ich aus dem Fenster. Soweit das Auge reichte war nichts weiter als eine riesige blaue Fläche zwischen den Wolken zu erkennen. Dennoch ließ ich meinen leicht trunkenen Blick draußen, während ich darauf wartete, dass die Welt sich nicht länger um mich zu drehen schien, sondern sich damit


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