Vom Kriegsende bis nach der Wende - So war es damals. Gottfried Lehmann
Читать онлайн книгу.Vater, Jahrgang 1906 und die Mutter 1907, kamen beide aus einfachen Verhältnissen. Ihre Väter hatten handwerkliche Berufe, die Mütter waren Hausfrauen, wie es damals so üblich war. Meine Eltern hatten zuerst zwei Kinder, mein Bruder wurde 1933 geboren und ich im Jahr 1938. Wir wohnten in den Gebäuden einer ehemaligen Heilanstalt, der damaligen Adelsberger Kinderkolonie. In alten Unterlagen kann man lesen, dass die Heilanstalt damals vorbildlich für ganz Deutschland war. Während die übrigen Anstalten zur Heilung Lungenkranker bestimmt waren, sollte diese Kinderkolonie vorbeugend wirken und die noch nicht an Tuberkulose erkrankten Kinder abhärten. Die Tuberkulose war damals eine schreckliche Volkskrankheit.
Wegen dieser großen Bedeutung eröffnete der sächsische König, Friedrich August der Dritte von Sachsen, im Jahr 1912 diese Einrichtung.
Diese Heilanstalt hatte ein Wirtschaftsgebäude, ein Knabenhaus, ein Mädchenhaus und eine Scheune. Wie bei einem großen vier Seiten Bauerngut standen sich die Gebäude gegenüber und bildeten einen großen Hof.
Im Hof der Kinderkolonie
König Friedrich August von Sachsen in der Kinderkolonie
König Friedrich August von Sachsen in der Kinderkolonie
Etwa im Jahr 1931 gab man diese Kinderkolonie auf und vergab die Räume als Wohnraum für junge Familien. Viele Familien und auch meine Eltern erhielten so eine Wohnung.
Wir wohnten in einer schönen sauberen Naturlandschaft ohne Industrieschornsteine.
Die Gebäude der ehemaligen Kinderkolonie waren unmittelbar neben der Kirche.
Im Umfeld der Kirche war es für die vielen Kinder immer abwechslungsreich und spannend.
Bei Hochzeiten wurden vor dem Brautpaar Blumen gestreut. Beim Läuten der Kirchenglocken, damals noch mit der Hand, durfte ich als kleiner Junge stolz das Zugseil mithalten.
Alles war noch ganz anders wie heute.
Die Luft für die Orgeltöne wurde noch von Personen mit dem Blasebalg getreten und die Besen für Garten und Hof kaufte man bei einem Besenbinder der mit Birkenreisig die Besen gebunden hat. Bei einem alten Mann, der dieses Handwerk ausübte, habe ich oft zugesehen.
Auf jeden zugefrorenen Teich, auch ohne glättende Eismaschine, wurde Schlittschuh gefahren.
Wir guckten durch das Schlüsselloch der Leichenhalle des Friedhofes und bei einer Soldatenbestattung hörte man das Salutschiessen übers Grab. Wir sind auf der Friedhofsmauer herumgeklettert. Auch durfte ich einmal beim Einert Bauer auf dem Kutschbock mit in die Felder fahren. Wir haben von vorbeifahrenden Leiterwagen Heu runter gezogen und uns damit eine Höhle gebaut. Im Winter gab es in unmittelbarer Nähe zu unserer Wohnung ausreichend Hügel zum Rodeln und Skifahren.
Mit 5 Jahren hatte ich schon Skier. Das hatte ich bestimmt einer befreundeten Familie zu verdanken. Sie führten in Adelsberg ein kleines Sportgeschäft und fuhren regelmäßig zum Skifahren nach Oberwiesenthal. Selbst bin ich einmal mit Skiern über einen Brunnendeckel gefahren und kopfüber in den Schnee gefallen. Hinterher habe ich fürchterlich gestunken, scheinbar war unter der dünnen Schneedecke eine gejauchte Wiese.
Nach einem Sturz im Sommer, hatte ich ein großes Loch im Kopf. Blutverschmiert brachte man mich zu meiner erschrockenen Mutter, die zur großen Wäsche im Waschhaus war. Mit einer Pferdekutsche kam ich zur Behandlung in das Krankenhaus an der Zschopauer Straße nach Chemnitz. Die Wunde wurde dort genäht, die Narbe ist heute noch zu sehen.
In Adelsberg hatte ich eine unbeschwerte Kindheit. Unter der Bettdecke meiner Eltern versteckt, konnte ich beobachten, wie Meisen in unser Schlafzimmer flogen und von der dort liegenden Butter naschten. Weil es damals keinen Kühlschrank gab, wurden die Speisen an der kühlsten Stelle in der Wohnung aufbewahrt. Für die Mutter durfte ich schon sehr zeitig mit einem Krug Milch holen. Für diese erste selbständige verantwortungsvolle Aufgabe war ich sehr stolz. Das war damals völlig ungefährlich, es gab ja nur ganz wenige Autos auf der Straße. Erinnern kann ich mich auch noch, als die Kirchenglocken mit schrägen Seilen vom Kirchturm geholt wurden. Diese Bronzeglocken werden für Waffen eingeschmolzen, sagte die Mutter.
Wir waren oft in der Kirche, meine Eltern sangen beide im Kirchenchor.
Die Weihnachtsmusik hat mir dort immer sehr gefallen und mich stark beeindruckt.
Zur Christmette spielte mein Bruder zusammen mit einem 13 bis 14 jährigen anderen Geiger in der Kirche. Mein Bruder hatte damals schon ab dem 5. Lebensjahr Geigenunterricht bekommen und studierte später am Konservatorium Musik. Bei den vorherigen Proben war ich einmal dabei und musste beim Musizieren heulen und keiner wusste warum. Ich glaube heute, dass mich damals die gespielte Musik, wie jetzt auch immer noch, sehr ergriffen hat. Die Melodie habe ich heute noch im Ohr!
Der andere Geiger lernte später an einer Heeresmusikschule Trompete und wurde der berühmte Trompeter Horst Fischer, „Hackl“ Fischer genannt.
Horst Fischer gehörte viele Jahre später zu den besten deutschen Trompetern. Er erhielt im Jahr 1959 im Westen Deutschlands die „Goldene Trompete“ für über eine Million verkaufter Schallplatten. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof im Chemnitzer Stadtteil Adelsberg.
Der Grabstein wurde erst jetzt mit einer goldenen Trompete geschmückt.
In Adelsberg bin ich ein 3/4 Jahr in die Schule gegangen. Beim Schulanfang, im September 1944, war ich noch nicht einmal 6 Jahre alt. Im ersten Schuljahr begann der Unterricht mit dem Heil Hitler Gruß. Wir standen neben der Schulbank und hielten den rechten Arm schräg nach oben. An einem Tage war Adelsberg voller Hakenkreuzfahnen, man sagte mir, Adolf Hitler hat Geburtstag.
Es war der 2. Weltkrieg, die ersten Bombentrichter gab es auf einem Feld, regelmäßig hintereinander auf einer Wiese, in der Nähe des Adelsbergturmes. Die Leute sagten, der Flieger hat seine Bomben abwerfen müssen. Viele Jahre später hörte ich, dass es bei technischen Problemen am Flugzeug so üblich war, die Bombenlast schnell los zu werden. Wir Kinder haben aus diesen Bombentrichtern faustgroße scharfkantige Eisensplitter gesammelt.
Die waren dann in einer Kiste unter dem Sofa untergebracht.
Warum Mutter das mir erlaubte, ist mir heute noch ein Rätsel.
Rekrutierung von zukünftigen Soldaten für den Krieg
Unser Vater wurde zur militärischen Ausbildung nach Zeitz in Sachsen-Anhalt eingezogen. Dort haben wir ihn einmal besucht. Ich war vier oder fünf Jahre alt und durfte dort einmal auf einer drehbaren Fliegerabwehrkanone, wie auf einem Karussell sitzen, später wurde er zum Kriegsdienst an die Front nach Russland abkommandiert.
Mutter schickte unregelmäßig Päckchen zum Vater an die Front. Erinnern kann ich mich an Plätzchen mit Schokolade, die mir aber auch selbst sehr gut schmeckten. Die wurden auf Fettpapier im Ofen kurz gebacken. Da es scheinbar keine Kokosflocken gab, wurden die mit Schokolade und Haferflocken hergestellt. Bei den Soldaten an der Front hießen sie, wegen ihrer rauen Oberfläche und zerrissenen Aussehen, Granatsplitter.
Vom Vater erhielten wir selbst gemalte Bilder mit liebevollen Texten auf weißer Birkenrinde und kleine gebastelte Holzflugzeuge zugeschickt. Außerdem auch die so genannte Fliegerschokolade, Scho-Ka-Kola in runden Blechdosen. Wegen dem Koffeingehalt bekamen wir Kinder immer nur kleine Stückchen.
Immer nach einem Fronturlaub war der Abschied eine Tragödie mit vielen Tränen. Die Ehepaare wussten nicht, ob sie sich gesund und lebend wieder sehen werden. Da die Post auch manchmal verloren ging und lange Zeit keine Post ankam, entstanden für die Frauen mit ihren Kindern jedes Mal die sorgenvolle Frage,