Vom Kriegsende bis nach der Wende - So war es damals. Gottfried Lehmann
Читать онлайн книгу.bei Jungen und Mädchen, auch im kalten Winter.
Mit zwei Schulkameraden aus der Nachbarschaft ging ich täglich von der Schule nach Hause. Beide hatten einen üblichen Ranzen auf dem Rücken und ich besaß nur eine Aktentasche für die Schulbücher. Mein Ranzen war ja in Adelsberg mit verbrannt.
Als wir auf dem Heimweg über den Dorfbach gesprungen sind, flog meine Tasche mit allen Schulbüchern ins Wasser.
Die Schreibhefte, damals mit Tinte beschrieben, waren völlig verwischt und verschmiert. Der Heimweg war für mich sehr beängstigend und unangenehm. Von der Mutter gab es zu Hause aber keine schlimmen Vorwürfe.
Das Haus, in dem wir wohnten, gehörte dem Onkel Paul und der Tante Elly. Onkel Paul war ein überzeugter fanatischer Nazi gewesen. Meine Mutter fand auf dem Dachboden noch eine Hakenkreuzfahne. Die war außergewöhnlich groß und sie hing früher am Hausgiebel von oben bis ganz runter. Die Fahne, deren Besitz auch noch sehr gefährlich war, hat dann unsere Mutter in ihrer Notlage verwertet. Aus dem roten Teil der Fahne entstand ein Rock, aus dem weißen Kreis eine Bluse und vom schwarzen Hakenkreuz die Verzierungen am Kleid und an der Bluse. Heute würde jedes Museum dieses Kleid als eine Besonderheit ausstellen.
Die Winter 1946/ 47 waren sehr kalt. An den schrägen Wänden der beiden Schlafzimmer im oberen Stockwerk glitzerten die Eiskristalle. Weil es aber nur eine Wärmflasche für 7 Personen gab, bekamen wir Kinder manchmal einen eingewickelten Ziegelstein ins Bett gelegt. Dieser Ziegelstein wurde vorher in der Backröhre des Küchenherdes heiß gemacht.
Es gab keine Brennstoffe fürs Kochen und zum Heizen. Den Markersdorfer Hochwald haben die Menschen illegal und vollständig abgeholzt, auch die großen Wurzeln wurden mühsam mit entfernt. Im Ort gab es eine kleine Benzinfabrik, das heutige Mineralölwerk. Ein Abfallprodukt, damals Benzinschlamm genannt, konnte man mit dem Handwagen dort kostenlos holen. Mit etwas Geschick, in Verbindung mit Holz oder den so genannten Presslingen, Braunkohlendreck in Ziegelform gepresst, wurde der Küchenherd geheizt. Wenn man nicht aufpasste, lief brennender flüssiger Teerbrei aus der Ofentür heraus. Es entstand danach auch viel Schlackeabfall und der Ofen sah fürchterlich aus.
Spielzeug hatte ich in Klaffenbach gar keins, das Einzige woran ich mich erinnern kann, war eine Fahrradfelge vom Schuttplatz. Mit einem Ast durch die Nabe, wurde dann dieses Rad mit einem Stock rennend geführt. Solches Spielzeug habe ich in der jetzigen Zeit nur bei armen Kindern in Afrika im Fernsehen gesehen. Hupfkästl spielen war bei den Kindern aktuell, es wurde die vielen Kästchen zum springen in den Straßensand geritzt. Wer als Kind von seinen Eltern Glasmurmeln aus der Vorkriegszeit hatte, besaß ein schon beneidenswertes kleines Vermögen, man zielte die Murmeln, mit anderen Kindern zusammen, in ein kleines Erdloch. Niemand hatte damals einen Ball zum Spielen, auch später als Jugendlicher hatte ich nie einen richtigen Fußball besessen.
Für uns Kinder gab es nur wenige Abwechslung:
Im Winter wurden die Straßen mit einem Holzschneepflug und einem Pferdegespann davor gezogen und beräumt. Den Schneepflug konnte man in der Breite verändern und je nach Schneehöhe zogen dann 4 oder 6 Pferde. Auf dem großen Podest sind oft viele Kinder mitgefahren und hatten ihren Spaß.
Man sagte damals die Ausarbeitung in der Winterpause ist gut für die Pferde.
Mit den beiden Schulkameraden aus der Nachbarschaft war ich oft am Schwemmteich, neben dem jetzigen Wasserschloss, dort spielten und tobten wir herum. In einem kleinen Wiesenbach, der in den Fluss Würschnitz fließt, haben wir soviel kleine Weißfische, Bartfetzen und Krebse mit der Hand gefangen, wie man sich das heute nicht mehr vorstellen kann. Sie wurden mit einem Eimer nach Hause geschafft, am nächsten Tag waren alle tot und es gab Ärger, weil es fürchterlich gestunken hat. Es gab damals auch noch viele Feldhasen, sie zeigten während der Paarungszeit ihre eindrucksvollen Kampfkunststücke.
Wir hatten Hunger
Das größte Problem war der Hunger, wir Kinder, aber auch die Mütter waren nie satt. Wenn man von Helden spricht, sollte man nicht die Leistungen der Mütter während des Krieges und nach dem Krieg nicht vergessen. Sie waren mit ihren Sorgen und Kindern allein und unsere Mutter gehörte dazu. Was gebe ich meinen Kindern in den nächsten Tagen zu essen, war ihre größte Sorge. Man müsste eigentlich den Kriegs- Müttern auch mal ein Denkmal setzen.
Natürlich gab es große Unterschiede bei der Verpflegung der Menschen. Kein Bauernkind musste hungern und keiner konnte damals eine gerechte Verteilung bewirken.
Unsere Schwester Elfriede, im Februar 1945 geboren, wurde ein ganzes Jahr gestillt. Weil es später da zeitweise nur Mehlbrei für das Kind gab, hat ein Arzt in der Winterzeit unserer Mutter den Rat gegeben, geringe Mengen geriebene rohe Kartoffeln in den Mehlbrei zu mischen. Die darin vorhandenen Nährstoffe sollten den Kind zu gute kommen.
Um überleben zu können, mussten wir alle auf den nah liegenden Feldern Ähren lesen und Kartoffel stoppeln. Das heißt, die abgeernteten Felder wurden nochmals von der Bevölkerung nach Getreideähren und Kartoffeln durchsucht. Wegen der großen Lebensmittelknappheit fuhren die Bauern aber mehrmals mit einem, vom Pferd gezogenen Reschen über die Äcker, um so wenig wie möglich Verluste für sich selbst zu haben. Es blieb also nicht mehr viel übrig. Trotzdem warteten hunderte Menschen am Feldrand, bis das Feld vom Bauer “freigegeben“ wurde. Die losen Ähren kamen in eine Klammerschürze und die noch mit Halm hielt man wie einen Strauß in der Hand. Über die Felder, mit den harten Strohstoppeln, wurde nur barfuss gelaufen, auch bis zu den ersten Bodenfrost, es gab ja keine Schuhe.
Wir Kinder hatten uns daran gewöhnt und sehr dicke Hornhaut an den Fußsohlen bekommen. Die Ähren kamen in einen Sack, wurden getrocknet und später gedroschen, bis die Körner heraus fielen. Beim Roggenkorn musste man darauf achten, dass man das giftige Mutterkorn aussortieren musste und nicht mit verwenden darf. Die Körner haben wir dann, bei leichtem Wind, schüttend zwischen zwei Schüsseln, spelzenfrei geblasen. In einer kleinen Schrotmühle wurde das Getreide danach grob gemahlen und irgendwie in der Küche verwertet. Als Kinder haben wir gern Weizenähren ausgepult, die Körner gekaut ohne sie hinterzuschlucken, und das mehrmals hintereinander. Danach entstand ein zäher Brei, das war unser selbst gemachter Kaugummi. In der Landwirtschaft war damals alles noch ganz einfach, die heutigen Mähdrescher gab es noch gar nicht. Gemähtes Getreide wurde mit Stroh zu Garben zusammen gebunden. Diese Garben hat man dann zu Puppen auf den Feldern zusammengestellt. Die Puppenfelder sahen besonders aus der Ferne, wunderschön aus. Auf den Feldern standen damals auch Vogelscheuchen um bestimmte Saaten und reifes Getreide vor Vogelfraß zu schützen. Es waren angezogene mannsgroße Puppen mit Hut und ausgebreiteten Armen und es gab noch viele blaue Kornblumen und roten Mohn zwischen den Getreidehalmen, die man am Feldrand bewundern konnte. Erst nach entsprechender Trockenzeit und den richtigen Wetter wurden die Getreidepuppen zum Körnerausdreschen, mit einem Pferdegespann und den hölzernen Erntewagen in die Scheune gefahren. Erst später, nach der Erntezeit, wurde mit einer Riemenscheibe am Traktor und einen langen Flachriemen die Dreschmaschine angetrieben. In dieser Zeit bekamen die Hühner nichts zu fressen, im Umfeld der Dreschmaschine lagen genug Körner zum aufpicken als Nahrung, das wusste der Bauer.
Die Bauern waren in dieser Zeit sehr unbeliebt, man hatte das Gefühl, die Notlage der Menschen wird ausgenutzt. Die hungernde Bevölkerung musste beim Betteln ihre Wertgegenstände gegen Lebensmittel tauschen. Züge der Bahn in ländliche Richtungen waren voll mit Rucksackfahrgästen zur Lebensmittelbeschaffung, man nannte das Hamstern fahren.
Onkel Paul kam aus der Gefangenschaft relativ schnell zurück. Als ortsbekannter Nazi wurde er sofort von den Russen geholt. So nannte man damals die begründete oder unbegründete Verhaftung von der Besatzungsmacht oder irgendeiner Hilfspolizei. Die Verwanden wurden nicht unterrichtet was mit den Menschen geschah. Das konnte eine kurze Zeit sein oder auch eine jahrelange Verschleppung zur Zwangsarbeit nach Russland bedeuten.
Aus dem Ort der Verhaftung konnte er nach den Westen Deutschlands fliehen. Es war nachts, als er vorher nochmals nach Hause kam. Alles war geheimnisvoll und die Nachbarschaft durfte es nicht erfahren und wir Kinder hatten absolutes Sprechverbot. Später bekam Tante Elly von Ihrem Mann aus dem Westen regelmäßig Päckchen mit harten Brotresten geschickt, manche aber auch verschimmelt.