Vom Kriegsende bis nach der Wende - So war es damals. Gottfried Lehmann
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Es gab damals Bezugsscheine für Bombengeschädigte,
der Bedarf der Geschädigten wurde nie erfüllt.
Gedenkstein Bombenopfer auf dem Adelsberger Friedhof errichtet erst 2004
Die letzten Kriegstage
Die Schwester meiner Mutter, Tante Elly, hatte in Klaffenbach auf der Adorfer Straße ein kleines Siedlungshaus mit einem 1000 qm großen Gartengrundstück. Mit Hilfe einer Hebamme gebar dort unsere Mutter, nur 9 Tage nach der Bombardierung, ihr drittes Kind, ein Mädchen.
Unsere Schwester hatte zum Glück noch etwas gewartet und kam nach den vielen belasteten Ereignissen der Mutter gesund zur Welt. Ihr erstes Bettchen waren ein Wäschekorb und die Matratze ein Sack mit Stroh gestopft. Die Tante Elly hatte zwei Kinder, den Armin 1932 und die Sieglinde im Jahr 1937 geboren. Wir lebten dann in Klaffenbach bis Ende 1949, die zwei Frauen mit insgesamt 5 Kindern, in diesem kleinen Siedlungshaus.
Unser Vater und Onkel Paul, der Mann der Tante Elly, waren in der Kriegsgefangenschaft.
Der Krieg war noch nicht aus. Wegen der bedrohenden Tieffliegergefahr wurden wir Kinder instruiert, wenn es in der Luft brummt, uns in den Straßengraben zu werfen. Die Tiefflieger haben damals auf alle, auch auf einzelne Personen und Kinder, geschossen. Weil in dem Haus nur ein winziger Keller vorhanden war, mussten wir Kinder uns bei Fliegeralarm an den Hausschornstein drücken. Man sagte damals, der Schornstein bei so einem kleinen Haus steht am stabilsten und gibt etwas Schutz bei einem Gebäudeeinsturz durch Bomben.
Wir sahen von unserer Höhenlage aus, wie der kleine Nachbarort Neukirchen beschossen wurde. Die Geschosse oder Granaten schlugen in die Häuser ein. Wir hörten einen dumpfen Knall und eine mächtige Rauchwolke war von weitem zu sehen. Man sagte damals, weil die Nazis dort noch Widerstand leisten, schießen die Amerikaner von der Autobahn aus nach dem Ort.
An einem Morgen lag ein verirrter Granatsplitter vor unserer Waschhaustür.
Die Holztür hatte eine Schramme bekommen und wir hatten natürlich immer Angst.
An der Grenze zwischen den Dörfern Harthau und Klaffenbach, im Ortsteil Schneckengrün, hatten fanatische Nazis eine Panzersperre gebaut, um den Feind aufzuhalten.
Es war ein Leiterwagen von einem Bauer, der mit großen Steinen beladen wurde.
Diese Aktion war lächerlich, weil es schon damals kein Hindernis für einen Panzer war.
Es zeigte aber den Alliierten Soldaten, hier gibt es noch Widerstand.
Eines Tages hatten alle Häuser weiße Fahnen am Fenster. Es war das Zeichen der Kapitulation. Meist waren es Kopfkissenbezüge, die als Fahnen verwendet wurden. Wie wir ohne Radio die Information bekamen, habe ich nie erfahren, auch hatten wir plötzlich keine Angst mehr. Als am 1.Mai 1945 bekannt wurde dass Hitler tot ist, war die Schwester unserer Mutter völlig fassungslos und soll auch geheult haben. Unsere Mutter war darüber sehr aufgebracht und hat sie erzürnt zu Recht gewiesen. Das Hitler am Krieg schuld war, dass hatte sie schon viel eher als ihre Schwester erkannt.
Der Krieg war aus, erst kamen die Amerikaner und dann die Russen. Die Amis fuhren mit Jeeps durch Klaffenbach und sie haben Bonbons für die Kinder auf die Straße geworfen. Viele Frauen schrieen hysterisch nicht aufheben, die sind alle vergiftet. Die Russen, die dann später kamen, hatten ihr Quartier im Rittergut, dem heutigen Wasserschloß. Man sagte, sie machen dort ihren Schnaps aus Kartoffeln gemacht. Auf dem Feldweg, neben unserem Garten, kamen sie manchmal mit ihren kleinen Pferden durchgeritten, keiner sollte sich am Fenster sehen lassen, vor allem die Frauen hatten große Angst.
Eines Tages hielt ein Russen Jeep vor unserem Haus. Zwei hohe Offiziere mit einer Dolmetscherin verlangten von unserer Mutter einen Bund junge Lauchzwiebeln aus dem Garten. Ein Offizier bezahlte ihr 50 Mark, die Dolmetscherin nahm das Geld meiner Mutter wieder weg und gab dafür 20 Mark. Auch das war völlig überbezahlt.
Das Geld spielte damals gar keine so große Rolle, man konnte ja sowieso nichts dafür kaufen.
Durch Klaffenbach zogen viele vertriebene Flüchtlinge aus den Ostgebieten. Sie wurden zeitweise im Tanzlokal Kristallpalast untergebracht. Wegen der Hygiene wurden dort die provisorischen Außentoiletten mit Chlorkalk desinfiziert, den Gestank habe ich heute noch in der Nase. Eine Flüchtlingsfamilie aus den Ostgebieten kam mit dem Handwagen auf unserer Straße gefahren, die wollen nach Köln zu ihren Verwandten, sagte kopfschüttelnd die Mutter.
Dumme und fanatische Jugendliche grüßten sich damals noch mit dem Wort 88. Das H ist der achte Buchstabe im Alphabet, es sollte verdeckt und heimlich Heil Hitler heißen. Es war der verbotene Nazigruß, viele wurden verhaftet, erzählte uns später die Mutter.
Mit dem aus der Not entstanden Umzug in das Siedlungshaus der Tante, hatten vergleichsweise geordnete Verhältnisse. Wir konnten alles das mit nutzen was in dem Haushalt der Tante vorhanden war. Windeln meiner Schwester wurden aus Bettwäsche hergestellt.
Näh- und Stopfgarn, Stoffreste Waschmittel Seife, Wasser zum Wäschewaschen und zur Körßerpflege, Papier für die Toilette und Produkte des täglichen Bedarf standen unserer Mutter mit zur Verfügung. Man konnte kurz nach dem Krieg eigentlich gar nichts mehr kaufen.
Welche Probleme die Ostflüchtlinge hatten, kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Was hat eine Mutter auf der Flucht gemacht wenn die Socken Ihres Kindes schmutzig sind, oder der Strumpf ein Loch hat oder wenn die Füße schmutzig waren, oder wenn die Schuhe kaputt gingen? - diese Sorgen sind heute unvorstellbar.
Viele Jahre später, nach dem Tod der Eltern fanden wir Kinder in der Kammer gebündelte und geordnete kleinste Stofffetzen, Leinen, Baumwolle usw. von der Mutter die sie aufgehoben hatte. Diese strenge Sparsamkeit konnte sich diese Kriegsgeneration nicht mehr abgewöhnen.
Es war eine schwere Zeit
In Klaffenbach bin ich 4 Jahre, bis 1949 in die Schule gegangen.
Die ehemaligen Lehrer wurden alle wegen ihrer Nazi Vergangenheit entlassen und durch unerfahrene und unausgebildete Neulehrer ersetzt. Auch gab es damals kein richtiges Lehrmaterial. Die Klassenzimmer waren im Winter kalt und der Unterricht fiel sehr oft wegen fehlender Brennstoffe aus.
Diesen schlechten Unterricht in den ersten Schuljahren habe ich lebenslang negativ gespürt. Später habe ich immer meine Kinder beneidet, die sehr gute Bildungsmöglichkeiten hatten.
Weil es keine Schuhe gab, gingen wir im Sommer immer barfuss in die Schule, bis der erste Frost kam. Die Holzfußböden in der Schule waren geölt, die Füße waren nach der Schule immer schwarz. Es gab keine neuen Schuhe, natürlich auch kein Material, um Schuhe zu reparieren. In unserem Dorf hatte ein Mann die Idee, dass Oberleder von alten hohen Schuhen auf eine ca. 25-30 mm dicke Holzformsohle zu nageln.
Der Preis dafür war 20 Mark und ein Brot. Der Nachbarjunge, mein Schulkamerad Bernd, hatte welche. Wir hatten kein Geld und auch kein Brot dafür. Gern hätte ich auch so schöne laute Klapperschuhe gehabt. Die ersten Kunststoffschuhe die es wieder gab kann ich mich erinnern, es waren gelbbraune Igelitsandalen mit einem Weichmacher, der bei Wunden am Fuß giftig sein sollte.
Durch die Zerstörung der Wirtschaft im Krieg war alles Mangelware geworden. Man war und musste extrem sparsam sein. Socken stopfen, Teile von alter Kleidung wurden als Aufwaschlappen und Putztücher genutzt, als Klopapier wurden alte Zeitungen und Bücherseiten verwendet. In vielen Fällen nutzte man alles das, was man noch vor dem Krieg besaß. Besonders schwer war es für die Menschen, die alles durch Bomben verloren hatten.
Lange Hosen für Jungs gab es nicht es wurden Strümpfe getragen. Sehr unangenehm in Erinnerung sind mir die kratzigen Strümpfe mit Leibchen und Strumpfhalter. Ich war da sehr empfindlich und immer wenn durch Körperschweiß und Schmutz das Kratzen verträglich war, wurden die Strümpfe von der Mutter