Kalter Krieg im Spiegel. Peter Schmidt

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Kalter Krieg im Spiegel - Peter Schmidt


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unverdächtig wirken zu lassen. Die Strategie des »unschuldigen Opfers, des Dissidenten, den man in den Westen abschob«, bedurfte einer langen Vorbereitungszeit.

      Ich nahm an, dass man schon zu seiner Zeit als Kriminologe damit begonnen hatte, Kofler aufzubauen.

      Womöglich hatte er nie etwas anderes getan, als für das MfS und den KGB zu arbeiten, und seine Tätigkeit an der Universität war nur vorgeschützt. Universitätsdozenten können ihre Seminare und Vorlesungen mit etwas Geschick auf ein, zwei Tage in der Woche legen – so bleibt genügend Zeit für andere Aktivitäten.

      Am Dienstag und Mittwoch – den in Frage kommenden Tagen – waren nur zwei Leute an den Grenzübergängen in Empfang genommen worden: Kofler und ein Briefträger aus der Gegend um Halle, der mit Frau und Kindern zu Verwandten nach Osnabrück ziehen würde. Der zweite Mann war zwar so unverdächtig, dass er schon fast wieder verdächtig wirkte; aber nur Kofler erfüllte die Voraussetzungen. Bisher waren alle Informationen, die uns der wiedergegründete »Leipziger Ring« hauptsächlich über den L.D.A. zuspielte, zuverlässig gewesen.

      Seine Voraussage war eindeutig: Man arbeitete daran, die politische Landschaft im Westen durch eine fähige Persönlichkeit zu verändern, und es war nicht einzusehen, wer außer Kofler dafür in Frage kam.

      Selbst wenn man sich die Lebensgeschichte des Briefträgers genauer ansah – es war zweifelhaft, ob er das Wort Ideologie überhaupt fehlerfrei buchstabieren konnte. Er schien ein völlig unbeschriebenes Blatt zu sein.

      Seine Frau war eine breitgesichtige, hässliche Person, die Parolen gegen den Militarismus an Ostberliner Hauswände geschmiert hatte – eine entlassene Lehrerin. Doch das qualifizierte sie noch nicht für eine solche Rolle. Nach der Verbüßung einer Haftstrafe hatte sie sich ganz der Erziehung ihrer Kinder gewidmet. Die Ausreise Amrouches (so hieß ihr Mann, anscheinend besaß er französische Vorfahren) war genehmigt worden, weil er dem Staat wegen eines Arbeitsunfalls auf der Tasche lag. Ein Lastwagen hatte sein Bein, als er noch Briefträger war, so übel zugerichtet, dass er sich nur noch recht und schlecht mit dem Stock bewegen konnte (wir besaßen Kopien der Röntgenbilder).

      Um jeden Zweifel hinsichtlich Amrouches Rolle auszuräumen, war von F. mit rotem Kugelschreiber ein Vermerk an das maschinengeschriebene Blatt angefügt:

       Termin arrangiert, an dem Sie Amrouche persönlich in Osnabrück in Augenschein nehmen können.

      Ich wusste, dass es einer dieser Vor-Ort-Termine war, die er weniger aus Überzeugung oder Vorsicht arrangierte als aus dem Gefühl heraus, meine Zweifel auszuräumen und mir Gelegenheit für eine kontrollierte Ausflugsfahrt zu geben, damit mir nicht die Decke auf den Kopf fiel. Genau die Art von Urlaub, die er seinen Leuten zugestand. Er plante zwei weitere Termine in Frankfurt und Bochum. Dort wollte er mich mit Gruppen bekannt machen, die Koflers Lehre propagierten.

      Ich drehte das Blatt um und las die Rückseite. Es waren Daten über Koflers angeblichen Lebensweg, über seine beiden Tochter – die eine war achtzehn, die andere neunzehn –, hübsche Backfische, was selbst noch auf der blassgrauen Fotokopie ihrer Aufnahme herauskam. Das Bild schien bei einem Volksfest aufgenommen worden zu sein, im Hintergrund war etwas verschwommen ein Karussell zu erkennen. Sie standen untergehakt da und lächelten in die Kamera. Ihre Kleidung war modisch und auf dem neuesten Stand – mit der Mode waren sie jetzt drüben so weit, dass sie sich kaum noch von der im Westen unterschied.

      Ich löschte das Licht, blieb angezogen auf dem Bett liegen und sah zur Decke. Der fensterlose Raum war bedrückend. Die dicken Mauern ließen kaum einen Laut durch. Durch den Türspalt fiel ein winziger Streifen Licht.

      Nach einer Weile hörte ich den Fahrstuhl. Er hielt in der Etage, und als ich ein paar Minuten später die Tür zu Kruschinskys Arbeitsraum öffnete, sah ich einen kahlköpfigen kleinen Mann mit einer schwarzen Monteurtasche vor dem L.D.A; knien.

      Er wischte sich die Glatze mit dem schmutzigen Lappen ab, in den das Werkzeug eingewickelt gewesen war. Als er sich zu mir umwandte, nickte er zuversichtlich.

      Ich erwiderte sein Kopfnicken, schloss die Tür und legte mich angezogen aufs Bett zurück.

      Als ich erwachte, fühlte ich mich zerschlagen und müde wie am Abend vorher (wie immer, wenn ich angezogen einschlief). Merkwürdigerweise war das erste, was mir an diesem Morgen einfiel, dass Kofler mir noch keinen Grund für das Linkshänderfoto genannt hatte. Dann erst dachte ich daran, dass ich abends ein Rendezvous in Kladow haben würde. Auf dem Wege dorthin würde ich F. von dem Mann berichten, der mich in der Hauseinfahrt nach Mahler gefragt hatte.

      Ich sah auf die Uhr: Viertel vor neun. Zeit für‘s Frühstück.

      Kruschinsky schnarchte mit halbgeöffnetem Mund im Liegestuhl neben dem L.D.A. An der Wand vor dem Fahrstuhl gab es auch ein Klappbett, doch der Liegestuhl bekam ihm anscheinend besser. Seine Brille war heruntergefallen; ich hob sie auf und legte sie neben ihn auf den Tisch. Kofler schien ebenfalls noch zu schlafen. Ich horchte kurz an seiner Tür – drinnen war es still –‚ dann fuhr ich hinunter, um Brötchen zu kaufen.

      Es war nebelig draußen, man sah kaum bis zur anderen Straßenseite. Einer dieser Herbstfrühnebel, nach denen es schönes Sonnenwetter gibt. Die Bäckerei lag um die Ecke. Auf der gegenüberliegenden Seite sah ich plötzlich einen Mann, der sich aus dem Mauerschatten löste, als er mich entdeckte. Er besaß ungefähr die Statur und den Gang des Kerls, der mich nach Mahler gefragt hatte.

      Er kam eilig an den Bordstein. Doch bevor er die Straße überqueren konnte, fuhren zwei Linienbusse und ein Schwertransporters vorbei und versperrten ihm den Weg.

      Mir war, als habe das Donnern der Fahrzeuge auch sein Rufen verschluckt …

      Ich beeilte mich, aus seinem Gesichtsfeld zu verschwinden, ging in einen Hausflur und zur Hofseite wieder hinaus, von der ich wusste, dass dort ein Kinderspielplatz mit einem schmalen Grünweg lag, der in die Straße zur Bäckerei führte. Ich war schon überzeugt, ihn abgehängt zu haben, doch als ich den Bäckerladen betrat, sah ich ihn durch die Schaufensterscheibe auf der gegenüberliegenden Straßenseite herankommen. Etwa in der Mitte des Weges blieb er stehen und blickte sich um – erst in Richtung der beiden Kreuzungen, dann an den Häusern hinauf.

      Ich zahlte die Brötchen, eine Schachtel französischen Streichkäse und ein Glas Marmelade und fragte:

      »Kann ich ausnahmsweise bei Ihnen telefonieren?«

      Die Frau hinter der Theke musterte mich abweisend.

      »Wenn Sie zwei Häuser weitergehen – da ist ein öffentlicher Fernsprecher.«

      »Ich weiß, aber es ist dringend.«

      Sie zuckte die Achseln – »Bitte ….«, und zeigte durch die offenstehende Tür in das Zimmer, das an den Verkaufsraum grenzte. Als ich wählte, kam sie herein und blickte mir über die Schulter, um zu sehen, ob ich eine Vorwahl benutzte, nahm ich an. Wegen des höheren Preises.

      »Nur ein Stadtgespräch …«, sagte ich.

      Gleich darauf meldete sich eine Männerstimme.

      »Hören Sie genau zu: An der Luckauerstraße hat mir ein Kerl aufgelauert. Schon gestern. Und heute wieder.«

      »Wo sind Sie?«, fragte F.

      Ich wartete, bis die Bäckersfrau hinter die Theke zurückgekehrt war.

      »Prinzessinnenstraße, in der Bäckerei. Ich rufe aus dem Hinterzimmer an. Er steht drüben auf der anderen Straßenseite. Trägt eine karierte Jacke mit gelbem Schlips.«

      »Gut, wir kommen. Verhalten Sie sich ruhig.«

      Ich legte auf und wartete ab. Die Frau sah mehrmals von der Theke zu mir herüber. Ein Kind, ein Mädchen von etwa vier, Jahren, betrat den Laden. Es hielt abgezähltes Geld in der kleinen Faust – die Frau musste sich weit herüberbeugen, um es anzunehmen.

      Ich legte eine Mark für das Gespräch auf den Tisch neben das Telefonbuch.

      Das Mädchen verließ die Bäckerei, es überquerte die Straße.

      Der


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