Familienurlaub könnte so schön sein, wenn bloß Mutter nicht mit dabei wäre ….. Band 3. Jörn Kolder

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Familienurlaub könnte so schön sein, wenn bloß Mutter nicht mit dabei wäre ….. Band 3 - Jörn Kolder


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der „Weißen Flotte“ an, denn er ging davon aus, dass auf der Elbe ähnliche Bedingungen wie in den mecklenburgischen Gewässern herrschen würden, also flaches Wasser und eine geringe Strömungsgeschwindigkeit. Nachdem er eine Karte gekauft hatte ging er an Bord des relativ großen Dampfers und mischte sich unter die Touristen, die sich auf den Decks und an den Relings drängten. Die Tour würde in die Sächsische Schweiz führen. Das Bootsführerhaus thronte auf dem Oberdeck und der Steuermann hatte offensichtlich einen hervorragenden Blick aus dem rundum verglasten Stand. Der Mann schien um die 60 Jahre alt zu sein und sein buschiger und grauer Vollbart ließ ihn wie ein mit allen Wassern gewaschenen Seebären wirken, die schmucke Uniform mit den silbernen Streifen an den Ärmeln und die weiße Mütze komplettierte sein Aussehen. Jetzt ließ er die Dampfpfeife gellen: der Befehl zum Ablegen. Ein Mann an Land warf eine Trosse auf das Schiff und der Mann im Bootsführerhaus wirbelte das Steuer durch seine Hände, um es einen Moment später wieder festzusetzen. Bergmann konnte ihn dabei beobachten, denn er hatte sich direkt neben den Stand begeben und konnte somit genau sehen, was der Mann tat. Die Bedieneinrichtungen schienen nicht allzu kompliziert sein, neben dem Steuerrad war noch ein Maschinentelegraph zu erkennen, von der Decke baumelte ein Strick für die Betätigung der Dampfpfeife herab und einige Instrumente zeigten wohl Dampfdruck und Geschwindigkeit an. Mit sparsamen Bewegungen steuerte der Bootsführer das Schiff in die Mitte des Flusses und ein Stück vor der näherkommenden Brücke öffnete er die Frieder Bergmann zugewandte Seitenscheibe des Führerstandes, wohl um bessere Sicht zu bekommen. Konzentriert starrte der Mann nach vorn und Bergmann ihn seinerseits unverwandt an. Mit wenigen Drehbewegungen am Steuerrad zirkelte der Mann den Dampfer genau in die Mitte zwischen zwei Brückenbögen, nach oben blieb nur wenig Luft. Als die Brücke passiert war nickte Frieder Bergmann dem Mann zu und zeigte ihm seinen nach oben gerichteten Daumen: tolle Leistung. Der andere grinste geschmeichelt zurück, dann widmete er sich wieder seiner Arbeit. Ab und an schaute er auf die Anzeigen vor ihm, dann nahm er lässig in einem scheinbar bequemen Sitz mit Armlehnen Platz und da der Fluss jetzt ein ganzes Stück schnurgerade durch die Landschaft führte arretierte er das Steuerrad mit einer stählernen Klammer, die er aus dem Pult vor ihm herausgeklappt hatte. Da der Bootsführer momentan beschäftigungslos war stand er auf, steckte seinen Kopf wieder an Bergmanns Seite heraus und stopfte sich eine Tabakspfeife in den Mund, beflissen kramte Frieder Bergmann ein Feuerzeug aus der Tasche und ließ es aufflammen. Der Mann paffte ein paar Züge, dann war der Tabak entzündet.

      „Sie haben ja ein sagenhaftes Gespür für das Schiff“ sagte Bergmann „also wie Sie durch die Brücke durchgekommen sind, das war ganz großes Kino.“

      „Kleine Fische“ antwortete der Bootsführer trocken „ich bin früher durch den Panamakanal durchgefahren, da blieben an den Seiten gerade mal 50 Zentimeter bis zu den Bordwänden, das war Maßarbeit.“

      „Sie waren richtig auf großer Fahrt“ fragte Bergmann wissbegierig.

      „Das will ich meinen, ich habe alle Ozeane gesehen, bin 35 Jahre auf allen möglichen Dampfern als Steuermann gefahren. Was denken Sie, was ich alles erlebt habe. Stürme, Havarien, den einen Ruderversager werde ich nie vergessen, wir sind ganz knapp an einem Supertanker vorbeigekommen, nur dank meiner Reaktionsfähigkeit, und weil ich mit den Maschinen steuern ließ. Ich könnte Ihnen stundenlang Geschichten erzählen.“

      „Und hier auf dem Schiff fühlen Sie sich wohl? Ist das für einen Experten wie Sie nicht ein Kaliber zu klein?“

      „Das schon, diesen Kahn hier steuere ich mit der linken Arschbacke. Aber meine Frau hat mich damals gezwungen mit der Seefahrerei Schluss zu machen, was will man da schon tun? Allerdings nehme ich mir im Sommer ein, zwei Wochen frei, da vermiete ich in Mecklenburg Hausboote und schippere selbst ein bisschen rum, ich sage Ihnen, wenn man einmal Seemann war kommt man nicht mehr davon los.“

      „Können Sie mir vielleicht mal zeigen, wie Sie das Schiff steuern“ bettelte Frieder Bergmann.

      „Kommen Sie rein, aber unauffällig.“

      Frieder Bergmann schlüpfte zur Tür hinein und stellte sich neben den Bootsführer. Dieser kurbelte lässig an seinem Steuerrad, der Fluss wand sich jetzt nach rechts.

      „Obwohl das hier für mich ein Kinderspiel ist muss man enorm aufpassen“ erklärte der bärtige Mann „da ist zum einen die Reaktion des Schiffes in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit zu berücksichtigen, dann muss man immer das Echolot und die Markierungstonnen im Auge behalten und besonders wichtig ist die Beobachtung der Entgegenkommer. Da ist mir doch mal einer – ein alter Frachtkahn – direkt vor den Bug gelaufen. Was sollte ich tun? Wäre ich weiter gefahren hätte es nur zwei Möglichkeiten gegeben: er rammt mich oder ich weiche aus und setzte das Schiff auf den Grund. Also, was habe ich getan? Volle Kraft zurück und das Schiff sozusagen mit dem Heck voraus aus der Gefahrenzone gebracht, das war ein Meisterstück!“

      „Nein“ staunte Bergmann „was nicht alles passieren kann.“

      „Ja, hier kann nur ein ganzer Kerl bestehen. Es braucht schon erhebliche Kraft das Steuer zu bewegen. Probieren Sie mal, aber vorsichtig.“

      Frieder Bergmann trat unsicher an das Steuerrad und versuchte es ein Stück nach links – also zur Flussmitte hin - zu drehen. Mit höchster Mühe konnte er es ein wenig bewegen, es fühlte sich an, als ob er an Eisenketten zerren würde.

      „Da staunen Sie, was“ lachte der Bootsführer „das ist hier nicht so wie auf den modernen Kähnen wo man das Steuer mit einem Finger bedienen kann oder wo die Leute schon mit einem Joystick arbeiten. Das hier ist noch richtige Männerarbeit. Und jetzt überlegen Sie mal wie schwierig es ist, die Reaktion des Schiffes vorauszuahnen und genau die richtige Kraft einzusetzen um die optimale Ruderlage zu erreichen. Sie müssen nämlich wissen, dass ich meine Ruderbefehle so setzen muss, dass sie am Bug wirksam werden. Das bedeutet, dass ich immer vorausschauend agieren muss, weil eben die Richtungsänderung vom Heck ausgeht, verstanden?“

      Bergmann nickte.

      „Was passiert, wenn ich das Ruder mittschiffs lege“ fragte der Bootsführer.

      „Fahren wir gerade aus.“

      „Richtig. Und wenn es auf Backbord liegt?“

      „Drehen wir nach rechts“ vermutete Bergmann.

      „Nach links“ korrigierte der Steuermann.

      „Und wieso passiert das“ wollte er noch wissen.

      „Na das ist wie beim Auto“ versuchte sich Frieder Bergmann an einer Erklärung „ich schlage eben die Räder ein, hier ist es das Ruder.“

      „Falsch, das Ruder ist die Einrichtung eines Fahrzeuges, die zur Richtungsänderung dient, indem es Drehmomente aus dem umströmenden Medium erzeugt“ dozierte der Seemann „aber das ist für Sie sicher unverständlich.“

      Frieder Bergmann nickte kleinlaut, jetzt ging es offensichtlich um Physik und da hielt er sich lieber zurück, da er von diesen Dingen keinen blassen Schimmer hatte.

      „Aber jetzt sollen Sie Ihren Spaß noch einmal haben“ sagte der Bootsführer „los, steuern Sie um diese Biegung, ich gebe volle Fahrt voraus, das macht schöne Wellen.“

      Er schob den Maschinentelegraphen nach vorn und drängte Bergmann hinter das Steuer. Die Ruderanlage des Dampfes entsprach noch ihrem Originalzustand von 1895, zwar war sie regelmäßig gewartet worden aber ihre Konstruktion über Steuerketten bedingte bekannter weise erheblichen Krafteinsatz. Kurz vor dem Ruder war die Konstruktion in Inneren des Dampfers so gestaltet, dass jeweils links und rechts ein Begrenzer aus Stahl dafür sorgte, dass es zu keinen übermäßigen Ruderausschlägen kam. Frieder Bergmann wollte sich keineswegs blamieren und stellte sich mit gespreizten Beinen hinter das Steuerrad. Er atmete tief durch und packte entschlossen zu. Anders als der Bootsführer, der mit seiner jahrelangen Erfahrung genau das richtige Gefühl für die Ruderlagen entwickelt hatte, besaß Bergmann zwangsläufig keinerlei Vorstellung davon, wie man eine elegante Ruderbewegung erreichen konnte. Also zerrte er aus Leibeskräften am Steuerrad und dieses pfiff unverhofft leicht durch seine Hände, als er noch mehr Kraft aufwendete schwang das Ruder bis an den Begrenzer heran und der damit einhergehende Widerstand verunsicherte


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