Edgar Wallace - Gesammelte Werke. Edgar Wallace

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Edgar Wallace - Gesammelte Werke - Edgar Wallace


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die Ihr Onkel an dem Abend zu sich nahm, an dem er starb.«

      »Was ist es?« fragte Mr. Fare schnell.

      »Fragen Sie nur den dort«, antwortete Gonsalez lächelnd und zeigte mit dem Kopf auf Munsey.

      John Munsey drehte sich um und ging zur Tür. Der Polizeibeamte, der mit Mr. Fare gekommen war, folgte.

      »Und nun will ich Ihnen erzählen, wie sich alles zugetragen hat«, sagte Gonsalez. »Dies ist flüssige Luft!«

      »Flüssige Luft?« rief Mr. Fare. »Was meinen Sie damit? Wie kann man denn einen Menschen mit flüssiger Luft vergiften?«

      »Professor Tableman wurde gar nicht vergiftet. Flüssige Luft erhält man, wenn man die Temperatur der Luft auf einhundertundneunzig Grad unter Null verringert. Wissenschaftler benutzen sie zur Durchführung von Experimenten, und sie wird gewöhnlich in einer Stahlflasche aufbewahrt, deren Öffnung man mit einem Wattebausch schließt, weil die Gefahr einer Explosion vorliegt, wenn man die Luft ganz absperrt.«

      »Großer Gott!« rief Stephen atemlos vor Schrecken. »Dann war also dieser blaue Streifen am Hals meines Vaters –«

      »Man hat ihn durch die große Kälte getötet. Seine Kehle erstarrte in dem Augenblick, als er die flüssige Luft zu sich nahm. Ihr Vater trank gewöhnlich vor dem Schlafengehen ein Glas Likör, und zweifellos gab ihm Munsey ein Glas flüssiger Luft, nachdem Sie gegangen waren. Vorher hat er ihn irgendwie überredet, Handschuhe anzuziehen.«

      »Warum denn? Ach, er sollte natürlich die Kälte nicht fühlen«, meinte Manfred.

      Gonsalez nickte.

      »Welche Kniffe Munsey angewandt hat, werden wir vielleicht nie erfahren. Sicher ist nur, daß auch er selbst Handschuhe trug. Nach dem Tod Ihres Vaters bereitete er dann alles vor, um einen anderen zu verdächtigen. Wahrscheinlich hatte der Professor seine Brille beiseite gelegt, als er sich anschickte, zu Bett zu gehen. Munsey hat übersehen, daß der Tote noch Handschuhe trug.«

      »Meiner Ansicht nach«, sagte Gonsalez später, »hat Munsey schon seit Jahren den Plan verfolgt, seinen Vetter und seinen Onkel zu entzweien. Wahrscheinlich hat er auch die ganzen Gerüchte über den Vater Miss Fabers aufgebracht.«

      Stephen Tableman hatte die beiden Freunde zu ihrer Wohnung begleitet. Gonsalez erschrak plötzlich, als Stephen über eine seiner Äußerungen lachte.

      »Ihre – Ihre Zähne?« stotterte er.

      Stephen wurde rot.

      »Meine Zähne?« wiederholte er verwirrt.

      »Sie hatten doch zwei ungewöhnlich große Eckzähne, als ich Sie das letztemal sah! Du erinnerst dich doch auch, Manfred?« Gonsalez war in heller Aufregung. »Ich sagte dir noch –«

      Plötzlich lachte Stephen laut auf.

      »Ach, das waren meine falschen Zähne«, sagte er etwas verlegen. »Meine eigenen wurden mir bei einem Fußballspiel ausgeschlagen, und Benson, ein guter Freund von mir, der Zahnheilkunde studiert, hat mir zwei neue eingesetzt. Ich muß allerdings sagen, daß er ein schlechter Dentist ist, denn sie waren viel zu groß und sahen schrecklich aus. Ich glaube schon, daß sie Ihnen aufgefallen sind. Ich habe sie mir von einem anderen Zahnarzt herausnehmen und durch neue ersetzen lassen.«

      »Ihr Unfall passierte am dreizehnten September vorigen Jahres. Ich habe in der Sportzeitung darüber nachgelesen.«

      Gonsalez sah George mit einem vorwurfsvollen Blick an.

      »Mein lieber Leon«, Manfred legte die Hand auf die Schulter seines Freundes, »ich wußte, daß sie falsch waren, genauso wie du entdeckt hattest, daß es außerordentlich große Eckzähne waren.«

      Als sich die beiden Freunde später allein gegenübersaßen, sagte Manfred:

      »Um noch einmal auf die großen Eckzähne zurückzukommen –«

      »Wir wollen lieber von etwas anderem reden«, erwiderte Gonsalez gereizt.

      Aus Staines wird der Tod von Mr. Falmouth gemeldet, der früher Direktor der Kriminalpolizei in London war. Man erinnert sich noch, daß Mr. Falmouth während seiner amtlichen Tätigkeit George Manfred, den berüchtigten Führer der Vier Gerechten, verhaftete. Die aufsehenerregende Flucht dieses bekannten Bandenführers ist vielleicht das bedeutendste Kapitel der modernen Kriminalgeschichte. Die »Vier Gerechten« waren bekanntlich eine Organisation, die sich selbst das Ziel gesetzt hatte, Ungerechtigkeiten zu rächen, die das Gesetz unbestraft ließ. Man nimmt an, daß die Mitglieder dieser Bande außerordentlich reiche Leute waren, die ihr Leben und ihr Vermögen dieser merkwürdigen und vollständig gesetzwidrigen Tätigkeit widmeten. Man hat seit langen Jahren nichts mehr von ihnen gehört.

      *

      Manfred las diese Notiz aus dem »Morning Telegram« vor, und Leon Gonsalez runzelte die Stirn.

      »Ich muß energisch dagegen protestieren, daß man uns eine ›Bande‹ nennt«, sagte er.

      Aber Manfred lächelte nur.

      »Der arme, alte Falmouth«, meinte er nachdenklich. »Er war wirklich ein netter Mensch.«

      »Ich mochte ihn auch gerne«, stimmte Gonsalez zu. »Er war soweit normal, nur Anzeichen von Progenismus –«

      Manfred lachte.

      »Entschuldige, wenn ich wieder einmal dumm erscheine, aber ich kann es auf diesem wissenschaftlichen Spezialgebiet nicht mit dir aufnehmen. Progenismus?«

      »Der Laie sagt gewöhnlich ›hervorragender Unterkiefer‹«, erklärte Leon. »Fälschlicherweise wird dieses Merkmal für ein Zeichen von Willensstärke gehalten!«

      »Aber abgesehen von allem Progenismus war Mr. Falmouth ein guter Kerl«, erwiderte Manfred, und Leon nickte beifällig. »Er besaß auch gutentwickelte Weisheitszähne«, fügte Manfred ironisch hinzu.

      Gonsalez wurde rot, denn die Erinnerung an seinen Irrtum war ihm peinlich. Trotzdem lachte er.

      »Es wird dich vielleicht interessieren, mein lieber George«, sagte er triumphierend, »daß der berühmte Doktor Carrara die Zähne von vierhundert Verbrechern und einer gleichen Anzahl von Nichtverbrechern untersuchte und dabei fand, daß die Weisheitszähne bei den normalen Menschen häufiger vorhanden waren.«

      »Ich gebe dir ja recht mit deinen Weisheitszähnen«, sagte Manfred hastig. »Aber sieh doch einmal aufs Meer hinaus hast du jemals etwas Schöneres gesehen?«

      Sie saßen auf einer saftigen, grünen Wiese; von der aus man Babbacombe Beach übersehen konnte. Die Sonne ging unter, ein herrlicher Tag neigte sich seinem Ende entgegen. Die Sonnenstrahlen vergoldeten alle Bäume und Sträucher. Hoch über der blauen See erhoben sich die brandroten Klippen und die grünen Felder von Devonshire.

      Manfred schaute auf die Uhr.

      »Wollen wir uns zum Abendessen umziehen? Oder ist dein Freund, für den du dich so sehr interessierst, mehr ein Bohemien?«

      »Er gehört zu der neuen Generation«, erwiderte Leon. »Über alte Traditionen fühlt er sich erhaben. Ich freue mich sehr, daß du ihn kennenlernst. Seine Hände sind direkt faszinierend.«

      Manfred war klug genug, nicht zu fragen, warum die Hände faszinierend waren.

      »Ich habe ihn beim Golfspiel getroffen«, fuhr Gonsalez fort. »Dabei haben sich verschiedene Dinge zugetragen, die mich sehr interessierten. Wenn er einen Regenwurm sah, blieb er zum Beispiel stehen und tötete das unschuldige Tier mit einer solchen Wut, daß ich höchst erstaunt war. Ein Wissenschaftler sollte doch keine solchen Schrullen und Vorurteile haben. Er ist sehr reich. Die Leute im Klub erzählten mir, daß ihm sein Onkel nahezu eine Million hinterlassen hätte. Außerdem ist er der einzige Erbe einer seiner Tanten oder Cousinen, die voriges Jahr starb und ihm ein großes Besitztum hinterließ, das man ebenfalls auf eine Million schätzt. Er ist natürlich eine glänzende Partie. – Ob Miss Moleneux allerdings dasselbe


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