Edgar Wallace - Gesammelte Werke. Edgar Wallace

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Edgar Wallace - Gesammelte Werke - Edgar Wallace


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abend zum Essen?«

      »Sie kommt mit ihrer Mutter«, erklärte Leon ernst.

      »Diese tüchtige Dame hat brieflichen Unterricht im Spanischen genommen und redet mich immer mit ihrem Kauderwelsch an, wenn ich sie treffe.«

      Die beiden Freunde hatten für den Frühling Cliff House gemietet, um sich dort zu erholen. Besonders Manfred liebte Devonshire im April, wenn die Abhänge der hügeligen Landschaft mit Schlüsselblumen und Narzissen bedeckt waren, die wie ein goldener Sprühregen auf den grünen Wiesen schimmerten. »Señor Fuentes« hatte das Haus nach einer Besichtigung gemietet. Die Ruhe und der Frieden, die hier von der Natur ausströmten, taten seinem unruhigen, geschäftigen Geist unendlich wohl.

      Manfred hatte sich zum Essen umgekleidet und saß im Wohnzimmer vor dem großen Kamin, in dem ein Holzfeuer brannte. Als er das Geräusch eines näher kommenden Autos hörte, das vorsichtig den Klippenweg herunterfuhr, stand er auf und trat ins Freie.

      Leon Gonsalez war bei ihm, bevor die große Limousine vor der Eingangshalle hielt.

      Zuerst stieg ein großer, schlanker Herr aus dem Wagen. Er sah nicht schlecht aus, obgleich sein Gesicht von Falten durchzogen war und seine Augen tief lagen. Die Brauen waren nicht gewölbt, sondern verliefen in gerader Richtung. Er grüßte Gonsalez mit einer gewissen Herablassung.

      »Hoffentlich haben wir Sie nicht zu lange warten lassen, meine Experimente haben mich noch etwas aufgehalten. Heute ging alles schief im Laboratorium.«

      Manfred, der ihn scharf beobachtet hatte, wurde ihm und den Damen vorgestellt. Er reichte einem, ernsten, jungen Mädchen von eigenartiger Schönheit die Hand.

      Manfred war sehr sensitiv und erkannte sofort, daß Miss Moleneux von einer heimlichen Sorge bedrückt war. Ihr freundliches Lächeln, das zweifellos aufrichtig gemeint war, erschien ihm gleichwohl mechanisch und leer. Leon, der die Menschen mehr nach Verstandes- als nach Gefühlsmomenten beurteilte, zog ebenfalls seine Schlußfolgerungen aus ihrem Verhalten. Der ungewisse Eindruck Manfreds formte sich bei ihm zu einer bestimmten Erkenntnis. Das Mädchen fürchtete sich! Leon hätte gerne gewußt, vor wem sie Angst hatte. Sicherlich nicht vor dieser untersetzten, selbstzufriedenen Frau, die ihre Mutter war, und sicherlich auch nicht vor diesem hageren, bebrillten Gelehrten.

      Während die Damen ihre Mäntel in einem der oberen Zimmer ablegten, hatte Manfred Gelegenheit, sich ein Urteil über Dr. Viglow zu bilden. Er brauchte ihn nicht zu unterhalten, denn der Doktor war selbst ein gewandter Gesellschafter.

      »Ihr Freund spielt recht gut Golf«, sagte er, indem er auf Gonsalez zeigte. »Wirklich gut für einen Fremden. Sie sind doch beide Spanier?«

      Manfred nickte. Eigentlich war er ja mehr Engländer als sein Gast, aber augenblicklich stattete er England als Spanier einen Besuch ab und war auch mit einem spanischen Paß versehen.

      »Wenn ich Sie recht verstanden habe, sind Ihre Forschungen ungewöhnlich erfolgreich?« fragte Leon.

      Dr. Viglows Augen leuchteten auf.

      »Ja, ich bin sehr zufrieden.« Plötzlich fragte er schnell: »Wer hat Ihnen denn das gesagt?«

      »Sie haben es mir doch selbst im Klub erzählt.«

      Der Doktor runzelte die Stirn.

      »So?« Er fuhr mit der Hand über die Stirn. »Ich kann mich gar nicht darauf besinnen. Wann war denn das?«

      »Heute morgen. Aber Ihre Gedanken waren wahrscheinlich mit wichtigeren Dingen beschäftigt.«

      Der junge Gelehrte biß sich auf die Lippen.

      »Ich hätte nicht vergessen dürfen, was heute morgen passierte«, sagte er in besorgtem Ton.

      Manfred hatte den Eindruck, daß er verzweifelt mit sich selbst kämpfte. Aber schließlich heiterte sich seine Miene wieder auf.

      »Ja, ich habe wirklich einen ungewöhnlichen Erfolg zu verzeichnen. In einigen Monaten wird mein Name berühmt sein, sogar in meinem eigenen Vaterland. Aber diese Studien kosten auch eine unheimliche Menge Geld. Erst heute habe ich wieder nachgerechnet, daß ich allein für Stenotypistinnen wöchentlich nahezu sechzig Pfund zahle.«

      Manfred schaute ihn erstaunt an.

      »Für Stenotypistinnen?« wiederholte er langsam. »Dann schreiben Sie sicher ein wissenschaftliches Werk?«

      »Hier kommen unsere Damen«, sagte der Doktor.

      Es lag zuweilen etwas Abruptes, fast Abstoßendes in seinem Wesen, und als sie später bei Tisch saßen, hatte Manfred weiteren Grund, sich über das schlechte Betragen ihres Gastes zu wundern. Dr. Viglow saß neben Miss Moleneux. Als sich das Essen seinem Ende näherte, wandte er sich plötzlich unerwartet zu ihr.

      »Du hast mich heute noch nicht geküßt, Margaret«, sagte er laut.

      Das junge Mädchen errötete und wurde dann blaß. Ihre Finger zitterten nervös. »Habe ich dich – noch nicht geküßt, Felix?« stammelte sie.

      Das Gesicht des Doktors war rot vor Ärger.

      »Bei Gott, das ist wirklich gut!« schrie er. »Ich bin mit dir verlobt, ich habe dir in meinem Testament mein ganzes Vermögen vermacht, ich zahle deiner Mutter tausend Pfund im Jahr, und du hast mich heute noch nicht einmal geküßt!«

      »Doktor!« unterbrach plötzlich die sanfte, aber eindringliche Stimme Leons die Spannung. »Können Sie mir nicht sagen, welcher Stoff mit der chemischen Formel Cl 2O 5 bezeichnet wird?«

      Dr. Viglow wandte langsam den Kopf zu ihm und schaute ihn an. Allmählich verlor sich der seltsame Ausdruck aus seinem Gesicht, und er wurde wieder normal.

      »Das ist eine Oxydverbindung von Chlor«, sagte er ganz ruhig. Die Unterhaltung wandte sich nun wissenschaftlichen Dingen zu.

      Die einzige Person bei Tisch, die durch Dr. Viglows Entgleisung nicht außer Fassung gebracht wurde, war die kleine, selbstzufriedene Frau, die an Manfreds rechter Seite saß. Als der Doktor das Jahresgeld erwähnte, das er ihr zahlte, kicherte sie nur. Nachdem die allgemeine Unterhaltung wieder eingesetzt hatte, wandte sie sich zu Manfred und sprach mit leiser Stimme zu ihm.

      »Felix ist manchmal so exzentrisch, aber gewöhnlich ist er ein ruhiger, liebenswürdiger und freundlicher Charakter. Man muß doch an die Zukunft seines Kindes denken – sind Sie nicht auch meiner Ansicht, Señor?«

      Die letzte Frage hatte sie in ihrem schlechten Spanisch an ihn gerichtet. Manfred nickte und schaute einen Augenblick zu dem jungen Mädchen hinüber, das immer noch verstört und totenblaß aussah.

      »Ich bin fest davon überzeugt, daß sie noch ganz glücklich mit ihm werden wird«, fuhr die Mutter fort, »viel glücklicher als mit diesem unmöglichen Menschen.«

      Sie erklärte nicht genauer, wer dieser unmögliche Mensch war, aber Manfred ahnte eine ganze Tragödie. Er war nicht gerade romantisch veranlagt, aber ein Blick auf das Mädchen hatte ihm gesagt, daß bei dieser Verlobung etwas nicht stimmte. Er kam jetzt zu dem Schluß, den sein Freund Leon schon längst gezogen hatte, und erkannte, daß sie von reiner Furcht beherrscht war. Und er wußte jetzt auch, vor wem sie sich fürchtete.

      Eine halbe Stunde später standen die beiden vor der Tür und sahen dem verschwindenden roten Schlußlicht von Dr. Viglows Wagen nach. Dann gingen sie zurück in das Wohnzimmer, und Manfred legte etwas Brennholz auf das Feuer, um es neu anzufachen.

      »Nun, welchen Eindruck hast du?« fragte Gonsalez und rieb sich offenbar erfreut die Hände.

      »Ich finde dieses Verhältnis einfach entsetzlich«, erwiderte Manfred, als er sich in einen Sessel setzte. »Ich dachte, es käme heutzutage nicht mehr vor, daß unvernünftige Mütter es wagen dürfen, ihre Töchter zu einer Ehe mit einem ungeliebten Mann zu zwingen. Man hört doch immer von den modernen jungen Mädchen, die so selbständig sind.«

      »Die menschliche Natur bleibt immer dieselbe, daran ändern auch die modernen Zeiten nichts«, sagte Gonsalez lebhaft. »Die meisten Mütter handeln recht töricht,


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