Edgar Wallace - Gesammelte Werke. Edgar Wallace
Читать онлайн книгу.es auch nicht«, erwiderte der Fremde und wehrte einen gelbgesichtigen Chinesen ab, der ihm eine Opiumpfeife anbieten wollte. »Nur bringe ich für gewöhnlich meinen eigenen Stoff mit.«
Ballam neigte sich neugierig vor, als der Spanier eine grünliche harzige Pille aus einem kleinen, silbernen Kasten herausnahm.
»Was ist denn das?« fragte er neugierig.
»Das ist meine eigene Mischung, canabis indica, Opium und etwas türkischer Tabak. Sie ist noch milder als Opium und die Wirkung noch viel wundervoller.«
»Das können Sie hier oben aber nicht rauchen«, meinte Ballam kopfschüttelnd. »Versuchen Sie ruhig eine Pfeife Opium, alter Knabe.«
Aber der »alte Knabe«, der trotz seiner weißen Haare noch sehr jung war, ließ sich nicht überreden.
»Das macht nichts – ich kann ebensogut auch zu Hause rauchen. Ich bin eigentlich nur aus Neugierde hergekommen.« Mit diesen Worten erhob er sich, um zu gehen.
»So eilig werden Sie es doch wohl nicht haben«, erwiderte Ballam hastig.
»Wir haben unten im Erdgeschoß noch einen Salon für die Hanfraucher – die Leute hier oben können den Geruch nicht vertragen. Ich werde mit Ihnen hinuntergehen und einmal Ihre neue Mischung probieren. Nehmen Sie Ihren Kaffee mit.«
Der untere Salon war ganz leer. Sie suchten sich einen bequemen, weichen Diwan aus und nahmen dort Platz.
»Meine Mischung können Sie mit einem einfachen Streichholz anzünden, Sie brauchen keinen Spirituskocher dazu«, sagte der Fremde.
Ballam nippte an seinem Kaffee und betrachtete argwöhnisch die Pfeife, die ihm Gonsalez anbot.
»Ich wollte Sie noch etwas fragen. Verursacht Ihnen der Betrieb eines solchen Lokals nicht schlaflose Nächte?«
»Nun seien Sie doch nicht wunderlich.« Mr. Ballam steckte seine Pfeife gemächlich an und rauchte mit offenbarer Befriedigung. »Wirklich eine gute Mischung. Weshalb soll ich denn schlaflose Nächte haben?«
»Nun, es werden doch viele Leute hier aus ihrem Gleis geworfen. Ich meine, die Leute, die diese Rauschgifte zu sich nehmen, werden doch alle früher oder später ruiniert.«
»Das ist ihre Sache, das geht mich nichts an«, sagte Mr. Ballam selbstzufrieden. »Dafür haben sie aber auch eine ganze Menge Vergnügen genossen. Wir haben eben nur ein Leben, und wir müssen alle einmal sterben.«
»Manche Menschen sterben aber zweimal«, erwiderte Leon trocken. »Menschen, die ihr Bewußtsein unter dem Einfluß dieser schädlichen Gifte verlieren und zu Mördern geworden sind, wenn sie wieder aufwachen. Im Osten gibt es ein Rauschmittel, das die Eingeborenen Bal nennen. Es macht die Menschen rasend und wahnsinnig.«
»Ach, das interessiert mich nicht.« Ballam wurde ungeduldig. »Ich habe auch nicht mehr viel Zeit, wir müssen schnell machen, daß wir mit dem Rauchen zu Ende kommen. Heute abend besucht mich eine Dame – ich habe noch eine Verabredung, die ich einhalten muß, alter Freund!« meinte er lachend.
»Im Gegenteil, diese Frage interessiert Sie sehr, und selbst wenn Sie sich mit Miss Maggiore verabredet haben –«
Mr. Ballam starrte ihn erstaunt an.
»Zum Teufel, wovon reden Sie denn überhaupt?« fragte er heftig.
»Obwohl Sie diese Verabredung haben, muß ich Ihnen mitteilen, daß dieses Rauschgift Bal, das die Menschen zu Amokläufern macht, stärker ist als irgendein anderes Mittel, das Sie hier in Ihrem Lokal verabreichen.«
»Was hat denn das mit mir zu tun?« brummte Ballam.
»Sehr viel«, entgegnete Leon kühl. »Sie rauchen gerade ein doppeltes Quantum von dem, was ein gewöhnlicher Mensch vertragen kann!«
Mit einem Schreckensschrei sprang Ballam auf, aber er konnte sich später nicht mehr auf die weiteren Vorgänge besinnen. Es war ihm nur, als ob ihm irgend etwas den Schädel spaltete, ein entsetzliches Licht blendete seine Augen, und dann schienen Tausende von Jahren an ihm vorüberzuziehen. Eine Ewigkeit lang wurde er von grellen Blitzen geschreckt, donnerähnliche Geräusche betäubten seine Ohren, er hörte flüsternde, geheimnisvolle Stimmen, und eine namenlose Unruhe bemächtigte sich seiner. Manchmal kam ihm zum Bewußtsein, daß er sprach, und er lauschte gierig auf seine eigenen Worte. Zuweilen redeten fremde, unsichtbare Geister zu ihm und verhöhnten ihn, und er fühlte, daß ihn irgend jemand verfolgte.
Wie lange dieser Zustand dauerte, konnte er selbst nicht beurteilen. In seiner halb bewußtlosen Verfassung versuchte er, die Zeit nachzurechnen, aber er fand, daß er kein Maß besaß, an das er sich halten konnte. Es schienen ihm viele Jahre verflossen zu sein, als er mit einem tiefen Seufzer die Augen öffnete. Er fuhr mit der Hand über seinen schmerzenden Kopf, und allmählich wurde ihm klar, daß er in einem Bett lag. Es war hart, und die Kopfstütze noch härter. Er starrte zu der weißgetünchten Decke empor und betrachtete dann die einfachen, gekalkten Wände. Als er über die Seite seines Lagers schaute, wurde er gewahr, daß der Fußboden aus Eisenbeton bestand. Zwei Lichter brannten in dem Raum, eins auf dem Tisch und eins in der Ecke des Zimmers, wo ein Mann saß und die Zeitung las. Der Mann kam ihm ganz sonderbar vor, und er blinzelte zu ihm hinüber. »Ich träume natürlich«, sagte er laut.
Der Mann schaute auf.
»Hallo! Wollen Sie aufstehen?«
Ballam antwortete nicht. Er starrte noch mit offenem Munde umher und traute seinen Sinnen nicht. Der Mann war in Uniform, trug einen dunklen, enganliegenden Rock und hatte einen Ledergürtel umgeschnallt. Auf dem Kopf saß eine Mütze mit einer Kokarde. Ballam las die Buchstaben auf den Schulterstücken.
»A. W.«, wiederholte er verwirrt. »A. W.«
Was sollte dieses »A. W.« bedeuten? Aber plötzlich wurde es ihm klar.
Assistenzwärter! Er schaute sich in dem Raum um. Es war nur ein Fenster zu sehen, das mit schweren, eisernen Gittern verschlossen war. Dickes Milchglas war dort eingesetzt. An der Wand hing ein Anschlag. Ballam erhob sich mit großer Mühe vom Bett, taumelte dorthin und versuchte, den Text zu lesen.
»Dienstvorschriften für die königlichen Gefängnisse.« Er schaute auf seine eigene Kleidung. Er war allem Anschein nach in Strümpfen und Beinkleidern zu Bett gegangen, aber die Hose, die er trug, war aus einem rauhen, gelblichgrauen Stoff und über und über mit verwaschenen schwarzen Pfeilen bedruckt. Er war im Gefängnis! Wie lange mochte er hier sein?
»Wollen Sie sich heute anständig benehmen?« fragte der Wärter kurz. »Wir haben keine Lust, noch mehr von diesen Spektakelszenen zu erleben, wie Sie gestern wieder eine aufgeführt haben!«
»Seit wann bin ich denn eigentlich hier?« stieß Ballam heiser hervor.
»Sie wissen doch ganz genau, wie lange Sie hier sind. Gestern waren es drei Wochen.«
»Drei Wochen!« rief Ballam entsetzt. »Weshalb hat man mich denn angeklagt?«
»Nun fangen Sie nicht wieder diesen alten Quatsch an, mein lieber Ballam«, sagte der Wärter nicht unfreundlich. »Sie wissen ganz genau, daß es mir verboten ist, mich mit Ihnen zu unterhalten. Legen Sie sich wieder aufs Bett und schlafen Sie. Manchmal denke ich wirklich, daß Sie so verrückt sind, wie Sie sich anstellen.«
»Habe ich denn – irgendwelche Dummheiten angestellt?«
»Dummheiten?« Der Wärter wandte sich erstaunt um. »Ich war zwar nicht bei der Gerichtsverhandlung dabei, aber sie haben mir alle erzählt, daß Sie vor Gericht den Verrückten gespielt haben. Und als der Richter Sie zum Tode verurteilte –«
»Mein Gott!« schrie Ballam und sank kreidebleich und vernichtet auf das Bett. »Zum Tode verurteilt!« Er konnte die Worte kaum aussprechen. »Was habe ich denn getan?«
»Sie haben doch die junge Dame umgebracht – das wissen Sie doch ganz genau... Ich wundere mich nur über Sie, daß Sie mir nun auch noch solch ein Theater vorspielen, nachdem ich doch die ganze Zeit so gut zu Ihnen war, Ballam. Warum bocken Sie denn? Tragen Sie doch Ihre Strafe wie