Spiel des Zufalls. Joseph Conrad

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Spiel des Zufalls - Joseph Conrad


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Sie sich dadurch mit Schande bedeckt.«

      Unser neuer Freund klopfte die Asche aus seiner Pfeife.

      »Ganz falsch«, sagte er. »Ich gehöre nicht zu den Menschen, die ablehnen, obwohl ich zugeben muß, daß es ungefähr so war, als hätte man jemanden um ein Bad gebeten und sei daraufhin sofort über Bord gestoßen worden, um nun, ganz angezogen, unterzugehen oder oben zu schwimmen. Ich hatte aber zunächst gar nicht das Gefühl, als sei ich in tiefes Wasser geraten. Ich verließ das Heuerkontor ganz seelenruhig und spazierte langsam die Straße entlang, als hätte ich zumindest noch eine Woche Zeit, um mich auszurüsten. Aber allmählich erkannte ich, daß die Frist noch kürzer war, als es beim ersten Blick geschienen hatte. Der Nachmittag war schon vorgeschritten; ich hatte noch einiges zu besorgen, verschiedene kleine Geschäfte zu erledigen, ein paar Besuche zu machen. Einer davon galt einer Tante, meiner einzigen Verwandten, die sich mit meinem Vater, solange er lebte, wegen irgendeiner dummen Angelegenheit, bei der es weder Recht noch Unrecht gab, herumgestritten hatte. Sie vermachte mir ihr Geld, als sie später starb. Ich pflegte sie anstandshalber immer zu besuchen. Ich hatte vor Einbruch der Nacht noch so viel zu tun, daß ich nicht mehr wußte, womit ich anfangen sollte. Ich hatte Lust, mich an den Randstein zu setzen und meinen Kopf in die Hände zu pressen. Es war, als sei eine Maschine in meinem Schädel losgegangen. Schließlich setzte ich mich in die erste Droschke, die vorbeikam, und es war schwer, dort sitzenzubleiben, das kann ich Ihnen sagen. Wir fuhren in den Straßen auf und ab, hielten da und dort, und während sich immer mehr Pakete um mich ansammelten, gewann die Maschine in meinem Kopfe immer größere Geschwindigkeit. Die Gemütsruhe der Menschen auf den Straßen wirkte herausfordernd, und gar die Leute in den Geschäften, die waren einfach benommen, rechte Schlafmützen, verblödet. Es ist eigentümlich, wie so ein ungewohnter Gemütszustand einen angreift. Jeder, der nicht an unserer Aufregung teilnimmt, erscheint so unglaublich unfreundlich. Und mein Gemütszustand, aus Hast, wachsender Verzweiflung und Sorge gemischt, war eigentümlich genug. Die Maschine in meinem Kopfe surrte auf höchsten Touren, Stunde um Stunde, bis sie etwa elf Uhr nachts plötzlich abstoppte, als ich mich an dem Eingang zum Hafen befand, vor riesenhaften eisernen Toren in einer toten Wand.«

      Diese Tore waren geschlossen und verriegelt. Nachdem der Kutscher seine sieben Sachen vom Dache des Gefährts in Jung Powells Arme hinunterbugsiert hatte, fuhr er dahin und ließ ihn allein, mit einem Schiffskoffer, einem Segeltuchsack und etlichen Paketen auf dem Pflaster zu seinen Füßen. Es war eine dunkle, schmale Durchfahrt, erklärte uns Powell. Die schmutzige Häuserreihe gegenüber schien leer zu stehen, nicht der leiseste Lichtschimmer war zu sehen. Der grellweiße Lichtkegel einer weiterabgelegenen Branntweinschenke ließ das dazwischenliegende Stück der Straße kohlschwarz erscheinen. Einige menschliche Schatten tauchten rätselhaft aus dem Dunkel, als wären sie aus dem Boden emporgewachsen, im schwachen Licht der Torlampen auf. Diese Wesen hatten verstohlene Bewegungen und lautlose Schritte, wie Raubtiere, die um das Lagerfeuer schleichen. Powell sammelte seine Besitztümer um sich und wachte über sie, wie eine Henne über ihre Brut. Eine rauhe, eindringliche Stimme sagte:

      »Wollen die Sachen da 'reintragen, Käpten! Ich hab meinen Kollegen schon dabei!«

      Es war ein langer, starkknochiger, grauhaariger Grobian mit einem Bulldog-Gesicht, einem verrissenen Leinenhemd und grauen Hosen. Seine Nagelschuhe warfen Riesenschatten, wie Särge. Sein Kumpan, der ihm nicht viel höher als bis zum Ellenbogen reichte, trat vor und ließ dabei ein blasses Gesicht mit überhängender Nase sehen und einem Kinn, das kaum der Rede wert war. Er machte den Eindruck, als sei er eben aus dem Mülleimer gekrochen, mit seiner Sportmütze und dem zerschlissenen, viel zu langen Uniformkittel. Der Rock klaffte vorne, und die ganze weitere Bekleidung bestand aus einem halben Hosenträger, quer über die nackte, knochige Brust gespannt, und einer Hose. Er zwinkerte, wie geblendet von dem scharfen Licht, während sein Fürsprecher, der alte Gauner, unter seinen dichten Augenbrauen hervor düstere Blicke auf Jung Powell schoß.

      »Sagt ja, Käpten! Der Bobbie läßt uns schon ein, der kennt uns alle zwei!«

      »Ich gab ihm keine Antwort«, fuhr Herr Powell fort. »Ich horchte eben auf Schritte auf der anderen Seite des Tores, die zwischen den Wänden der Lagerschuppen widerhallten, wie in einer verlassenen Stadt voll hoher Gebäude, trostlos dunkel vom Erdgeschoß bis hinauf zum obersten Giebel. Man hätte nie ahnen können, daß kaum einen Steinwurf weiter weg Riesenschiffe in offenem Wasser lagen. Die wenigen Gaslampen rückten da und dort ein Stück Ziegelmauer ins Licht und wirkten wie Luftlöcher in weiten Kellereien -- und die einsamen Schritte kamen näher, tapp, tapp. Ein Dockpolizist, sehr wichtig und unnahbar, trat in den Lichtbereich innerhalb des Tores.

      ›Hallo, was geht hier vor?‹

      Er war ehrlich überrascht, aber nach einigem Hin und Her ließ er mich ein, zugleich mit den beiden Strolchen, die mein Gepäck schleppten. Er knurrte sie aber an und schlug das Tor hinter uns mit einem heftigen Krach ins Schloß. Ich war erstaunt, als ich bemerkte, wie viele Nachtbummler sich in der kurzen Zeit im Dunkel angesammelt hatten, ohne daß ich es bemerkt hatte. Kaum waren wir durch das Tor gegangen, da drängten sie sich alle vor und drückten sich gegen das Gitter, lautlos, wie eine Horde grausiger Gespenster. Aber plötzlich begann weiter hinten in der Straße, vielleicht in der Nähe jener Schnapsschenke, eine Rauferei, als sei das Tollhaus losgebrochen: Geheule, Gekreische, ein durchdringender Aufschrei -- und bei diesem Radau verschwanden alle die Köpfe hinter dem Gitter.

      ›Sehen Sie nur an!‹ staunte der Polizist. ›Es ist ein Wunder, daß die nicht mit Ihren Sachen abgefahren sind, während Sie da warteten.‹

      ›Das hätte ich wohl verhindert‹, sagte ich selbstbewußt. Aber dem Schutzmann machte das keinen Eindruck.

      ›Na, da hätten Sie viel tun können! Der Sack um die eine Ecke und die Kiste um die andere! Hätten Sie nach beiden Richtungen auf einmal laufen können? Außerdem hätte man Ihnen ein Bein gestellt und Sie niedergeworfen, bevor Sie drei Schritte weit gekommen wären. Ich kann Ihnen sagen, es war ein ganz außerordentliches Glück, daß heute Nacht nicht einer von den richtigen Jungs in der Hauptstraße unterwegs war und Ihr beladenes Fuhrwerk vorbeikommen sah. Ted hier ist ehrlich. Du hältst dich nach der ehrlichen Seite, Ted, was?‹

      ›Immer schon, Wachtmeister‹, sagte der große Lümmel gefühlvoll. Das andere zerbrechliche Wesen schien stumm zu sein, es humpelte dahin und schleifte den Rand seines Soldatenrocks über das Pflaster.

      ›Na ja, das kennt man‹, sagte der Polizist. ›Also vorwärts, marsch ... Er macht's so, weil er zu feig ist für die andere Art‹, vertraute er mir an. ›Es fehlt ihm die nötige Schneid dazu. Aber ich werde die zwei doch nicht aus dem Auge verlieren, bis sie zum Tore draußen sind. Der kleine Kerl da ist ein Teufel. Schneid hätte er zu allem, aber am Schmalz fehlt's halt. Na, na! Sie haben wirklich Glück gehabt, daß Sie mit heiler Haut und allen Ihren Sachen hereingekommen sind!‹

      Ich war etwas ungläubig. Es schien undenkbar, daß nach so viel Hast und Schererei meinem glücklichen Anfang eine solche Gefahr gedroht haben sollte.

      Ich fragte: ›Geschieht so was öfter, so nahe vor den Docktoren?‹

      ›Oft? Nein! Natürlich nicht oft! Es kommt eben auch nicht sehr oft vor, daß ein Mann um diese Nachtzeit mit einer Kutsche voll Koffer angefahren kommt, um sich einzuschiffen. Ich bin seit dreizehn Jahren bei der Hafenpolizei und habe es noch nie erlebt.‹

      Unterdessen folgten wir meinem Schiffskoffer durch eine schmale, dunkle Gasse zwischen zwei hohen Lagerschuppen hinunter. Der ehrliche Ted und sein kleiner verteufelter Freund, der nur im Trab mit ihm Schritt halten konnte, trugen ihn zwischen sich. Die Flügel seines Waffenrocks flogen hinter dem Kleinen her, so dicht über dem Pflaster, daß es aussah, als führe er auf Rollschuhen. An der Ecke der düsteren Gasse, dicht neben einem gußeisernen Lampenpfosten, ragte ein aufgetakelter Klüverbaum mit Stampfstag, der in einem Pfeilerkopf endete, in die Nacht hinaus. Wir waren am Kai. Die beiden setzten ihren Koffer unter der Lampe nieder, und Ted erkundigte sich mit heiserer Stimme: ›Wo ist Ihr Schiff, Gov'nor?‹

      Ich wußte es nicht. Den Schutzmann interessierte meine Unwissenheit.

      ›Wissen nicht, wo Ihr Schiff ist?‹ fragte er neugierig. ›Und


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