Spiel des Zufalls. Joseph Conrad

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Spiel des Zufalls - Joseph Conrad


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mich mit dem Schiffe verband, ein Werk des Zufalls war. Ich sagte ihm kurz, daß ich das Schiff überhaupt nicht kannte. Darauf meinte er: ›Das seh' ich wohl! Hier ist es, gerade vor Ihnen! Das hier ist's!‹

      Sofort flößte die Takelage in der Gasbeleuchtung mir Interesse und Achtung ein. Die Spieren waren fest, die Taue und Ketten stark, und das Ganze machte einen kraftvollen, vertrauenerweckenden Eindruck. Nur ganz schwach vom Licht gestreift, stieg der Schiffsbug über den Kaistufen empor. Alle anderen Teile bildeten einen formlosen Klumpen in der Dunkelheit. Hier stand ich Auge in Auge vor meinem ersten Schritt ins Leben. Wir gingen alle zusammen ein paar Schritte auf dem schmierigen Pflaster weiter, zwischen den Wänden des Schiffes und dem hochaufragenden Warenschuppen, wobei ich mir mein Schienbein elend an dem Landungssteg anstieß. Der Polizist rief das Schiff halblaut in tiefem Baß an: › Ferndale, ahoi!‹

      Ein schwacher, trauriger Ton, wie ein Ächzen, kam als Antwort vom Schanzkleid.

      Ich konnte undeutlich gegen die Reling ein unregelmäßiges, rundes Etwas unterscheiden, wie ein Stück Holz etwa. Es bewegte sich nicht im geringsten, aber als ein nochmaliges heiseres Seufzen, wie das noch schwächere Echo jener ersten kümmerlichen Laute diesem dunklen Gegenstand entströmte, kam ich zu dem Schluß, daß es der Kopf des Schiffsliegers sein müßte. Der Schutzmann rief in scherzhaft übertriebenem Dienstton:

      ›Zweiter Offizier kommt an Bord! Rühren Sie sich gefälligst!‹

      Die Richtigkeit der Bemerkung fuhr mir in den Magen. Dort, wissen Sie, ist für mich der wahre Sitz der menschlichen Gefühlsempfindung. Denn es dämmerte mir nun, daß ich für diesen Konstabel ganz einfach der Zweite Offizier eines Schiffs war, wie jeder andere. Ich war gerührt durch den unzweifelhaften Beweis meiner neuen Würde. Nur sein Tonfall beleidigte mich. Trotzdem gab ich ihm das Trinkgeld, das er erwartet hatte. Daraufhin verlor er jegliches humorvolle oder sonstige Interesse an mir und entfernte sich; vor sich her trieb er den ehrlichen Ted, der brummte wie ein hungriger Menschenfresser, sowie den unheimlichen, stummen, kleinen Kerl im Soldatenrock, der von Anfang bis zuletzt keinen Ton von sich gegeben hatte.

      Es war sehr dunkel auf dem Achterdeck der Ferndale, zwischen dem hohen Schanzkleid, im tiefen Schatten des Vorderschotts und der hohen Schuppen längsseits. Ich ließ mich nächst der Achterluke schwer auf meine Kiste fallen, als seien mir die Beine unter dem Leib weggezogen worden. Plötzlich war ich sehr müde und gleichgültig. Der Schiffslieger, den ich kaum unterscheiden konnte, hing über das Gangspill gebeugt, in einem Anfall schwachen, kläglichen Hustens. Zwischendurch röchelte er kaum hörbar: ›Oje, oje‹, und schnappte so lange nach Luft, daß ich ängstlich und beunruhigt aufstand.

      ›So hat's mich jetzt schon seit zwölf Monaten, von letztem Weihnachten an, gepackt. Das heißt nichts!‹

      Er schien mir mindestens hundert Jahre alt. Richtig gesehen habe ich ihn nie, denn er war schon an Land gegangen, als ich am nächsten Morgen an Deck kam; aber er hinterließ mir den Eindruck des schwächsten Wesens, das je gelebt hat. Seine Stimme war dünn, wie das Summen einer Schnake. Da es roh gewesen wäre, von einem so elenden Geschöpf irgendwelche Hilfe zu verlangen, so machte ich mich selbst an die Arbeit und schleppte meine Kiste einen pechschwarzen Gang unter dem Hüttendeck entlang, während er um mich herum seufzte und stöhnte, als seien meine Anstrengungen mehr, als er mitansehen könnte. Als ich endlich recht wuchtig gegen die Schotten gerannt war, mahnte er mich in seinem schwachen, atemlosen Flüstern, vorsichtiger zu sein.

      ›Was ist denn los?‹ versetzte ich ziemlich unfreundlich, nicht sehr entzückt davon, von einem so verkommenen Nachtgespenst zurechtgewiesen zu werden.

      ›Nichts, gar nichts, Herr‹, wandte er so hastig ein, daß er sein bißchen Atem sofort wieder verlor und mir nun wieder leid tat. ›Nur daß der Kapitän und seine Gnädige an Bord schlafen. Sie ist eine Dame, die nicht gestört werden darf. Sie kamen um halb neun Uhr, und wir hatten Erlaubnis, in der Kajüte bis zehn Uhr nachts Licht zu brennen.‹

      Dies schien mir eine nicht unwichtige Neuigkeit zu sein. Ich war nie auf einem Schiff gewesen, auf dem der Kapitän seine Frau mit sich hatte. Ich hatte öfters sagen hören, daß Kapitänsfrauen viel Unfrieden an Bord stiften können, wenn sie sich eine Abneigung gegen irgend jemand in den Kopf setzen, besonders die neubackenen Frauen, wenn sie jung und schön sind. Die alten und erfahrenen Frauen dagegen bildeten sich ein, mehr vom Schiff zu verstehen als der Kapitän selbst, und verfolgten mit Falkenaugen jeden Vorgang. Sie waren wie ein zweiter Obermaat von besonders scharfer und unnachsichtiger Gemütsart, der dann jeden Abend seinen Bericht erstattete.

      Die besten Frauen waren immer noch hinderlich. Allgemein wird angenommen, daß ein Kapitän mit seiner Frau an Bord viel schwerer zu befriedigen ist; ob aber aus dem Grunde, um seine Macht vor einem bewundernden Weibe zur Schau bringen zu können, oder aus liebender Fürsorge um ihr Wohl, oder einfach aus Gereiztheit über ihre Anwesenheit, das hat mir niemand, mit dem ich darüber sprach, genau sagen können.

      Nachdem ich alle meine Sachen untergebracht hatte, rieb ich ein Streichholz an und tat einen raschen Blick auf meine Koje, dann warf ich mein Bettzeug auf das Lager, nahm mir aber nicht die Mühe, es auszubreiten. Ich war jetzt weder schläfrig noch müde, und der Gedanke, daß ich nun für viele, viele Monate mit dem Festlande abgeschlossen hatte, gab mir ein innerliches Gefühl der Beruhigung. Seefahrer werden verstehen können, was ich meine.«

      Marlow nickte. »Ein Gefühl, das nur dieser Beruf kennt«, bemerkte er. »Andere Berufe oder Handwerke wissen nichts davon. Nur dieser eine Beruf, dessen Hauptreiz in der Erwartung nie endender Abenteuer liegt.«

      »Ich möchte es den Frieden der See nennen«, sagte Herr Charles Powell mit ernster Stimme, sah uns dabei aber an, als erwartete er ein abweisendes Lachen zu hören und sei bereit, seinen gesunden Menschenverstand zu beweisen, indem er mit einstimmte. Doch keiner von uns lachte über Herrn Charles Powell, dessen Eintritt ins Leben wir eben mit angehört hatten. Er hatte Glück mit seinen Zuhörern.

      »Sehr gut gesagt«, meinte Marlow und sah ihn zustimmend an. »Ein Seemann findet ein Gefühl innerer Sicherheit in der Ausübung seines Berufes. Das anstrengende Leben auf See hat den einen Vorteil vor dem an Land, daß seine Ansprüche einfach, aber unerbittlich sind.«

      »Goldene Worte«, stimmte Herr Powell bei. »Nein, sie können nicht umgangen werden.«

      Das glänzende Einvernehmen zwischen meinem alten Freunde und unserem neuen Bekannten war erstaunlich genug. Denn sie waren einer des anderen genaues Gegenteil, indem der eine nach Länge, der andere nach Breite strebte, was allein schon Anlaß genug für unauslöschlichen Zwist bietet. Marlow, langgliedrig, nachlässig, eine Farbenkarte der verschiedensten Abstufungen von Braun, ohne alle Lichter, hatte einen engen, verschleierten Blick, die ausgeglichene Haltung und die versteckte Reizbarkeit, die mit der Anlage zu Leberbeschwerden Hand in Hand gehen. Der andere, untersetzt, mit breiten, kräftigen Gliedern, schien angefüllt mit gesunden Organen, von deren ungestörter Zusammenarbeit die strahlende Frische seiner Farben zeugte, sein leichtgewelltes, tiefschwarzes Haar und der Glanz seiner Augen, die groß und sicher aus seinem offenen männlichen Gesicht blickten. Zwischen zwei solchen Organismen hätte man nie die mindeste Übereinstimmung zu finden erwartet. Aber ich habe beobachtet, daß weltliche Männer, die zusammen auf Schiffen leben, wie die heiligen Männer, die sich in Klöstern zusammentun, übereinstimmende Wesenszüge entwickeln. Dies muß daher kommen, daß der Seedienst wie der Tempeldienst losgelöst sind von den Eitelkeiten und Irrungen einer Welt, die keiner strengen Regel folgt. Seeleute verstehen einander gut in irdischen Dingen, denn Einfalt ist ein guter Ratgeber, und Einsamkeit kein schlechter Erzieher. Ihnen allen ist eine Sinnesart eigen, aus Unschuld und Zweifelsucht gemischt, und aus überraschendem Scharfblick für Beweggründe, wie unbeteiligten Zuschauern eines Spiels.

      Herr Powell nahm mich beiseite, um mir zu sagen:

      »Mir gefallen die Dinge, die er sagt.«

      »Sie verstehen sich recht gut«, bemerkte ich.

      »Ich kenne seine Art«, sagte Powell, indem er ans Fenster ging, um nach seinem Kutter auszublicken, der noch immer draußen auf dem Strome lag. »Er gehört zu denen, die immer einen Gedanken im Kopfe um und um wälzen,


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