Sündige Herrschaft. Andreas Nass

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Sündige Herrschaft - Andreas Nass


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überträgt das lähmende Gift. Der Getroffene fällt in einen tiefen Schlaf, damit er lebendig verzehrt werden kann. In der letzten Nacht wurden neunzehn Personen entführt. Mit der Leiche macht das genau zwanzig Waidlinge, einer für jedes Opfer.«

      Bedeutungsvoll sahen wir einander an. Nun lag es an uns, die Markgrafschaft vor weiterem Übel zu bewahren. Einen solchen Schmarotzer konnten wir uns nicht in der Nähe erlauben.

      Wogar und Moi’ra kümmerten sich darum, den Wachen neue Weisungen zu erteilen. Die Wachposten wurden verstärkt und mit Äxten ausgestattet. Unsere Tatkraft bestärkte das Vertrauen unserer Bevölkerung, die folgsam kleine Gruppen bildete, damit ein erneuter Angriff sofort eine Alarmierung zur Folge hätte.

      In der Burg verblieben zog ich Yana zur Seite.

      »Kannst du dir einen Überblick verschaffen, was um die Stadt herum passiert? So weit können die Angreifer nicht weg sein.«

      »Ich werde sehen, was die Kristallkugel mir offenbart. Dazu brauche ich jedoch einiges an Zeit.«

      »Der kleinste Hinweis kann entscheidend sein. Ich fürchte, wir müssen erneut auf Shirkan zurückgreifen. So arrogant wie er ist, so groß ist auch sein Wissen.«

      Ohne weitere Worte küssten wir uns innig und trennten uns. In der Stadt traf ich auf die anderen Markgrafen. Gemeinsam machten wir uns zum Magierturm auf.

      Unser Klopfen wurde schnell beantwortet.

      »Ah!« Weiches Schnurren begleitete Shirkans Worte. »Den hohen Herren ist an weiteren Informationen gelegen.«

      »Euer Wissen«, umschmeichelte ich ihn, »wird entscheidend sein, die Gefahr richtig einzuschätzen. Womit haben wir zu rechnen?«

      Entgegen meiner Erwartungen begann der Rakshasa ohne finanzielle Forderungen, dafür in einer belehrenden Stimme, seine ersten Informationen auszuweiten.

      »Wenn es darum geht, die Orkwaide zu beschreiben, die hier ihr Unwesen treibt, ist gigantisch noch untertrieben. Ihre schiere Größe überragt alle bisher da gewesenen Exemplare. Ihre Zöglinge ernähren sie, und sie gibt ihnen Kraft. Sie handeln zusammen, dabei vermag sie während einer einzigen Nahrungsaufnahme die Population eines kleinen Dorfes aufzunehmen. Sollte es notwendig sein, wachsen ihre Sprösslinge in zwei bis fünf Tagen nach. Aufgenommene Nahrung wird sehr schnell verdaut. Das dunkle Holz begünstigt die überwiegend nächtliche Jagd. Neben den Waidlingen sind es die Äste, von denen Gefahr ausgeht. Sie kann sie wie Tentakeln einsetzen. Jede mit der Kraft eines Baumes. Eines gewaltigen Baumes. Da es eine Pflanze ist, lässt sie sich geistig nicht beeinflussen.«

      »Welche Strecken kann sie zurücklegen?«, hakte ich nach.

      »Am Tag kann sie mehr Wegstrecke als ein Mensch zurücklegen. Hindernisse existieren für sie nicht und sie muss nicht ruhen. Aufzeichnungen zufolge sind Waidlinge im Umkreis von fünfzehn Tausendschritt zum Stamm gesehen worden. Es wurde auch beobachtet, wie zweiunddreißig Menschen auf einmal verschlungen wurden.«

      Mit seinen Tigeraugen sah er jeden nacheinander an. Lächelnd hoben sich einige Schnurrbarthaare. Über den entblößten Fangzähnen zwirbelte er drei Haare.

      »Wenn Ihr den Rat eines alten Haudegen hören wollt«, süffisant tröpfelten seine Worte dahin. Es war keine Frage. Dennoch lächelte ich dankbar.

      »Lasst die kleinen Waidlinge kommen«, empfahl er blasiert. »Vernichtet sie als erstes und nutzt die Zeit, bis neue nachgewachsen sind, um den Stamm zu finden und zu zerschlagen.«

      »Habt Dank für den ausführlichen Rat«, beendete ich unsere Unterredung, »es wird für uns Zeit, Vorbereitungen für die Nacht zu treffen.«

      Nach einer kurzen Verneigung schloss Shirkan die Türe zu seinem Turm. Ich mochte ihn nicht, aber er war nützlich.

      Der Stadtwache wurde der Befehl erteilt, in kleinen Gruppen entlang der Holzpalisaden auf Streife zu gehen. Kein Einwohner durfte sich allein in der Stadt aufhalten. Wer sich nicht daran hielt, würde von uns bestraft werden. Und sobald jemand auf die schwarzen Orks traf, sollten sie schreien. Je eher und je lauter sie schrieen, umso schneller eilten wir zur Hilfe. Die Bevölkerung schien davon angetan, dass sich ihre Herren persönlich um ihr Wohl kümmerten.

      In der Burg suchte ich Yana auf. Sie wirkte enttäuscht und erschreckt zugleich.

      »Was ist, meine Liebste? Konntest du den Baum ausmachen?«

      »Nein, aber damit habe ich auch nicht gerechnet. Die Kugel der Ausspähung kann nur benannte Personen finden, keine Pflanzen. Anhand der Karten habe ich dann den Ort östlich von uns angesehen, Mithol.« Sie sah mich mit großen Augen an und flüsterte: »er existiert nicht mehr.«

      Verwirrt erwiderte ich den Blick.

      »Ist er verwüstet? Gab es einen Angriff?«

      »Nein, als ich ihn zum ersten Mal erblickte, erschien er mir völlig unberührt. Dann bemerkte ich, dass sich niemand in dem Ort bewegte. Er wirkt verlassen, ausgestorben. Nicht einmal Tiere blieben zurück.« Sie atmete tief ein. »Dort hat nichts überlebt.«

      In meinen Gedanken ging ich die Informationen über den Ort durch. Mehrere Hundert Menschen lebten dort.

      »Nein, ihr könnt hier nicht einfach so herein!« Die verzweifelte Stimme einer der Wachen tönte vom Eingang zu uns herüber. Stimmengewirr zeugte von einigem Tumult vor dem Tor. Leicht schwankend kam eine gebeugte, sehr dürre Gestalt von hohem Wuchs mit verfilzten, grünbraunen Haaren und vergleichbar gefärbter, runzeliger Haut herein. Das Gesicht war eine hässliche Fratze mit spitzen Zähnen. Ein Troll. Wenige Schritt vor unserer Tafel blieb er stehen.

      »Was soll der Aufruhr? Nennt uns Euren Namen und warum Ihr so unangemeldet in unsere Runde platzt?« Die Forderung in meinen Worten war unmissverständlich, beruhigte aber zugleich die Zuhörer vor dem Tor.

      »Ich Turlak, aus den Wäldern. Habe meine Trolle mitgebracht, ja.« Für seine dürre Gestalt hatte Turlak eine tiefe, kraftvolle Stimme.

      »Nun gut, Turlak. Ihr seid der Anführer?«, schloss ich aus seinem Auftreten.

      »Alle hören darauf, was ich sage«, antwortete er.

      »Euer Stamm hat eine Siedlung im Westen der Stadt, nicht wahr?«

      »Ja, dort war unsere Siedlung, doch diese nicht mehr sicher. Haben uns gewehrt gegen böse Bäume. Einen haben wir gefällt, doch sind noch viele da, groß wie die höchsten Bäume.« Überschwänglich machte er eine ausholende Bewegung mit beiden Armen zur Decke. »Und andere, klein und knorrig, aber nicht so stark wie Bäume. Viele gefällt davon, war ganz leicht.«

      Am Tisch tauschten wir wissende Blicke aus. Es handelte sich also nicht nur um ein Problem der Stadt. Und es waren mehrere dieser Parasiten in der Gegend.

      »Wollen Stadt helfen gegen garstiges Holz«, bot uns der Trollanführer an, »meine Trolle alles Krieger. Gute Krieger.«

      »Dann heiße ich Euch und Eure Krieger im Namen der Markgrafen willkommen in Ostmark.« Ich nahm Yana an die Hand und stand auf. Gemeinsam mit Turlak und meinen Gefährten traten wir vor das Tor zur Stadt. Misstrauisch von unseren Wachen beäugt warteten die Trolle auf unser Erscheinen. Sie jubelten ihrem Anführer zu, Wogar gebot mit erhobener Hand zum Schweigen. Insgesamt zählte ich fünfzig Trolle.

      »Verteilt euch am Westtor«, gellte unser Halbork über die Menge. Unschlüssig sahen sich die Trolle um, bewegten sich dann in Richtung Osten.

      »Nein, nein!«, herrschte er sie an. »Nach Westen, das ist dort.« Sein ausgestreckter Arm deutete über die Dächer hinweg.

      »Glaubt Ihr, wir wüssten das nicht?«, meldete sich ein in Felle und Knochen gekleideter Troll intelligent zu Wort. Er musste der Schamane sein. »Natürlich werden wir dorthin gehen.« Er hob seinen knotigen Stab, an dem getrocknete Köpfe hingen, und schüttelte ihn, begleitet von einem schrillen Johlen. Munter grölten und stampften die Krieger. Bereitwillig machten die Stadtwachen dem Haufen Platz.

      »Wir werden sie bei Laune halten müssen«, murmelte ich den anderen dreien zu.

      »Und


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