Der Wüstensklave. J. D. Möckli
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Auf einmal taucht Yari blitzschnell hinter dem Tresen ab. Er hat durchs Fenster gesehen, dass sich ein Kunde auf die Tür zubewegt und will nicht riskieren, dass dieser ihn lachen sieht. Auf die Idee, dass er einfach aus dem Laden gehen könnte, kommt er erst, als sich die Tür schon öffnet.
Verwirrt blickt Kai auf seinen Liebsten, als auch schon die kleine Glocke über der Tür bimmelt. Sofort richtet er seine Aufmerksamkeit auf den eintretenden Kunden und würde am liebsten laut losfluchen, doch stattdessen setzt er ein professionelles Lächeln auf und geht um den Tresen herum. »Herr Hong, was verschafft mir die Ehre?«
Breit grinsend schüttelt Hong die Hand des jungen Stoffhändlers. »Herr Mutsuo, ich musste unbedingt vorbeikommen und Ihnen von den neuesten Ereignissen in Edo berichten. Außerdem brauche ich dringend einen schwarzen Samtstoff und Sie verkaufen den besten in der ganzen Präfektur.«
Erleichtert, dass er seine Hand wieder heil zurückbekommen hat, führt Kai den rothaarigen Mann zu dem Regal, in dem er die wenigen Samtstoffe, die er um diese Jahreszeit im Laden verkauft, aufbewahrt. »Natürlich, Herr Hong. Hier, dieser schwarze Samt ist wie für Sie gemacht.« Vorsichtig nimmt er einen der Ballen heraus und trägt ihn zum Verkaufstresen. Den anderen Stoff schiebt er zur Seite, sodass er den Samt darauf ausbreiten kann. »Wie Sie sehen können, ist dieser Samt von ausgezeichneter Qualität, und das zu einem Preis von nur vierzig Silbermünzen.« Unauffällig stellt er sich so hin, dass Hong auf keinen Fall Yari sehen kann, der immer noch grinsend auf dem Boden kauert.
Der findet es gerade saukomisch, dass er sich dort unten vor dieser männlichen Tratschtante versteckt und würde am liebsten so richtig kindisch hochspringen und laut Buh! rufen.
Penibel prüft Hong den Samt, ehe er zufrieden nickt. »Ja, der ist wirklich von guter Qualität. Allerdings werde ich sicher nicht diesen Preis bezahlen. Ich biete Ihnen … fünfundzwanzig Silbermünzen.« Die Arme verschränkend, blickt Hong direkt in die Augen seines Gegenübers.
Immer noch lächelnd schüttelt Kai den Kopf. »Das geht auf keinen Fall, Herr Hong. Wenn Sie einen so billigen Stoff wollen, dann müssen Sie zur Konkurrenz gehen.«
Vor sich hin murrend unterbricht Hong den Blickkontakt, indem er wieder auf den edlen Samt hinuntersieht. »Na gut, dann halt dreißig Silbermünzen.« Dann beginnt er plötzlich breit zu grinsen. »Jetzt aber mal etwas anderes: Sie waren doch auch in Edo. Haben Sie da vielleicht von dem Skandal gehört? Die Tochter von Yamato Kato hat doch tatsächlich versucht, den alten Sklaven ihres Vaters für sage und schreibe einhundert Goldmünzen zu kaufen. Stellen Sie sich das mal vor! Dabei hat das damals schon einen riesen Skandal gegeben, weil sie sich angeblich von dem hat nehmen lassen! Und jetzt kommt der Hammer!« Hong legt eine dramatische Pause ein. »Es wird erzählt, dass sie von dem Sklaven sogar schwanger gewesen ist, das Kind aber verloren hat! Können Sie sich das vorstellen, Herr Mutsuo? Das wäre der Skandal des Jahrzehnts gewesen! Ganz Edo hat sich damals das Maul über sie zerrissen!«
Geschockt hört Kai zu. »Ähm, das ist ja alles sehr interessant, aber warum erzählen Sie mir das? Ich meine …«
»Herr Mutsuo! Der Besitzer des Sklaven hat das Angebot abgelehnt! Stellen Sie sich das vor! Einhundert Goldmünzen! Und der lehnt ab! Zu schade, dass ich nicht weiß, wem der Sklave gehört. Ich würde dem Herrn so gern ein paar Fragen stellen.« Bedauernd fährt Hong mit der Hand über den Samt. »Also … ich biete Ihnen fünfunddreißig Silbermünzen. Was meinen Sie, Herr Mutsuo?« Erwartungsvoll hebt er den Blick.
Nur mit Mühe kann sich Kai zurückhalten, nicht loszuschreien. »Ja … einverstanden. Ich packe Ihnen den Stoff gleich ein.«
Während er den Samt vorsichtig in das Leinen wickelt, schielt er kurz zu Yari, der stocksteif und mit zu Fäusten geballten Händen dasitzt. Leider kann er nichts tun, außer Hong schnell loszuwerden.
Gegen seine Wut ankämpfend, sitzt Yari da und kann sich nur mit Mühe beherrschen. Am liebsten würde er Hong in Grund und Boden brüllen. Nur der Gedanke, dass Kai und Großvater darunter zu leiden hätten, lässt ihn die Fassung bewahren.
Verblüfft über die schnelle Einigung zählt Hong die Münzen ab und wartet dann darauf, dass der Stoffballen seinem Sklaven übergeben wird. »Ich würde ja wirklich noch gern ein wenig mit Ihnen plaudern, Herr Mutsuo, aber die gute Frau Aino wartet auf mich, da ich ihr versprochen habe, sie mit den neuesten Neuigkeiten aus Edo zu versorgen. Wer bietet denn schon einhundert Goldmünzen für einen Sklaven, der weit jenseits der Zwanzig ist? Das ist doch für einen Lustsklaven uralt. Und dann schlägt der Besitzer das Angebot auch noch aus. So einen guten Preis wird der für den Sklaven doch nie mehr bekommen, oder was meinen Sie, Herr Mutsuo?« Gespannt sieht er sein Gegenüber an.
Zu seiner Enttäuschung erwidert dieser den Blick nicht, sondern konzentriert sich darauf, den Ballen dem Sklaven zu übergeben.
»Also ich hätte das Angebot sicher nicht ausgeschlagen. Schließlich ist ja jeder Sklave durch ein besseres Exemplar ersetzbar«, versucht Hong noch einmal die Aufmerksamkeit Kais zu bekommen.
Auffordernd streckt Kai die Hand aus. »Sind das die fünfunddreißig Silbermünzen?«
Weil er weiß, dass Hong darauf besteht, dass die Münzen vor dessen Augen abgezählt werden, legt Kai sie einzeln in die Kasse. Dann schließt er den Deckel und sieht seinen Kunden auffordernd an. »Wie immer genau abgezählt. Ich bin sicher, Frau Aino wird sich über Ihren Besuch freuen.« Mit steifen Bewegungen begleitet er den Mann zur Tür. »Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, Herr Hong, und grüßen Sie Frau Aino von mir.«
»Natürlich werde ich das, Herr Mutsuo. Sie sind ja schließlich unser liebster Stoffhändler. Die anderen kann man nämlich nicht gebrauchen, die wollen einem ja immer nur das Schlechteste zum teuersten Preis verkaufen. So, ich muss los. Auf Wiedersehen.« Ohne auf seinen Sklaven zu achten, eilt Hong aus dem Laden und dann die Straße hinunter.
Erleichtert, dass er Hong endlich losgeworden ist, schließt Kai die Tür und dreht auch gleich den Schlüssel um. Bis zum Mittagessen will er keine Kunden mehr sehen. Nachdem auch das Schild richtig hängt, geht er zu Yari, der immer noch mit zu Fäusten geballten Händen auf dem Boden sitzt. »Yari …« Vorsichtig geht er vor ihm in die Knie, um ihn nicht zu erschrecken.
»Als ihr Vater damals ins Zimmer geplatzt ist, war sie schon seit zwei Monaten schwanger«, sagt Yari leise. »Allerdings hat sie es ihrem Vater nicht gesagt und das Kind heimlich abgetrieben. Schließlich geht es ja nicht, dass sie, als Tochter eines Katos, den Balg eines Sklaven austrägt. Kurz darauf bin ich dann verkauft worden, weil Kato befürchtete, dass seine Tochter irgendwann von mir schwanger werden könnte und sich die Gerüchte bestätigen würden. Was für eine Ironie.« Yari weiß nicht mehr, ob er damals deswegen wütend oder erleichtert war, aber die Erinnerung daran schmerzt.
Mit einem unterdrückten Aufschluchzen schmiegt er sich an seinen Sharik, der ihn tröstend umarmt. Immer wieder sieht er sich an der Tür zum Wohnzimmer stehen, in dem Veronika und ihre Freundin sich damals unterhalten haben, wodurch er erfahren hat, dass sie von ihm schwanger war. Schon damals hatte es ihn geschockt, denn auch wenn er wusste, dass diese Frau ihn benutzt hatte, so war ihm bis zu diesem Zeitpunkt nicht klar gewesen, wie sie mit ihm geschlafen hatte.
»Ach, Yari …« Sanft streichelt Kai über den bebenden Rücken seines Liebsten. Nur schwer kann er sich vorstellen, wie es in Yari jetzt aussehen muss. Nicht zum ersten Mal wünscht er sich, dass er es diesen Mistkerlen heimzahlen könnte, die Yari so gequält haben.
Ren wundert sich, wo die beiden Jungs bleiben, schließlich ist es schon längst Zeit fürs Mittagessen, daher geht er in den Laden, um nachzusehen.
»Was ist passiert?«, fragt er besorgt, als er die beiden am Boden kauern sieht. Mit knackenden Kniegelenken geht er neben Yari in die Hocke, der sein Gesicht jedoch in Kais Oberteil vergraben hält.
Ohne seinen Griff zu lockern, hebt Kai den Blick. »Hong war hier und hat erzählt, dass wir in Edo wohl Gesprächsthema Nummer eins sind, weil bekannt geworden ist, dass jemand einhundert Goldmünzen für einen Sklaven ausgeschlagen hat. Dabei hat er auch noch etwas weiter ausgeholt und davon erzählt, dass