Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frisst – Band 185e in der gelben Buchreihe – bei Jürgen Ruszkowski. Ханс Фаллада

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Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frisst – Band 185e in der gelben Buchreihe – bei Jürgen Ruszkowski - Ханс Фаллада


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her?“

      „Dann verlange ich Vorführung beim Stellvertreter von Herrn Direktor.“

      „Wachtmeister, führen Sie Kufalt bei Herrn Polizeiinspektor vor. – Also jetzt Sie, Batzke. Sie legen ja wohl keinen besonderen Wert auf eine Abmeldung aus dem nächsten Hotel?“

      „Wenn mein Geld stimmt, Herr Inspektor, können Sie meinetwegen schreiben, ich bin Muttermörder.“

      „Hören Sie, Kufalt!“ sagt der Inspektor triumphierend.

      * * *

       10

      Der Polizeiinspektor ist ein milder, weißhaariger, sanfter Mann, ein fetter Mann, ein leiser Mann, ein stiller Mann, kaum zu merken eigentlich, so leise und still, so sanft. Und doch vielleicht der unbeliebteste Mann im Bau. Die Gefangenen nennen ihn den Judas.

      Kufalt kann nicht vergessen, dass der Inspektor im ersten Haftmonat einen Zellenbesuch bei ihm machte, da war er teilnehmend und gut, am Schluss sagte er zu ihm: „Und wenn Sie einmal einen Wunsch haben, Kufalt, so sagen Sie ihn mir mündlich. Ich komme jeden Monat einmal auf Ihre Zelle.“

      Kufalt hatte Wünsche und wartete auf den Inspektor. Nun ist es so bestimmt, dass Gefangene nur einmal im Monat an einem bestimmten Tage zu einer bestimmten Stunde einen Wunsch äußern dürfen, ist die Stunde verstrichen, müssen Sie wieder einen Monat warten.

      Kufalt wartete drei Monate auf den versprochenen Besuch des Inspektors, um ihm seinen Wunsch mündlich vorzutragen. Der Polizeiinspektor kam nicht. In den fünf Jahren kam er nicht einmal wieder auf Kufalts Zelle. Er hatte das ‚nur so’ gesagt, einfach hingesagt, um sich im Augenblick angenehm zu machen, er hatte dann nie wieder an Kufalt gedacht. Aus Neugierde war er ein einziges Mal bei dem frisch Eingelieferten gewesen.

      Kufalt hat ihm das nicht verziehen. Er hat es nie über sich gebracht, an den Mann noch eine Bitte zu richten, und so sagt er denn jetzt auch nur: „Herr Inspektor, es gibt eine Bestimmung in der Vollzugsordnung, dass aus dem Abmeldeschein nicht hervorgehen darf, dass der Entlassene aus einer Strafanstalt kommt. Die wollen mir aber einen Schein aus dem Zentralgefängnis mit dem Stempel Zentralgefängnis geben.“

      Der Polizeiinspektor sieht den Gefangenen lange an. Dabei wiegt er den weißen, runden Kopf hin und her und schaut in eine Ecke, wo nichts ist wie ein Schrank mit Akten. „Wieder“, sagt er bedauernd. „Wieder.“ Er wiegt den Kopf hin und her. „Ein Jammer ist das.“

       Kufalt steht vor ihm und wartet, worauf das Theater hinaus soll. Denn dass der Polizeiinspektor über irgendetwas, was einen Gefangenen angeht, Bedauern empfinden könnte, übersteigt seine Glaubenskraft.

      Hinter Kufalt steht in dienstlicher Haltung der vorführende Wachtmeister. Eine Uhr an der Wand, geschmückt mit Eichenlaub, Schwertern und Adler, tickt sehr vernehmlich die Zeit fort. Der Polizeiinspektor lenkt seinen Blick auf den Gefangenen zurück. „Und was sollen wir tun?“

      „Mir eine vorschriftsmäßige Bescheinigung geben.“

      „Ja, natürlich!“ sagt der Inspektor freudig. „Ja, natürlich!“ Er verfällt erneut in Bedauern: „Nur...“ ganz leise und vertraulich: „...es gibt Hindernisse.“

      Er lehnt sich in seinen Schreitischsessel zurück und sagt: „Es gibt Bestimmungen zweierlei: durchführbare – undurchführbare. Ich will nichts gegen diese Bestimmung sagen, im Gegenteil, sie ist sozial, sie ist human, sie entspricht dem Geiste heutiger Volksvertretung, nur – durchführbar ist sie nicht. Überlegen Sie sich, Kufalt, ich spreche jetzt nicht zu Ihnen als zu einem Gefangenen, ich spreche zu Ihnen als zu einem Menschen von Verstand und Bildung.“

      Der Inspektor hält inne. Er sieht Kufalt müde an. Er sagt langsam und sanft: „Das Zentralgefängnis liegt in einer Stadt. Diese Stadt hat ein Meldebüro. Dieses Meldebüro hat eine Einwohnerkartei. Wir lassen uns, nach dem Buchstaben Ihrer Bestimmung, eine Anzahl Meldeformulare geben. Wir füllen sie aus, wir wollen sie den Entlassenen geben und – und –“

      Wieder schaut der Polizeiinspektor in die Ecke. Kufalt wartet geduldig, er hat sich beruhigt, sein Plan ist fertig. Lass den reden, er kriegt seine Abmeldung schon.

      „...Und“, sagt der Polizeiinspektor, „der Gefangene weist die Abmeldung zurück. Sie lächeln, Kufalt“ (er denkt nicht daran), „Sie glauben mir nicht. Und doch weist der Gefangene die Abmeldung zurück. Sie sind mir nicht gefolgt. Was fehlt der Abmeldung? Der Stempel fehlt! Denn was können wir tun? Entweder drücken wir den Stempel vom Zentralgefängnis darauf, dann ist der Bestimmung nicht Genüge getan, oder wir lassen sie ungestempelt, dann ist die Abmeldung ungültig.“

      „Und als drittes besorgen Sie sich einen Stempel des städtischen Meldeamts.“

      „Kufalt! Kufalt! Sie, ein Mann von Verstand und Bildung! Wir sind ein Zentralgefängnis, wie können wir einen Meldeamtsstempel führen? Nein“, ganz traurig, „diese Bestimmung ist nicht durchführbar, so ideal und sozial sie scheint. – Sie sehen es ein?“

      „Ich bitte um eine Abmeldung nach Vorschrift der Strafvollzugsordnung.“

      „Ich täte es gerne, Kufalt, so gerne! Es ist un–mög–lich! Wachtmeister, führen Sie den Mann nach erteilter Belehrung...“

       „Wenn ich eine Abmeldung mit dem Stempel des Zentralgefängnisses bekomme, so schicke ich sie an meinem Entlassungstage an den Rechtsausschuss beim Landtage unter Wiederholung der mir erteilten Belehrung...“

      Stille.

      „Natürlich“, sagt der Polizeiinspektor, aber nicht mehr sanft, sondern mit einer scharfen, kratzigen Stimme. „Na–tür–lich! Mit dem Kopf durch die Wand. Ich habe es nie anders von Ihnen erwartet. Es ist unklug, Kufalt, Sie denken jetzt nur daran, dass Sie entlassen werden, Sie denken nicht daran, dass Sie auch einmal wieder...“

      Er bricht ab. Und Kufalt fragt: „Was einmal wieder? Bitte, Herr Inspektor?“

      „Es ist schon gut. Wachtmeister, führen Sie den Mann ab. Sagen Sie, dass eine Abmeldebescheinigung für ihn vom Einwohnermeldeamt geholt werden muss.“

      „Ich danke auch schön, Herr Polizeiinspektor.“

      Herr Polizeiinspektor hustet gerade, er kann nicht antworten.

      * * *

       11

      Kufalt steht wieder auf der Abfertigung. Der Wachtmeister hat seine Meldung gemacht. Die anderen Abgänge sind schon fort, erledigt.

      Nun sagt der Inspektor: „Ihre Strafzeit ist um 13 Uhr 20 vorbei.“

      Worauf Kufalt antwortet: „Ich bitte, wie üblich, morgens entlassen zu werden.“

      Der Inspektor sagt grob: „Was heißt wie üblich? Sie kennen doch die Strafvollzugsordnung so gut! Die Gefangenen sind so zu entlassen, dass sie noch am Entlassungstage ihren Bestimmungsort erreichen. Sie wollen nach Hamburg entlassen werden. Sie haben also am Nachmittag überreichlich Zeit, Ihren Bestimmungsort zu erreichen.“

      Kufalt sagt: „Aber sämtliche Gefangene werden morgens um sieben Uhr entlassen.“

      „Das überlassen Sie uns. Wir riskieren womöglich noch eine Beschwerde, wenn wir Ihnen was von Ihrer Haftzeit rauben.“

      Kufalt steht und schweigt. Nun natürlich, er kann froh sein, wenn es damit noch abgeht. Es gibt viele Möglichkeiten, einem Gefangenen vierundzwanzig Stunden zur Hölle zu machen.

      Der Inspektor fängt neu an: „Ihre Arbeitsbelohnung beträgt 315 Mark 87 Pfennige.“

      Kufalt sagt: „Darf ich einmal die Abrechnung sehen?“

      „Ellmers, geben Sie dem Herrn Kufalt seine Abrechnung zur Prüfung und Genehmigung.“

      Kufalt sieht die Abrechnung an. Ihn interessiert nur die letzte Pensumzahl, und siehe, es sind doch nur sechzehn Pensum angeschrieben, nicht siebzehn!

      Er überlegt, ob er wieder meckern soll, aber er besinnt sich und schweigt.

      


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