Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris. Maria Anna Oberlinner
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Der Verliebte müsse sich also, wie Ovid ausführt, durch eine autoinduzierte Form der Therapie heilen, indem er den Zustand psychischer Gesundheit nur vorgeben und konträr zur eigentlichen Gefühlslage so tun solle, als litte er nicht unter Liebesqualen, und indem er sein eigenes Verhalten durch Autosuggestion zur Gewöhnung machen und so habitualisieren solle.19 Dabei schließt sich diese Vorschrift (v. a. V. 497f.) an eine entsprechende Methode in der Ars amatoria an:20
est tibi agendus amans imitandaque uulnera uerbis; | |
[…] | |
saepe tamen uere coepit simulator amare; | |
saepe, quod incipiens finxerat esse, fuit. (ars 1, 611; 615f.) |
Das Verlieben und das ‚Entlieben‘ werden also auf ähnliche Weise, nämlich mithilfe des ‚simulare-‘ bzw. ‚So-Tun-Als-Ob-Verfahrens‘ gelernt. Zwar besteht in beiden liebesdidaktischen Werken ein Kontrast zum Rationalismus des Lukrez.21 Die Remedia und die Diatribe in De rerum natura stehen sich aufgrund ihres Sujets, der Belehrung, wie man von der Liebesleidenschaft befreit werden kann, in ihrer Zielsetzung aber sehr nahe. Dadurch, dass das lukrezische Lehrgedicht im ars agendi-Part der tractatio (V. 135–488) und bei der Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für die Therapie (vgl. V. 79–134) somit als Prätext fungiert, ist der nun endgültige22 Bruch mit Lukrez ab V. 489 umso auffälliger.
Ovid bedient sich vorrangig eines sprachlich-stilistischen Mittels, mit dem er die sukzessive und letztlich gänzliche Entfremdung der Remedia von De rerum natura 4 erreicht und die Nachahmung23 seines Vorgängers in der amüsanten Inversion von dessen Werk gipfeln lässt: nämlich eines Wortspiels. In der Fokussierung auf das Verb simulare und dessen Bedeutung entzieht Ovid, wie ich im Folgenden zeige, dem Epikureer auf humorvoll-parodistische Weise das Fundament seiner simulacra-Theorie.
4.1.3 ‚simulare vs. simulacra‘
Das Verbum simulare taucht wie auch dissimulare im gesamten ‚liebes-elegischen‘ Œuvre Ovids, den Amores, den Heroides, der Ars amatoria und den Remedia amoris, auf,1 wobei dem Motiv der Täuschung und Selbst-Täuschung aufgrund seiner Omnipräsenz2 in den didaktischen Werken strukturgebende Funktion zugesprochen werden kann.3 Vorab seien hier Wilfried Strohs (1972, 1979) Erkenntnisse dargestellt, der die Parallele zu den rhetorischen Konzepten der simulatio und der dissimulatio artis berausgearbeitet hat; denn die rhetorische Tradition bildet eine der Grundlagen der Ars amatoria4 und der Remedia amoris.5 Im ursprünglichen Rede-Kontext sind die beiden komplementären Figuren der Ironie zugeordnet. Beschreibt die dissimulatio das „Verbergen von […] Wissen, Kunst oder auch Talent“6, artikuliert man mithilfe der simulatio etwa Meinungen, die der Wahrheit entbehren oder hinter denen man nicht steht.7 Die dissimulatio artis findet in ihrer ursprünglichen rhetorischen Bedeutung Eingang in die Ars amatoria. So soll der Liebhaber beispielsweise nicht vor dem begehrten Mädchen deklamieren oder den Kunstcharakter seiner Rede herausheben, sondern seine Kunstfertigkeit verbergen und als mühelos versierter Redner erscheinen (vgl. ars 1, 463f.: sed lateant uires, nec sis in fronte disertus; / effugiant uoces uerba molesta tuae).8
Auch die simulatio begegnet dem lernwilligen Schüler bei den Instruktionen des praeceptor in Form von Anweisungen zur simulatio amoris (vgl. ars 1, 611–646). Die gleichfalls auf dem ‚So-Tun-Als-Ob‘-Mechanismus beruhende simulatio sanitatis9 in den Remedia (quod non es, simula positosque imitare furores: / sic facies uere, quod meditatus eris, rem. 497f.) „korrespondiert“, wie Stroh herausstellt, also mit der simulatio amoris der Ars.10
Die Täuschung zum Zweck der Erregung bzw. Beendigung von Liebesleidenschaft funktioniert, so Stroh, analog zur simulatio der Rhetorik. Da für einen Redner, wie Cicero in de orat. 2, 189 beschreibt, eine „Affekterregung“ beim Zuhörer „Affektübertragung“ sein müsse, sei ein bestimmter Grad an Täuschung (simulatio) unvermeidlich.11 Die Simulation des Affektes könne jedoch auf den Redner rückwirken und die vorgegebene in eine authentische Haltung transformieren.12 So auch beim Liebenden, dessen Begierde bereits entfacht ist:13 In einem amor simulatus steckt das Potenzial, nicht nur wahre Liebe beim Mädchen, sondern auch im werbenden Mann selbst zu erwecken. Durch die Adaption der in der Redekunst bewährten simulatio für die Ars und die simulatio sanitatis als „Technik einer zum guten Teil rhetorischen Selbsttherapie“ werde Stroh zufolge „der Affekt der Liebe endgültig verfügbar“14.
Mein Interesse liegt jedoch weniger auf den rhetorischen Strukturen und Elementen in Ovids liebesdidaktischer Tetralogie, sondern vielmehr auf einem anderen Bereich, auf den das Wort simulare verweisen kann. Dieser betrifft nicht die Rhetorik, sondern die epikureische Erkenntnistheorie und die Rolle, welche den simulacra darin zukommt. Wenn man den quantitativen Gebrauch des Verbs in den Remedia betrachtet, fällt auf, dass Ovid es ausschließlich und kumulativ dreimal im Zuge des praeceptum zur Vorspiegelung der eigenen Genesung verwendet (vgl. rem. 493–515). Das Wortfeld des Täuschens wird dabei durch die im Hinblick auf ihre Semantik grundsätzlich vergleichbaren Verben fallere (vgl. V. 513), decipere (vgl. V. 501), imitari (vgl. V. 497) und fingere (vgl. V. 504), welche dem Leser ebenfalls bereits aus der Ars amatoria bekannt sind,15 ausgebreitet. Wie Einträge im ThLL und dem OLD16 zeigen, nähern sich diese Wörter der Bedeutung von simulare („[t]o act the part of, pretend to be“17) an: Für die Semantik von imitari in rem. 497 lautet die Paraphrase: „c[um] notione i n a n i t a t i s vel fallaciae, fere i.q. simulare, falso ostentare sim[iliter]“18, wobei simula explizit als Synonym für die Imperativform imitare ausgewiesen ist. Fingere steht an dieser Stelle in den Remedia (V. 504) laut OLD für „to make a pretence of (doing or feeling something), feign, simulate […] [,] to play the part of, pose as, imitate“19.
Das breite Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten für die Selbsttäuschung, welches Ovid in seinem liebesdidaktischen Opus auch vielfach gebraucht, lässt die Häufung und Dominanz von simulare in diesem praeceptum der Remedia auffällig erscheinen, in dem die Lehrer-Persona fordert, dass man sich in seinem Verstand so lange der illusorischen Vorstellung der eigenen Genesung hingeben müsse, bis die Simulation