Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris. Maria Anna Oberlinner

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Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris - Maria Anna Oberlinner


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Ovid „führte […] den Anfang des dritten Georgicabuches in continuo in Form einer Kontrast­imitation vor, die seine Anhänger […] leicht erkennen und amüsiert zu würdigen wissen würden.“24 Mit dieser Schlussfolgerung richtet Woytek in seiner Interpretation den Blick also auf die intertextuelle Bezugnahme, wobei er die Wahrnehmbarkeit durch das Leserpublikum betont (in dieser Hinsicht entspricht seine Perspektive auch Pfisters Kommunikativitätsaspekt bei intertextuellen Untersuchungen)25.

      Wenn man die bisherigen Erkenntnisse im Blick hat, zeigt sich, dass Ovid auf ähnliche Weise mit beiden paradigmatischen Lehrgedichten seiner Zeit umgeht. Er evoziert bewusst einzelne Passagen durch inhaltliches und/oder wörtliches Anzitieren, durch mehr oder minder stark markierte Parodie von Struktur bzw. Wortmaterial, um dazu einen komisch, je nach Perspektive vielleicht auch subversiv, wirkenden Gegensatz in seinem eigenen ‚anti-eroto-didaktischen‘ Werk aufzubauen.26 Hieraus lässt sich Ovids genereller Umgang mit der didaktischen Poesie induzieren, den ich im Folgenden noch weiter belege: Ovid imitiert und parodiert in seinen Remedia amoris nicht nur Lukrez, sondern allgemein Prätexte, welche die didaktische Poesie repräsentieren, wie eben auch Vergil, und die Gattung selbst. Diesem Ansatz begegnet man auch bei Horaz, dessen Einfluss auf die Remedia in den Kapiteln 4.3.1.1–4.3.1.3 im Zentrum steht.27 Die vierte Satire seines zweiten Buches stellt nämlich ebenfalls eine Lehrgedichtsparodie im Allgemeinen und eine Lukrez- und Epikureismus-Parodie im Speziellen dar, wenn Catius in pseudo-philosophischer Diktion letztlich nur Feinschmeckerratschläge aneinanderreiht.28

      Neben der Einzeltextreferenz auf die paradigmatischen lateinischen Lehrgedichte De rerum natura und Georgica ist also zugleich auch die Systemreferenz der Remedia auf die didaktische Poesie im Allgemeinen in den Blick zu nehmen, deren Vermischung mit dem elegischen Gattungsdiskurs die spezifisch hybride Natur der Remedia (und auch der Ars) ausmacht.29 Es gibt dabei gewisse Übereinstimmungen mit grundsätzlichen Tendenzen des Lehrgedicht-Genres. Denn wenngleich ein Lehrwerk zum Sich-Verlieben und auch zum ‚Entlieben‘ in Versen und nicht in Prosahandbüchern zur Erotik – einem Typus, der auch Gegenstand von Ovids intertextueller Referentialität ist –30 nicht nur etwas Komisches, sondern auch Innovatives darstellt, so war die didaktische Poesie, wie bekannt ist, doch schon immer offen für Experimentierfreudige. Volk (2002) beschreibt ihre Entwicklung sowie wesentliche Merkmale: So wurden besonders im Hellenismus spielerische, „obskure“ Themen behandelnde Lehrgedichte wie Nikanders Theriaka und Alexipharmaka zur Unterhaltung des gelehrten Leserpublikums teils als „l’art pour l’art“ präsentiert.31 In Archestratos’ Hedypatheia – in der Nachfolge als Hedyphagetica von Ennius bearbeitet – beispielsweise richtet, wie wir aus den erhaltenen 63 Fragmenten wissen, der Lehrer an die Schüler Moschus und Cleander die Anweisungen, wo man ausgezeichnetes Essen finden könne und wie man es zubereiten müsse.32 Und auch über „fashionable pastimes“ wie Würfel- oder Ballspiel gab es zu Ovids Zeiten ausreichend Lehrwerke, wenn man, so Volk, seiner Aussage in Tristia 2 vertrauen könne.33 Dennoch ruft die Verbindung der formalen Strukturelemente des Lehrgedichts, das ursprünglich für ‚technischere‘ Themen entwickelt worden war, mit dem so „frivolen“ und nicht auf ein Fachpublikum ausgerichteten Lehr-Gegenstand der Liebe neuartige humorvolle Spannungen hervor.34

      Ebenso sind Abweichungen vom Hexameter, obwohl er das seit Hesiod etablierte Standardmetrum für didaktische Poesie war,35 bereits vor Ovid belegt. In, wie Volk vermutet, Anpassung an das von ihnen jeweils behandelte Thema verwenden Porcius Licinius trochäische Septenare und Volcacius Sedigitus in De poetis jambische Senare, da sie beide über die Komödie schreiben.36 Wenn Ovid nun für die Remedia amoris in Nachfolge und Fortführung der Ars das elegische Distichon wählt, weil er die Wege zur Befreiung von unglücklicher elegischer Liebe mitteilen will, gliedere er sich also in die Reihe von Dichtern ein, die im Metrum die inhaltliche Dimension ihres Lehrgedichts widerspiegeln – wobei sich aber die Remedia mit ihrem ‚Wenn-Dann-Muster‘37 und der Organisation nach thematischen Blöcken wieder mehr als die Ars amatoria, die aufgrund der strukturellen Chronologie der sich entwickelnden Liebesbeziehung einem Liebesroman gleicht, an die Grundstruktur eines didaktischen Lehrwerks anlehnen.38

      Neu und doppelt einzigartig an Ovids intertextuell-parodistischem, humorvollem Umgang mit der didaktischen Tradition ist zudem, dass er in den Remedia von einem Schüler ausgeht, der bereits instruiert wurde, und zwar von Ovid selbst: Seine Werke sind also „antidotes to the ‘poisons’ that his erotic poems […] have previously spread.“39 Daran zeigt sich auch der Unterschied zu Nikanders Werken, in denen es um giftige Tiere und Pflanzen und die Heilmittel dagegen geht und die oft zu unreflektiert als Vorbild für Ovid angesehen werden.40 Denn der ovidische Lehrer ist durch die erfolgreiche Durchführung des Lehrgangs in Sachen Liebe selbst für die Ausgangslage der unglücklich Verliebten zuständig: „Through his teaching he provoked the very illness of his readers whom he now addresses as therapist and saviour.“41 Zudem ist dieses Lehrgedicht insofern etwas Besonderes, als der Schüler nichts Neues lernen, sondern vielmehr den erworbenen Lernstoff vergessen soll, dum bene de uacuo pectore cedat amor (rem. 752).42

      4.2.2 Die Funktionalisierung didaktischer Standards für die Remedia amoris

      Ovids produktive Verarbeitung der Lehrgedichtstradition geht, wie ich denke, noch weiter und zielt über die Erweiterungen formaler Konventionen1 und den spezifischen Bezug auf einzelne Prätexte hinaus. Denn Ovid erreicht seine inhaltlichen und formalen Innovationen nicht einfach nur durch die von ihm selbst gesetzten Akzente. Vielmehr gewinnt die Liebestherapie ihre Konturen vor dem Hintergrund herkömmlicher didaktischer Themen, die in ihrer Bedeutung dem Prozess des ‚Entliebens‘ hierarchisch untergeordnet werden.

      Zu Beginn der ars agendi bringt Ovid einen Dreierblock an Vorschriften, mit denen das dediscere (vgl. rem. 211) der Liebesqualen möglich sei. In den Versen 169–210 wird dem Schüler, wie bereits angeführt, zunächst die Landarbeit mit dem Bestellen der Felder in bukolisch anmutender Umgebung und der Ruhe und Stabilität bringenden Routine des Jahresablaufs empfohlen: rura quoque oblectant animos studiumque colendi; / quaelibet huic curae cedere cura potest (V. 169f.). Der Abschnitt von V. 199–210 ist in die Beschreibung zweier studia aufgeteilt, der Jagd auf Hasen, Hirsche und Eber (bis V. 206), und des Vogel- und Fischfangs (bis V. 210). All diese Bereiche sind nun laut Laurel Fulkerson (2004) „fit subjects for didactic poetry“2, wie man auch mit Blick auf die Lehrgedichtstradition zur Zeit Ovids und im weiteren Verlauf der Kaiserzeit sehen kann.3 So wird das nur fragmentarisch überlieferte Lehrgedicht Halieutica, das von den natürlichen Schutzmechanismen von Fischen und von möglichen Fangtaktiken handelt, Ovid zugeschrieben (vgl. die Aussage Plinius’ des Älteren: mihi uidentur mira et quae Ouidius prodidit piscium ingenia in eo uolumine, quod sat alieuticon inscribitur, Plin. nat. 32, 11), wenngleich die Authentizität der 134 Hexameter oft angezweifelt wird.4 Als Beispiel für ein Lehrgedicht zum Thema Jagd lassen sich Grattius’ ebenfalls nur fragmentarisch erhaltene Cynegetica anführen, deren Programm zu Beginn dieses Werkes ersichtlich wird: carmine et arma dabo et uenandi persequar artis (V. 23).5 Ovid selbst erwähnt Grattius und, als Anspielung auf dessen Proöm,6 aptaque uenanti […] arma, die er dem Leser an die Hand gibt, und zwar in seinem Katalog befreundeter Dichter (Ov. Pont. 4, 16, 34). Und mit Vergils Georgica, die in der Remedia-Passage beispielsweise mit Blick auf die Bienenzucht (vgl. rem. 185f.) mehrfach aufgerufen werden,7 liegt schließlich ein prominentes Zeugnis für die Behandlung landwirtschaftlicher Themen vor. Dass Landleben und Jagd zudem auch topisch als Mittel für die Heilung von Liebeskummer gelten,8 schließt dabei m. E. die Möglichkeit nicht aus, dass Ovid hier die didaktisch-generische Bedeutungsdimension dieser Themen fokussiert.

      Ob er nun direkt auf bestimmte, eventuell auch selbst verfasste, didaktische Werke, oder nur allgemein auf typische Lehrgedichtsthemen anspielt: Sicherlich reduziert Ovid ihre Bedeutung darauf, dass sie nur noch als einzelne Vorschriften für sein übergeordnetes Programm der Liebestherapie aufgeführt9 und somit im Rahmen seiner eigenen Didaxe funktionalisiert werden.10 Die „anamorphotische“11 Tendenz Ovids wird also auch hier spürbar: Während er beispielsweise aus Lukrez’ „miniature remedia amoris“12 ein Opus im Umfang von 814 Versen kreiert, komprimiert er ganze Lehrgedichte und verwandelt sie in praecepta


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