Die verlorene Handschrift. Gustav Freytag

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Die verlorene Handschrift - Gustav Freytag


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eine tiefe Baßstimme in befehlendem Ton. Die Freunde wandten sich schnell um. Vor dem Hofthor stand ein mächtiger breitschultriger Mann mit kurzgeschorenem Haar und sehr energischem Ausdruck im sonnenbraunen Gesicht. Hinter ihm steckten Wirthschaftsbeamte und Knechte neugierig die Köpfe durch das Thor und ein großer Hund fuhr bellend gegen die Fremden. »Zurück, Nero,« rief der Landwirth und pfiff den Hund zu sich, dabei sah er mit kaltem Polizeiblick auf die Fremden.

      »Herr Gutsbesitzer Bauer?« frug der Professor grüßend.

      »Der bin ich, und wer sind Sie?« gab der Gutsherr die Frage zurück.

      Der Professor nannte die Namen und den Ort, von dem sie kamen. Der Wirth trat einen Schritt näher und prüfte das Aussehen der Beiden von oben herab.

      »Dort wohnen ja wohl keine Jesuiten,« sagte er; »wenn Sie aber hierher kommen, Verborgenes zu finden, so war die Reise unnütz, hier finden Sie nichts.«

      Die Freunde sahen einander an, sie standen nahe am Hause, aber fern vom Ziel.

      »Sie machen uns fühlbar,« erwiederte der Professor, »daß wir ohne Vermittlung eines Dritten an Ihre Wohnung treten. Obgleich Sie aber über den Zweck unseres Herkommens bereits eine Vermuthung ausgesprochen haben, ersuche ich Sie doch, uns deshalb eine Erklärung vor weniger Zeugen zu gestatten!«

      Die feste Haltung des Professors verfehlte nicht ganz die Wirkung. »Wenn Sie in der That ein Geschäft zu mir führt, so werden wir das allerdings besser im Haus abmachen. Folgen Sie mir, meine Herren.« Er lüftete ein wenig seine Mütze, wies mit der Hand nach dem Thor und schritt voraus. »Nero, Teufelshund, kannst du nicht Ruhe halten!«

      Der Professor und der Doctor folgten, an sie schlossen sich Wirthschaftsbeamte und Knechte und der knurrende Hund. So wurden die Fremden in einem ungemütlichen Zuge nach dem Wohnhaus geführt. Trotz ihrer mißlichen Lage sahen sie doch mit Neugierde auf den großen Hof, auf die Arbeit des Einscheuerns, auf einen Trupp Gänse, welcher, durch den Zug gestört, breitbeinig und schnatternd über den Weg schritt. Dann überflog ihr Auge das Wohnhaus, die breiten steinernen Stufen mit Bänken an beiden Seiten, die gewölbte Thür, das übertünchte Wappen am Schlußstein. Sie traten in einen geräumigen Hausflur, der Gutsherr hing seine Mütze auf einen Kleiderrechen, drückte mit schwerer Hand die Klinke der Wohnstube und machte wieder eine Handbewegung, welche höflich sein sollte und die Fremden zum Vortritt einlud. »Jetzt sind wir allein,« begann er, »womit kann ich Ihnen dienen? Sie sind mir bereits als zwei Schätzesucher angekündigt. Wenn Sie das sind, so muß ich Ihnen rundheraus erklären, daß ich von solchen Thorheiten nichts wissen will. Im übrigen bin ich bereit, mich Ihrer Bekanntschaft zu freuen.«

      »Nun, Schatzgräber sind wir nicht,« entgegnete der Professor, »und da wir den Zweck unserer Reise überall als Geheimniß bewahrt haben, so begreifen wir nicht, wie Sie etwas Entstelltes über die Veranlassung unseres Kommens hören konnten.«

      »Der Schuster meines Hofverwalters hat ihm die Nachricht mit zwei versohlten Stiefeln zugetragen, er hat Sie im Gasthofe der Stadt gesehen und aus Ihren Fragen Verdacht geschöpft.«

      »Er hat mehr Scharfsinn angewandt,« erwiederte der Professor, »als bei unsern harmlosen Fragen nöthig war. Und doch hat er nicht ganz Unrecht gehabt.«

      »Also ist etwas daran,« unterbrach der Landwirth finster, »in diesem Fall muß ich die Herren bitten, sich selbst und mich nicht weiter zu bemühen. Ich habe keine Zeit für dergleichen Narrheiten.«

      »Vor Allem haben Sie die Güte, uns anzuhören, ehe Sie uns in so kurzer Weise das Gastrecht aufkündigen,« versetzte der Professor ruhig. »Unser Kommen hat keinen andern Zweck, als Ihnen eine Mittheilung zu machen, über deren Werth Sie dann selbst entscheiden mögen. Und nicht nur wir, auch Andere könnten Ihnen einen Vorwurf daraus machen, wenn Sie unser Gesuch ohne Prüfung abweisen. Die Sache geht Sie mehr an als uns.«

      »Natürlich,« sagte der Wirth, »diese Redensarten kennt man.«

      »Doch nicht ganz,« entgegnete der Professor, »es ist ein Unterschied, wer sie braucht und welchem Zweck sie dienen.«

      »Nun denn, in des Teufels Namen, sprechen Sie, aber verständlich,« rief der Landwirth ungeduldig.

      »Nicht eher,« fuhr der Professor fort, »als bis Sie sich bereit zeigen, eine ernste Angelegenheit so anzuhören, wie sie verdient. Es ist eine kurze Auseinandersetzung nöthig, und Sie haben uns noch nicht einmal zum Sitzen eingeladen.«

      »So nehmen Sie Platz,« versetzte der Landwirth und rückte einen Stuhl.

      Der Professor begann: »Durch Zufall habe ich vor kurzem in einem geschriebenen Buche unter andern handschriftlichen Aufzeichnungen der Mönche von Rossau einige Bemerkungen gefunden, welche für die Wissenschaft, der ich diene, möglicherweise wichtig sind.«

      »Und welches ist Ihre Wissenschaft,« unterbrach ihn der Landwirth ungerührt.

      »Ich bin Philologe.«

      »Das bedeutet alte Sprachen?« frug der Landwirth.

      »So ist es,« fuhr der Professor fort. »Die Notiz eines Mönches in dem erwähnten Bande meldet, daß um das Jahr 1500 eine werthvolle Handschrift, welche die Geschichtserzählung des Römers Tacitus enthielt, in dem Kloster vorhanden war. Das Werk des berühmten Geschichtschreibers ist uns in einigen andern wohlbekannten Handschriften nur sehr trümmerhaft erhalten, es scheint, daß die damals in dem Kloster vorhandene Handschrift sein Werk vollständiger enthielt. Eine zweite Notiz desselben Buches meldet aus dem April des Jahres 1637, daß damals die letzten Mönche des Klosters in schwerer Kriegszeit Kirchengeräth und die Handschriften des Klosters an einer hohlen und trocknen Stelle des Hauses Bielstein vor den Schweden verborgen haben. – Das sind die Worte, die ich gefunden, weitere Thatsachen habe ich Ihnen nicht mitzutheilen. Die Echtheit der beiden Bemerkungen ist für uns zweifellos, ich habe Ihnen eine Abschrift der betreffenden Stelle mitgebracht, das Original bin ich bereit, Ihrer eigenen Einsicht zu unterwerfen oder der eines sachverständigen Beurtheilers, den Sie wählen wollen. Ich füge nur noch hinzu, daß wir beide, mein Freund und ich, sehr gut wissen, wie ungenügend die Mittheilungen sind, welche wir Ihnen machen, und wie unsicher die Aussicht, daß sich jetzt nach zwei Jahrhunderten noch etwas von dem damals vergrabenen Eigenthum des Klosters vorfinde. Und doch haben wir eine Ferienreise dazu benutzt, Ihnen Nachricht von dieser Entdeckung zu geben, selbst auf die naheliegende Gefahr einer vergeblichen Untersuchung. Wir haben uns aber zu dieser Reise verpflichtet gefühlt. Nicht vorzugsweise um Ihretwillen, obgleich die Handschrift, wenn sie sich fände, von sehr hohem Werth sein würde, sondern zunächst im Interesse der Wissenschaft, denn nach dieser Richtung wäre ein solcher Fund in der That unschätzbar.«

      Der Landwirth hatte aufmerksam zugehört, das Papier, welches der Professor vor ihn auf den Tisch legte, ließ er unberührt. Jetzt begann er: »Daß Sie mich nicht täuschen wollen und daß Sie die Wahrheit nach allen Seiten mit guter Meinung sprechen, sehe ich ein. Ihre Auseinandersetzung ist mir verständlich. Ihr Latein vermag ich nicht zu lesen; und das ist auch nicht nöthig, denn was die Thatsachen betrifft, so glaube ich Ihnen. Aber,« fuhr er lächelnd fort, »die Herren Gelehrten haben in der Ferne eines nicht gewußt, daß dieses Haus das Unglück hat, in der ganzen Gegend für den Ort zu gelten, an welchem alte Mönche ihre Schätze vermauert haben.«

      »Das war uns allerdings nicht unbekannt,« fiel der Doctor ein, »und es konnte uns die Bedeutung der schriftlichen Notizen nicht verringern.«

      »Da waren Sie in großem Irrthum. Es liegt doch auf der Hand, daß ein solches Gerücht, welches durch mehre Menschenalter in einer Gegend geglaubt wird, fortwährend abergläubische und gewinnsüchtige Personen in Bewegung gesetzt hat, diese vermeinten Schätze aufzuspüren. Wie können Sie annehmen, daß Sie die ersten sind, welche auf den Gedanken kommen, nachzusuchen? Dies ist ein altes festes Haus, aber es würde fester sein, wenn es nicht vom Keller bis unter das Dach Spuren zeigte, daß man in früherer Zeit Löcher hineingeschlagen und die Schäden nachlässig ausgebessert hat. Erst vor wenigen Jahren habe ich Kosten und Mühe gehabt, einen neuen Dachbalken einzuziehen, weil Dach und Decke sich senkte, und die Untersuchung ergab, daß gewissenlose Menschen ein Stück des Balkens ausgesägt hatten, jedenfalls um in einen Winkel des Daches hineinzugreifen. Und ich sage Ihnen geradeheraus, wenn mir etwas das alte Haus verleidet, in dem ich seit


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