Die verlorene Handschrift. Gustav Freytag

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Die verlorene Handschrift - Gustav Freytag


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Handschrift. Er sah die Maueröffnung vor sich und den ersten Schein der Leuchte, der auf die grauen Bücher in der Höhlung fiel; er sah den Schatz in seinen Händen, wie er ihn heraustrug und nicht mehr von sich ließ, bis er die unleserlichen Seiten entziffert hatte. – Seliger Geist des Frater Tobias Bachhuber! wenn du etwa deine Ferienzeit im Himmel dazu verwendest, auf unsere arme Erde zurückzukehren, und wenn du dann bei Nacht durch die Räume des alten Schlosses gleitest, deinen Schatz hütend und unberufene Neugierige schreckend, o so winke freundlich dem Manne zu, der jetzt naht, dein Geheimniß ins Sonnenlicht zu tragen, denn er sucht wahrhaftig nicht für sich Gewinn und Ehren, sondern er beschwört dich als ein Redlicher im Dienst guter Gewalten.

      3.

      Die Reise ins Blaue

      Wer aus höhern Regionen auf die Gegend von Rossau herniederblickte, der konnte an einem sonnigen Erntemorgen des August zwischen den Weiden der Landstraße eine Bewegung wahrnehmen, welche den Thoren der Stadt zustrebte. Für nähere Betrachtung wurden zwei wandelnde Männer erkennbar, ein größerer und ein kleinerer, beide in hellen Sommerkleidern, welchen durch die Gewitterregen des letzten Tages aller Glanz abgespült war, beide mit ledernen Reisetaschen, welche am Riemen von der Schulter hingen; der größere trug einen breitkrempigen Filzhut, der kleinere einen Strohhut.

      Die Wanderer waren Fremdlinge, denn sie hielten zuweilen an und beobachteten Thal und Hügel mit Genuß, was den Eingeborenen des Landes selten einfiel. Die Gegend war von Vergnügungsreisenden noch nicht entdeckt, in den Wäldern waren nirgend glatte Pfade für die Zeugstiefeln der Städter gebahnt, selbst der Fahrweg war keine Kunststraße, in den ausgefahrenen Wasserlöchern stand das Regenwasser, die Glöckchen der Schafherde und die Axt des Holzfällers wurden nur von den Bewohnern der Umgegend gehört, welche auf dem Felde arbeiteten oder zwischen zwei Orten ihrem Geschäft nachgingen. Und doch war die Landschaft nicht ohne Anmuth, die Umrisse der waldigen Hügel schwangen sich in kräftigen Linien, hier und da ragte Gestein zu Tage, ein Steinbruch zwischen Ackerflächen, ein Felshaupt zwischen den Bäumen des Waldes. Von den Bergen am Horizont zog ein kleiner Bach in gewundenem Lauf dem fernen Flusse zu, umsäumt von Wiesenstreifen, hinter denen sich die Ackerbeete bis zu den belaubten Höhen hinaufzogen. Fröhlich lag die einsame Landschaft im Morgenlicht, seitab von der großen Völkerstraße.

      In der Niederung vor den Reisenden erhob sich rings von Hügeln umgeben der Ort Rossau, ein Landstädtchen mit zwei plumpen Kirchtürmen und dunklen Ziegeldächern, welche über die Stadtmauer ragten wie Rücken einer Rinderherde, die sich gegen ein Rudel Wölfe zusammengedrängt hat.

      Die Fremden schauten von der Höhe mit warmer Theilnahme auf Schornsteine und Thürme hinter der alten Mauer, welche mißfarbig, geborsten und geflickt vor ihnen lag. Dort war einst ein Schatz bewahrt worden, der wiedergefunden die ganze civilisirte Welt beschäftigen und Hunderte zu begeisterter Arbeit aufregen würde. Die Landschaft sah durchweg aus wie andere deutsche Landschaften, der Ort durchweg wie andere arme Städtchen. Und doch war irgendein kleiner Zug in der Gegend, der den Reisenden eine fröhliche Hoffnung nährte. War es der lustige Zwiebelaufsatz, welcher die dicken alten Thürme krönte? oder war es das Thorgewölbe, welches gerade vor den Reisenden den Eingang zur Stadt in lockendes Dunkel hüllte? oder die Stille des leeren Thalgrundes, in welchem der Ort ohne Vorstadt und Außenhäuser lag, wie auf alten Karten die Städte abgebildet werden? oder die Viehherde, welche aus dem Thore ins Freie zog und aus dem Anger leichtfertige Sprünge machte? oder war es vielleicht die kräftige Morgenluft, welche den Wanderern um die Schläfe wehte? Beide empfanden, daß etwas Merkwürdiges und Vielverheißendes in dem Thale schwebte, welches sie als Suchende betraten.

      »Denke die Landschaft, wie sie sich einst dem Auge bot,« begann der Professor, »der Laubwald schloß sich in alter Zeit enger um den Ort, er formte die Hügel höher, das Thal tiefer, wie in einem Kessel lag damals das Kloster mit den Hütten seiner abhängigen Landleute. Hier im Süden, wo das Gelände sich steil hinabsenkt, haben die Mönche sicher einst ihren Klosterwein gebaut. Um das Kloster schlossen sich allmählich die Häuser der Stadt. Nimm den Thürmen die Mütze, welche ihnen vor hundert Jahren aufgesetzt wurde, und gib ihnen die alten Spitzen zurück, an die Mauern setze hier und da einen Thurm, und du hast einen hübschen Steinkasten, der ein geheimnißvolles Stück Mittelalter einschloß.«

      »Und auf demselben Weg, der uns hierher geführt, zog einst ein gelehrter Mönch mit seinen Handschriften in das stille Thal, um hier die Brüder zu lehren oder sich vor mächtigen Feinden zu verbergen,« sagte hoffnungsvoll der Doctor.

      Die Reisenden schritten am Anger vorüber, der Hirt sah gleichgültig nach den Fremden, aber die Kühe stellten sich an dem Grabenrand auf und starrten auf die Wanderer und das halbwüchsige Volk der Herde brummte ihnen fragend zu. Sie traten durch die dunkle Thorwölbung und sahen neugierig die Gassen entlang, welche hier zusammenliefen. Es war eine kleine ärmliche Stadt, nur die Hauptstraße war mit schlechten Feldsteinen gepflastert. Unweit des Thores ragte hoch der schräge Balken eines Ziehbrunnens, daran hing eine lange Stange mit dem Eimer. Von Menschen war wenig zu sehen, wer nicht in den Häusern arbeitete, war auf dem Feld beschäftigt. Denn die Halme, welche in den Steinritzen der Thorwölbung hingen, verriethen, daß Erntewagen die Feldfrucht zu den Höfen der Bürger fuhren; neben vielen Häusern waren hölzerne Thore geöffnet, dann sah man in die Hofräume, in die Scheuern und über Düngerstätten, aus denen kleines Federvieh pickte. Die letzten Jahrhunderte hatten so wenig als möglich an dem Orte geändert, noch standen die niedrigen Häuser mit dem Giebel gegen die Straße, zuweilen streckte sich eine hölzerne Dachrinne über den Weg, statt der Schilder reichten noch die Zeichen der Handwerker, aus Blech und Holz geschnitten, farbig bemalt, in die Straße hinein, ein großer hölzerner Stiefel, ein Greif, welcher eine ungeheure Schere in der Hand hielt, ein schreitender Löwe, der eine Brezel anbot, und als schönstes Stück ein regelmäßiges Sechseck, aus bunten Glasrauten zusammengesetzt.

      »Hier hat sich Vieles erhalten,« sagte der Professor.

      Die Freunde kamen auf den Marktplatz, einen unregelmäßigen Raum, dessen kleine Häuser sich durch bunten Anstrich herausgeputzt hatten. Dort starrte von einem unansehnlichen Gebäude ein rothbemalter Drache mit geringeltem Schwanz, aus einem Bret geschnitten, von einer Eisenstange gehalten, in die Luft. Darauf stand mit übelgeschwungenen Buchstaben: Gasthof zum Lindwurm.

      »Sieh,« sagte Fritz, auf den Lindwurm weisend, »die Phantasie des Künstlers hat ihm einen Hechtkopf mit dicken Zähnen ausgeschnitten. Der Wurm ist der älteste Schätzehüter unserer Sage. Es ist merkwürdig, wie fest die Erinnerung an dies Sagenthier überall im Volke haftet, wahrscheinlich stammt auch dieses Schild aus einer Ueberlieferung des Ortes.«

      So stiegen sie auf ausgetretener Steintreppe in das Haus, ohne zu ahnen, daß sie schon längst von scharfen Augen beobachtet wurden. »Wer mögen die sein?« frug den dicken Wirth ein Bürger, der seinen Morgentrunk einnahm, »wie Geschäftsreisende sehen sie nicht aus, vielleicht ist einer der neue Pastor vom Kirchdorfe.«

      »So sieht kein Pastor aus,« entschied der Wirth, welcher Menschen besser kannte. »Es sind Fremde, zu Fuß, kein Wagen und keine Sachen.«

      Die Fremden traten ein, setzten sich an einen rothgestrichenen Tisch und bestellten das Frühstück. »Eine hübsche Gegend, Herr Wirth,« begann der Professor, »kräftige Bäume im Walde.«

      »Bäume genug,« versetzte der Wirth.

      »Die Umgegend scheint wohlhabend,« fuhr der Professor fort.

      »Die Leute klagen, daß sie nicht genug verdienen,« antwortete der Wirth.

      »Wieviele Geistliche haben Sie am Orte?«

      »Zwei,« sagte der Wirth höflicher. »Der alte Pastor ist aber gestorben. Es ist unterdeß ein Candidat hier.«

      »Ob der andere Pfarrer zu Haus ist?«

      »Ist mir unbekannt,« sagte der Wirth.

      »Sie haben doch ein Gericht hier?«

      »Einen Ortsrichter, er ist jetzt auf dem Amt, es ist heut Gerichtstag.«

      »Hat nicht vor Zeiten ein Kloster in der Stadt gestanden?« nahm der Doctor das Verhör auf.

      Der Bürger und der Wirth sahen einander an. »Das ist lange her,« versetzte der Herr


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