Die verlorene Handschrift. Gustav Freytag

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Die verlorene Handschrift - Gustav Freytag


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saß, und begann auf der Stelle eine Prügelei, welcher der jüngere Knips, die Hände in der Tasche, lachend zusah. Und Fritz drängte den garstigen Buben an die Wand und zwang ihn, das kleine Geldstück herauszugeben und seinen Teufel wieder zu nehmen. Aber diese Begegnung half gar nicht dazu, ihr den Fritz lieb zu machen. Sie konnte nicht leiden, daß er schon als Primaner eine Brille trug und daß er immer so ernst vor sich hinsah. Wenn sie aus der Schule kam und er mit seiner Mappe in die Vorlesung ging, suchte sie ihm jedesmal aus dem Wege zu gehen.

      Noch später einmal stieß sie mit ihm zusammen – sie saß unter den ersten Mädchen im Institut, der älteste Knips war bereits Magister und der jüngere Lehrling im Geschäft ihres Vaters und Fritz Hahn sollte gerade Doctor werden –, da hatte sie sich auf dem Kahn zwischen die Bäume des Parkes gerudert, bis der Kahn an eine Wurzel stieß und ihr Ruder in das Wasser fiel. Und als sie sich darnach bückte, gingen Hut und Sonnenschirm denselben Weg, und Laura sah verlegen um Hilfe nach dem Ufer. Da kam wieder Fritz Hahn in tiefen Gedanken daher, er hörte den leisen Schrei, welchen Laura bei dem Unfall ausstieß, sprang sofort in das schlammige Wasser, fischte Hut und Sonnenschirm und zog den Kahn an das Ufer. Hier bot er Laura die Hand und half ihr auf festen Grund. Laura war ihm wohl Dank schuldig, auch hatte er sie mit Achtung behandelt und Fräulein genannt. Aber er sah doch sehr lächerlich aus, die hagere Gestalt verbeugte sich ungeschickt und die Gläser waren starr auf sie gerichtet. Und als sie darauf erfuhr, daß er von dem Sprung in den Sumpf einen schrecklichen Katarrh davongetragen hatte, da wurde sie heißzornig auf sich selbst und auf ihn, weil sie geschrieen hatte, wo gar keine Gefahr war, und weil er zu so unnöthigem Ritterdienst gestürmt war; sie würde sich schon allein geholfen haben, und jetzt dächten die Hahns, sie sei ihnen wer weiß welchen Dank schuldig.

      Darüber hätte sie ruhig sein können, denn Fritz hatte sich still umgezogen und die Kleider in seiner Stube getrocknet.

      Freilich, daß die beiden feindlichen Kinder einander mieden, war natürlich, denn Fritz war eine ganz andere Natur. Auch er war das einzige Kind und auch er war von einem gutherzigen Vater und einer übersorglichen Mutter weich erzogen. Von klein auf ein stiller, in sich gekehrter Knabe, anspruchslos, fleißig in den Büchern, hatte er sich neben dem Haushalt der Eltern seine eigene Welt in der Wissenschaft ausgebaut, welche von der großen Heerstraße seitab lag. Während um ihn das Leben lustig summte, saß er über die Grundstriche und Haken des Sanskrit gebeugt und untersuchte die Familienverwandtschaft zwischen dem wilden Geisterheer, das über der Teutoburger Schlacht dahinfuhr, und zwischen den Göttern der Veda, welche über Palmenwälder und Bambusrohr in das heiße Gangesthal hinabschwebten. Auch er war Freude und Stolz seines Hauses, die Mutter ließ sich nicht nehmen, jeden Morgen selbst den Kaffe hinaufzutragen, dann setzte sie sich mit ihrem Schlüsselbund ihm gegenüber und sah schweigend zu, während er sein Frühstück verzehrte, schalt leise über sein Nachtarbeiten am letzten Abend und sagte ihm, daß sie nicht ruhig einschlafe, bis sie über sich den Stuhl rücken höre und die Stiefeln klappern, die er zum Reinigen vor die Thür stellte. Nach dem Frühstück bot Fritz dem Vater Gutenmorgen, und er wußte, daß dem Vater Freude war, wenn er einige Minuten mit ihm durch den Garten schritt, das Wachsthum der Lieblingsblumen betrachtete und vor allem, wenn er dem Vater zu einer Verschönerung seine Zustimmung geben konnte. Das war der einzige Punkt, wo Herr Hahn mit seinem Sohne zuweilen in Gegensatz gerieth. Und da er den Gründen des Sohnes nicht zu widerstehen vermochte und den eigenen starken Verschönerungstrieb auch nicht bändigen konnte, so schlug er gern den Weg ein, der selbst von größeren Politikern für nützlich erachtet wird, er bereitete seine Pläne heimlich vor und überraschte durch Thatsachen.

      Bei solchem Stillleben war dem jungen Gelehrten der Verkehr mit dem Professor das beste Vergnügen des Tages, seine Erhebung, sein Stolz. Er hatte noch als Student die ersten Vorlesungen gehört, welche Felix Werner an der Universität hielt. Allmählich war eine Freundschaft entstanden, wie sie vielleicht nur unter hochgebildeten und wackern Gelehrten möglich ist. Er wurde der hingebende Vertraute für die umfangreiche Thätigkeit seines Freundes. Jede Untersuchung des Professors und ihre Erfolge wurden bis auf Einzelheiten besprochen, jede Freude, die ein neuer Fund machte, theilten die Nachbarn. Täglich sahen sie einander, viele Abende vergingen ihnen in der schönen Art der Unterhaltung, welche den Deutschen eigentümlich ist, in einem Gespräch, das zwischen Erörterung und Geplauder schwebt, wo zwei Geister, welche beide die Wahrheit suchen, sich im Austausch ihrer Ansichten gegenseitig fördern. Dann rührte in Jedem, angeregt durch das feine Verständniß und die Einwürfe des Andern, eine schöpferische Kraft kräftig die Schwingen, und blitzschnell und ungeahnt öffneten sich dem Sprechenden und dem Hörer neue Gesichtspunkte, ein tieferes Verständniß. Mit dem besten Theil ihres Lebens wuchsen Beide zusammen. Freilich war Fritz als der jüngere auch der, welcher sich am meisten der feurigen Natur des Freundes bequemte, er war mehr Empfänger als Gebender. Aber gerade deshalb wurde das Verhältniß so fest und innig. Nicht ohne kleine Störungen, wie das bei Gelehrten natürlich ist, denn beide waren von schnellem Urtheil, beide hochgespannt in den Forderungen, die sie an sich selbst und an die Menschen machten, beide von seiner, leicht erregter Empfindung. Aber solche Gegensätze wurden bald überwunden, sie trugen nur dazu bei, die liebevolle Rücksicht, mit welcher die Freunde einander behandelten, zu vergrößern.

      Durch diese Freundschaft wurde das schwierige Verhältniß der beiden Häuser ein wenig gemildert. Auch Herr Hummel konnte nicht umhin, dem Doctor eine kleine Rücksicht zu gönnen, da sein hochverehrter Miether den Sohn der Feinde auffallend auszeichnete. Denn auf seinen Miether ließ Herr Hummel nichts kommen. Durch dunkles Gerücht war ihm verkündet, daß der Professor in seiner Art ein berühmter Mann sei, und er war geneigt, irdischen Ruhm besonders hochzuachten, wenn dieser bei ihm zur Miethe wohnte. Auch war der Professor ein vortrefflicher Miether, er protestirte nie gegen eine Maßregel, welche Herr Hummel als oberste Polizeibehörde des Hauses verfügte; er hatte Herrn Hummel einst wegen Anlage eines Capitals um Rath gefragt, er hielt nicht Hund nicht Katze, gab keine Tanzgesellschaften, sang nicht zum Fenster hinaus und spielte auf keinem Flügel Bravourstücke. Und was die Hauptsache war, er bewies gegen Frau Hummel und Laura, wenn er ihnen einmal begegnete, eine ritterliche Artigkeit, welche dem gelehrten Herrn sehr wohl stand. Frau Hummel war von ihrem Miether begeistert, und Hummel hatte gut befunden, die letzte nothwendige Erhöhung der Miethe nicht vorher im Familienkreise zu besprechen, weil er einen Widerspruch seiner gesammten weiblichen Bevölkerung voraussah.

      Jetzt hatte der Kobold, welcher zwischen beiden Häusern hin und her lief, Steine in den Weg werfend und den Menschen Eselsohren bohrend, auch die beiden freien Seelen seines Reviers gegeneinander aufgeregt. Aber sein Versuch blieb kümmerlich: die wackern Männer waren nicht fügsam, nach seiner mißtönenden Pfeife zu tanzen.

      Früh am nächsten Morgen trug Gabriel einen Brief seines Herrn zum Doctor hinüber. Als er in den feindlichen Hausflur trat, kam ihm eilig Dorchen, das Dienstmädchen der Familie Hahn, entgegen, einen Brief ihres jungen Herrn an den Professor in der Hand. Die Boten tauschten die Briefe und zu gleicher Zeit lasen die Freunde ihre Zuschriften.

      Der Professor schrieb: »Mein lieber Freund, zürne mir nicht, daß ich wieder einmal heftig wurde, die Veranlassung war so abgeschmackt als möglich. Was mich verstimmte, war, ehrlich gesagt, daß du so unbedingt verweigertest, einen Lateiner mit mir herauszugeben. Denn die Möglichkeit, Verlorenes zu finden, welche wir im gefälligen Traume durch einige Augenblicke annahmen, war mir doch auch darum so lockend, weil sie uns beiden eine gemeinsame Thätigkeit in Aussicht stellte. Wenn ich versuche, dich in den engern Kreis meiner Wissenschaft zu ziehen, so wirst du voraussetzen, daß ich dabei nicht nur durch persönliche Empfindungen, sondern weit mehr durch den naheliegenden Wunsch bestimmt werde, für die Wissenschaft, auf welche ich mich beschränken muß, deine Kraft zu gewinnen.«

      Fritz dagegen schrieb: »Lieber theurer Freund, ich trage das peinliche Gefühl mit mir herum, daß meine Empfindlichkeit von gestern uns beiden einen schönen Abend verdorben hat. Meine nur nicht, daß ich dir das Recht bestreiten will, mir die Weitschweifigkeit und Systemlosigkeit meiner Arbeiten vorzuhalten. Gerade weil deine Aeußerungen eine Saite berührten, deren stillen Mißklang ich selbst zuweilen empfinde, verlor ich für einen Augenblick die Unbefangenheit. Du hast sicher in Vielem Recht, nur das Eine bitte ich dich zu glauben, daß meine Weigerung, mit dir eine große Arbeit zu übernehmen, weder selbstsüchtig noch unfreundschaftlich war. Ich bin mir bewußt, daß ich ein, wenn auch für meine Kraft zu umfangreiches,


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