Polnische Geschichte. Clemens Brandenburger
Читать онлайн книгу.Posenschen Landesgeschichte:
Meyer, Geschichte des Landes Posen. Posen 1881.
Prümers u. a., Das Jahr 1793. Posen 1895.
Schmidt, Geschichte des Deutschtums im Lande Posen. Bromberg 1904.
Schottmüller, Handel und Gewerbe im Reg.-Bez. Posen bis 1851. Posen 1901.
Warschauer, Abriß der politischen und kulturgeschichtlichen Entwicklung des Landes Posen. Berlin 1898.
Wegener, Der wirtschaftliche Kampf der Deutschen mit den Polen um die Provinz Posen. Posen 1903.
Erstes Buch.
Die Entstehung des polnischen Reiches.
1. Kapitel.
Die Anfänge der Polen. Mieszko I.
Die Anfänge der Polen sind noch immer in Dunkel gehüllt. Als sie zum ersten Male mit den Deutschen in Berührung kamen, zur Zeit der Wiedereindeutschung des Landes zwischen Elbe und Oder durch die Sachsenkaiser, hatten sie offenbar bereits eine gewisse Periode volklicher Entwicklung hinter sich.
Mit Tschechen, Slowaken, Sorben, Elbslawen und Pommern zusammen hatten sie sich schon länger als westslawische Gruppe aus dem slawischen Gesamtvolke ausgesondert. Auch die Abschließung von den ebengenannten Stämmen vermittels sprachlicher Differenzierung war bereits eingetreten, wenn auch sicherlich noch nicht so scharf ausgeprägt, wie gegenüber den Ost- und den Südslawen. Über die Kulturzustände und die Gemeinschaftsorganisation der polnischen Anfangszeit ist die Forschung noch immer nicht zu gesicherten Ergebnissen gelangt. Es scheint, als ob die Polen kulturell um 900 jenen Zustand erreicht hatten, den die germanischen Stämme um die Zeit der Völkerwanderung aufwiesen. Die Organisation des Gemeinwesens dürfte sich nach den Zeugnissen, die uns in den Gerichtsakten bis ins 15. Jahrhundert hinein aufbewahrt blieben, auf der gesamtslawischen Einrichtung der Zadruga (polnisch: bracia niedzielni = ungeteilte Brüder, und pospólstwo, pospolitość = Gemeinschaft) aufgebaut haben, auf der Besitz-, Erwerbs- und Wirtschaftsgemeinschaft, auf der gemeinsamen Steuer- und Haftpflicht der Familie im engeren und weiteren Sinne.
Wir wissen von sechs nahe verwandten Stämmen, die das polnische Reich bildeten. An der oberen und mittleren Oder saßen die Schlesier, an der oberen Weichsel (im späteren Kleinpolen) die Wiślanen oder Lechen (Lygier?), an der mittleren Weichsel die Masuren, um den Goplosee die Kujawier, das Volk der Ebene (Polanen), denen südlicher die Łęczycer (die Licicavici des Widukind) und Sieradzer verwandt waren. Das spätere Großpolen bis zur Warthe war ganz kurz vor dem Eintritt der Polen in die Geschichte noch im Besitz der liutizischen Wuliner. Die Polanen (Kujawier) waren offenbar der kräftigste Stamm, oder sie hatten die energischsten Fürsten: kurzum, sie unterwarfen die benachbarten Stämme ihrer Herrschaft und begründeten den nach ihnen benannten Staat.
Wie diese Entwicklung im einzelnen vor sich gegangen ist, läßt sich nicht mehr feststellen. Die Stammsagen sind uns nur in antikisierenden Bearbeitungen überliefert, die polanische und lechitische Erinnerungen vermengen. Richtig auf uns gekommen dürften aber wenigstens die Namen der beiden Vorgänger Mieszkos sein, des ersten geschichtlich beglaubigten polnischen Fürsten. Sein Vater wird Ziemomysł, sein Großvater Ziemowit genannt. Dieser war der Sohn Piasts, angeblich eines armen Bauern, nach dem das Fürstenhaus die Piasten hieß. Jahrhundertelang, in Gesamtpolen bis 1370, in Masowien bis 1526, in Schlesien bis 1675, hat dieses Haus in polnischen Landen geherrscht. — Von vielen Seiten wird die Ansicht verfochten, daß in Polen, ähnlich wie in Rußland und Böhmen, germanische Eroberer zur Herrschaft gelangt seien. Die Geschlechternamen und -wappen weisen tatsächlich auf solchen Ursprung hin.
Mieszko (Mieczysław) I. (960?-992) tritt zunächst 960 bis 992 nur als Herr von Kujawien und Łęczyca mit der uralten Residenz zu Kruschwitz am Goplosee auf. Die Pommern, die Preußen, die Litauer, die Großfürsten von Kijew, die Herzöge von Böhmen (die außer Mähren auch Weißchrobatien an der oberen Weichsel und Schlesien unterworfen hatten) und endlich die ihre letzten Freiheitskämpfe gegen die Deutschen führenden Elbslawen waren seine Nachbarn. Die Inanspruchnahme der Elbslawen nach Westen hin scheint ihm Gelegenheit gegeben zu haben, sich auf ihre Kosten auszudehnen. Denn wir wissen, daß er das Land zwischen Warthe und Oder, das spätere Großpolen, den Liutizern abnahm. Hierauf ist wohl der Polen erste Berührung mit den Deutschen zurückzuführen. Markgraf Gero nahm nach der Unterwerfung der Liutizer jenes Gebiet in Anspruch, er besiegte Mieszko und zwang ihn, dem Kaiser den Vasalleneid zu leisten und für das Land bis zur Warthe Tribut zu zahlen (963?). 963
Ungleich den Elbslawen erkannte Mieszko schnell, daß er nur durch den Übertritt zum Christentum seine Herrschaft retten könne. Er ließ sich daher 966 taufen, 966 nachdem er schon vorher die ihrem Manne, Markgraf Gerold von Meißen, entlaufene Christin Dubrawka, des Böhmerherzogs Tochter, geheiratet hatte. (Der Anteil, den die Sage der zügellosen Dubrawka an der Christianisierung Polens zuschreibt, ist eine fromme Erfindung.)
Wahrscheinlich nahm in Kruschwitz alsbald ein Hofbischof seinen Sitz. Außerdem übertrug Otto der Große das in Posen ursprünglich für die Liutizer errichtete, der slawischen Missionszentrale Magdeburg unterstellte Bistum nunmehr auf Mieszkos Reich. Der erste Bischof war der Deutsche Jordan. — Schon vor Mieszkos Taufe hatte es Christen im Lande gegeben. Sie waren durch Jünger der beiden Slawenapostel gewonnen worden, hielten sich also zum altslawischen Ritus. Durch die offizielle Annahme des Christentums in der lateinischen Form aber, die durch die Rücksicht auf die deutsche Waffenmacht bedingt war, ward Polen für immer in den abendländischen Kulturkreis einbezogen und im Gegensatz zu Rußland mit den Schicksalen des germanisch-romanischen Europas eng verknüpft. Obwohl späterhin Polens natürliches Streben nach Osten gehen mußte, behielt infolge des lateinischen Ritus der westliche Einfluß doch stets die Oberhand. Hierdurch befand sich Polen gegenüber Rußland im Kampfe um Länder mit orthodoxer Bevölkerung von vornherein im Nachteil.
Das Verhältnis zu den benachbarten Markgrafen, in deren Gegenwart er sich weder zu setzen noch den Pelz anzubehalten wagte (Thietmar), blieb gespannt. Als er 972 bei Cydyne a. O. (vielleicht Zehden oder Steinau) den Markgrafen Udo schlug, untersagte ihm der Kaiser die Verfolgung des Sieges und entbot ihn Ostern 973 auf den Hoftag 973 nach Quedlinburg zur Schlichtung der Streitigkeiten. An den Erhebungen zugunsten Heinrichs des Zänkers von Bayern nahm er sowohl nach dem Tode Ottos I. als auch nach dem Tode Ottos II. teil. Nachdem aber jene Pläne und damit auch die Hoffnungen auf die Wiedererlangung der Unabhängigkeit fehlgeschlagen waren, scheint er dem Reiche die Treue gehalten zu haben, denn 986 und 991/92 finden wir ihn in dem großen Aufstand der Elbslawen auf deutscher Seite. 987 nahm er auch eine Deutsche, Markgraf Dietrichs Tochter Oda, in zweiter Ehe zum Weibe. Im Feldlager von Brandenburg ist er 992 gestorben. 992
2. Kapitel.
Bolesław I. Die Königswürde.
Bolesław (992–1025) war der Sohn der Dubrawka 992 bis 1025 und vom Vater, der nach slawischer Sitte das Land teilte, zum Großfürsten eingesetzt worden. Das Ziel des fünfundzwanzigjährigen, tatkräftigen und begabten, aber listigen, grausamen und treulosen Fürsten war die Zusammenfassung der Westslawen zu einem christlichen Königreiche. Er begann mit der Vertreibung Odas und seiner unmündigen Stiefbrüder, mit der Blendung anderer erbberechtigter Verwandten. Dann sicherte er sich nach Westen durch Leistung des Lehnseides an Otto III. und Heeresfolge gegen die Elbslawen, nach Osten durch Verlobung seiner Tochter an Swjatopolk, Wladimirs des Heiligen von Kijew Neffen und Adoptivsohn. Nordwärts drang er mit dem Schwerte