Der Begriff der Religion im System der Philosophie. Hermann Cohen
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Hermann Cohen
Der Begriff der Religion im System der Philosophie
Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2020
EAN 4064066114411
Inhaltsverzeichnis
I. Das Problem des Begriffs der Religion im Verhältnis zur Religionsgeschichte und zur Metaphysik.
II. Das Verhältnis der Religion zur Logik.
III. Das Verhältnis der Religion zur Ethik.
IV. Das Verhältnis der Religion zur Ästhetik.
V. Das Verhältnis der Religion zur Psychologie.
Vorrede.
Die Widmung dieser Schrift ist zu allernächst die schuldige Antwort auf die Sammlung der »Philosophischen Abhandlungen«, mit der die Freunde meinen 70. Geburtstag ausgezeichnet haben. Wie ich nun in dieser Schrift den systematischen Begriff der Religion in dem Begriffe des Individuums zu begründen suche, so wende ich mich auch an die lieben Freunde, die persönlichen Träger und Glieder dieser Schule, mit meinem innigen Danke, mit meinen treuen Wünschen und Hoffnungen für die Erhaltung und Hochhaltung unserer Arbeitsgemeinschaft, der immer neue Anhänger des Geistes unserer Methode sich anschließen mögen.
Das Alter ist die Zeit des Gedenkens. Der Greis hängt sich an die Vergangenheit, wenn er noch so sehr den Blick in die Zukunft sich zu bewahren strebt. Es teilen sich dem Alter auch immer mehr Lebensabschnitte ein, die das Gedenken fruchtbar machen sollen. Auch diese Widmung fällt in die Zeit, in der ich vor funfzig Jahren die philosophische Doktorwürde erlangte. Und obzwar ich von da ab den damaligen Verhältnissen des philosophischen Studiums gemäß eine geraume Wartezeit mir auferlegte, so lenkt sich zugleich jetzt die Erinnerung unwillkürlich zurück an meine Aufnahme in Marburg, die ich nicht überschätze, wenn ich sie als ein bedeutsames Beispiel, vielleicht darf ich sagen, als ein Vorbild in der Geschichte der Habilitationen bezeichne.
Hier muß ich nun wiederum des herrlichen Mannes zuallererst gedenken, der, eine lebendige Personifikation des deutschen Idealismus, nicht nur den Eintritt dort mir ermöglicht, sondern auch mit seinem Ansehen bei dem gesamten Lehrkörper das allgemeine Vertrauen in mein Wollen und Streben alsbald mir geworben und befestigt hat.
Mit Friederich Albert Lange muß mein Gedenken nun auch alle die Männer verknüpfen, die durch ihr sachliches Zutrauen und ihre persönliche Sympathie in diesen ersten Anfängen mein Wirken unterstützten. Alle diese Männer hatten noch das historische Bewußtsein von der Bedeutung der Philosophie überhaupt für das wahrhaftige Leben der Universität. Und wenn sie auch nicht alle meine ersten Arbeiten in eigener Lektüre begleiteten, so hatten sie doch alle die wissenschaftliche Überzeugung, daß ein rechter Weg da angebahnt werde, daß der neue Weg zu Kant einen Einschnitt und einen Aufstieg bedeute in der Laufbahn des deutschen Geistes. Aus allen Wissenschaften und Fakultäten wurde ich durch einsichtige Zustimmung zu der angestrebten Arbeitsweise ermutigt. Sie sind fast alle inzwischen dahingegangen, und ihnen allen habe ich, wenn auch in verschiedenem Grade, zu danken. Nur die Gruppen seien bezeichnet. Mit den Philologen verbanden sich die Historiker und nicht minder die Theologen, aber auch die Naturforscher und Mediziner schenkten mir ihr Interesse für meine literarische, wie auch für meine Lehrtätigkeit, sofern sie in dem Studium der wissenschaftlichen Fächer Blüten hervortrieb.
Die ersten Jahre nach der Gründung des Reiches, der ideale Aufschwung des Nationalbewußtseins im echten deutschen Geiste begünstigte meine ersten Schritte. Als dann aber auch in die philosophische Klause, die in geräuschloser Stille und nur in engen Kreisen arbeiten wollte, die andere Zeitwendung mit ihrer Mißstimmung und Ungunst hereinbrach, da war zuvor schon der Beistand erschienen und rastlos erstarkt, ohne den die Schule nicht zu ihrer Gediegenheit hätte kommen können, der mir selbst in den schweren Kämpfen, die ich für die Sache der Philosophie, wie wir sie bekennen, in wachsender Schärfe zu bestehen hatte, ein starker und zuverlässiger Helfer wurde, und von dessen unermüdlicher Schaffenskraft, wie von seiner Hingebung an alle die großen und die kleineren Aufgaben des philosophischen Lehrers die Zukunft der Schule zu allernächst abhängt: Paul Natorp sei an diesem Lebensabschnitt mein Dank aus tiefster Seele ausgesprochen.
Die Schule besteht von Anfang an nicht nur aus unmittelbaren Schülern, und der Anschluß von außerhalb dürfte ihr höheres Recht bewähren. Einem solchen Freunde habe ich hier noch zu danken für das Dokument einer Gemeinschaft des Geistes und der Gesinnung, das er diesem Büchlein in dem Kunstwerke des Index gestiftet hat. Möge diese Krönung meiner Arbeit weithin nicht nur das Studium ihrer selbst erleichtern, sondern auch für das gesamte System sich als Wegweiser und Führer nützlich erweisen.
So habe ich denn in dem Vorwort dieser Widmung den Weg beschritten, auf den der Grundgedanke dieser Schrift hinweist. Auch hier ist der Begriff der Schule kein Kollektivbegriff geblieben, sondern menschliche Personen hat die Dankbarkeit hervorgehoben: ohne deren Vorarbeit die Schule nicht hätte ins Leben treten können — auf deren Erfolg wir nicht hingearbeitet, nicht hingedacht hatten, deren Erscheinung wir schon unter der Ungunst der allgemein herrschenden Verhältnisse nicht erwarten konnten. Daher beirrt uns aber auch die Situation nicht, die inzwischen eingetreten und der alsbald die große Zeit der Sorgen und der Hoffnungen gefolgt ist. Der wissenschaftliche Charakter, den eine Universität einmal, in einer engsten Richtung selbst, angenommen hat, behält seine Tradition in der Geschichte — zumal wenn er von einer verwandten Geistesrichtung als genius loci bestätigt wird. Und solche Hilfe hat die Theologie in die Annalen der alma mater Philippina für uns eingetragen. Auch diesen Dank möchte diese Schrift über Religion endlich noch andeuten dürfen.
Und so lasset uns unverzagt und unentwegt weiter arbeiten, im unerschütterlichen Vertrauen auf die fortwirkende Gemeinschaft des Geistes in allen Richtungen des deutschen Schaffens mit seiner Philosophie.
I. Das Problem des Begriffs der Religion im Verhältnis zur Religionsgeschichte und zur Metaphysik.
1. Den Begriff einer Wissenschaft zu bestimmen, ist überall eine schwierige Aufgabe. Und nicht leichter wahrlich ist die Begriffsbestimmung bei einem Faktum der geistigen Kultur, dessen Charakter als Wissenschaft zweifelhaft ist. Hier scheint die einzige Möglichkeit, zu einem Begriffe zu gelangen, bei der Induktion gelegen. Ihr schwebt der Begriff nur als ein allgemeines Ziel vor, dem Sammlung und Sichtung zugehöriger Tatsachen, soweit das Material sich ausdehnt, dennoch zustreben soll und kann.
Über die Zweideutigkeit, die in dem Symptom der Zugehörigkeit liegt, setzt man sich hinweg. Sie bleibt in der Schwebe mit dem gesuchten Begriffe. Aber wie anders sollte man diesen Begriff erfassen können,