Der Begriff der Religion im System der Philosophie. Hermann Cohen
Читать онлайн книгу.Verbindung mit dem Sein bestehen, die in der Tempusform der Zukunft nur noch kräftiger wird in der Abstraktion, in der Abkehr von allem Wirklichen der Gegenwart. Aber wenn selbst diese Abstraktion nicht im ausdrücklichen Gedanken vollzogen wäre, so bleibt durch die Verbindung mit dem Sein überhaupt auch die mit der Zukunft gewahrt, und es ist keinesfalls dabei die Bindung an die sinnliche Gegenwart bewiesen; vielmehr ist die Berufung auf das Sein in dieser Form der Offenbarung, der ersten Selbstdarstellung Gottes, ein hinlängliches Merkmal für die Grundtendenz dieser Gotteslehre: daß dieser Gott als das Sein sich geltend macht.
Es ist wie wenn er der Philosophie zurufen wollte: das Sein ist nicht ausschließlich das Problem der Philosophie, sondern nicht minder auch das der Religion. Denn ob die Philosophie das Sein zu erkennen vermag, das sei außer Frage gestellt, hier aber wird die Forderung erhoben: Gott ist das Sein. Und was diese These zu bedeuten habe, das wird zum Inhalte der Religion gemacht. Dabei muß es ganz außer Frage bleiben, welche Beziehung, welche Gefahr der Beziehung sich aus dieser These für die Religion und für ihr Verhältnis zur Wissenschaft ergeben könne. Diese Fragen können selbst erst durch die Verbindung der Philosophie mit der Religion so gestellt, wie gelöst werden.
11. Es ist aber nicht allein für die Religion von grundlegender Bedeutung, daß sie in Gott das Sein sich zum Problem setzt, sondern, allen Bedenken der Kulturkonflikte entgegen, ist es von grundlegendem Werte für den Kulturgeist der Religion, daß sie sich mit diesem Problem in fundamentale Gemeinschaft versetzt mit der Logik, deren Grundproblem das Sein der Wissenschaft ist. Es ist verfehlt, hier einzuwenden, daß der Begriff des Seins in einem Doppelsinne von der Religion aufgenommen werde, und daß dadurch in den Begriff des erkennenden Geistes ein Doppelsinn, eine Zweideutigkeit eingepflanzt würde. Dieses Bedenken entspringt einem methodischen Irrtum; denn es wird sich fragen, ob dieser Doppelsinn nicht vielmehr ein notwendiger, nicht bloß ein unvermeidlicher ist, sondern daß er den Gedanken einer zweiten Art des Seins in sich enthält. Und gerade dieser Punkt wird zu einer wichtigen Erörterung führen.
12. Es ist ja freilich bei dem Rekurs auf literarische Nachweise in einer solchen Grundfrage von nebensächlicher Bedeutung, wie die biblische Urkunde zu dieser philosophischen Grundfrage sich stellt; denn sie selbst haben wir als ein primitives Literaturprodukt mit aller der einem solchen eigenen Naivetät wissenschaftlich aufzufassen. Es kommt aber auf die Entwicklung an, welche in der Geschichte der Religionen ein solcher naiver Satz genommen hat. Und wenn nun gar der fragliche Gedanke an sich die Naivetät des Mythos übersteigt, so kann es nicht hoch genug geschätzt werden, daß der primitive Gedanke in einer strengen Abstraktion des Ausdrucks zur Grundformel für den Gottesbegriff an jener urkundlichen Stelle gemacht und für alle Zeiten und für alle Entwicklung in dieser abstrakten Formulierung festgehalten wird.
13. Betrachten wir den Zusammenhang, in dem diese erste Offenbarung Gottes, als des Seins, hervortritt. Mose wird am Dornbusch zur Befreiung seines Volkes aufgerufen. Es ist nun charakteristisch, wie der neue Gott von dem alten Gotte der Väter sich unterscheidet. Mose sagt: »Siehe, ich komme zu den Kindern Israels und spreche zu ihnen: der Gott eurer Väter hat mich gesandt zu euch, da werden sie mir sagen: was ist sein Name? was soll ich sagen zu ihnen?« Da sprach Gott zu Mose: »Ich bin, der ich bin .. ich bin hat mich gesandt zu euch« (2. M. 3, 13). Hier wird also deutlich der Gott mit dem neuen Namen unterschieden von dem »Gotte eurer Väter«. Aber nur der Name ist neu; er ist nur eine neue Bezeichnung für den Gott der Väter. Dies besagt der folgende Vers, der offenbar für den neuen Namen in dem Schlußsatze gipfelt: »Dies ist mein Name für immer, und dies mein Gedächtnis von Geschlecht zu Geschlecht«. Mit solchem Nachdruck wird der neue Name eingeführt als der für alle Zeiten geltende.
Es sollte daher nicht mehr vorkommen, daß von dieser Hervorhebung Gottes, als des Seienden, unterschieden wird »der wahrhaft Seiende im philosophischen Sinn«. Diese Unterscheidung gehört nicht zur Bibelexegese. Nicht nur die Bibel, sondern auch die Bibelexegese braucht nichts von Philosophie zu wissen. Es genügt, daß Kautzsch trotz dieser seiner nicht sachgemäßen Bemerkung dennoch erklärt: »Die Stelle macht Mose zum Stifter des israelitischen Monotheismus«. Es ist nun durchaus lediglich Sache der Philosophie, das Verhältnis klarzustellen, welches zwischen dem Monotheismus und dem Begriffe des Seins besteht. Und wenn auch der Zusammenhang der philosophischen Probleme für das Problem des Seins eine Unterscheidung von dem Begriffe Gottes fordert, so folgt daraus keineswegs, daß nicht dennoch der religiöse Gottesbegriff zu dem philosophischen Seinsbegriff in eine innerliche Beziehung treten kann.
14. Es ist übrigens auch die Bedeutung der grammatischen Einsicht nicht zu überspannen. Wenn dem Futurum die Bedeutung des Präsens zuerteilt wird, so wird dadurch eben auch die Differenz zwischen Gegenwart und Zukunft verringert. Das Sein wird nicht in der Gegenwart festgelegt, sondern es schwebt über sie hinaus. Gegenwart und Zukunft werden in diesem Sein Gottes verbunden.
Und es bedarf nur eines Vorblicks auf den Grundgedanken des prophetischen Messianismus, um die Tragweite dieses Seins für den Gott der Geschichte zu erkennen. Aber diese Konsequenz des Urgedankens haben wir jetzt noch nicht weiter zu betrachten; an diesem Punkte genügt es uns, die hohe, steile Abstraktion zu würdigen, in welcher hier bei der ersten Offenbarung der monotheistische Gott sich darzustellen wagt. Denn was hat der Redaktor sich gedacht? Wie soll der schlichte Mensch in aller bisherigen Zeit, geschweige der Israelit der Vorzeit diese Abstraktion sich zu Verstande bringen? Dennoch heißt es: »Dies ist mein Name und dies mein Gedächtnis für alle Zeiten.« Der Text macht es unbestreitbar, daß das Wesen des Einzigen Gottes in diesen Begriff des Seins gelegt wird. Und so ist es nicht zu verwundern, daß die religiöse Spekulation über Gott und seine Einheit gebunden bleiben mußte an das Problem des Seins.
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